30 Jahre nach Tschernobyl
Chronologie einer Katastrophe
Einige von uns waren noch gar nicht auf der Welt, als die größte Nuklearkatastrophe aller Zeiten geschah. Wir blicken zurück.
Die Sowjetunion versprach sich in den 80er Jahren aus der Kernkraftenergie eine effiziente und billige Stromversorgung. "Tschernobyl" wurde als Musteranlage gepriesen und war Symbol für Technik und Fortschritt in der Ukraine. Kiew, aber auch viele andere Städte bezogen ihren ganzen Strom aus dem Kernkraftwerk in Tschernobyl. Der Reaktor 4, der am 25. April 1986 eigentlich nur auf seine Funktionsfähigkeit getestet werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt erst 2 Jahre aktiv.
Tschernobyl vor der Katastrophe Quelle: insomi.ru
Freitag, 25. April 1986
Ein Testversuch wird in die Wege geleitet. Er soll bestätigen, dass in Block 4 bei einem Stromausfall noch genügend Kühlwasser zur Kühlung der Turbinen vorhanden ist, bis die Notstromaggregate anlaufen.
Testbeginn ist um 13:00 Uhr.
Um 14:00 Uhr wird der Versuch unterbrochen, da aus Kiew Strom angefordert wird.
Die Notkühlsysteme bleiben ausgeschaltet, auch noch um 23:00 Uhr, als der Test zum zweiten Mal anläuft. Es gibt einen Schichtwechsel und der Reaktor soll auf 25 Prozent seiner Leistungsfähigkeit herabgefahren werden. 20 sind Minimum, sonst funktioniert der Kreislauf nicht mehr.
Samstag. 26. April 1986
Um 00:28 Uhr fällt die Leistung des Reaktors aus unerklärlichen Gründen auf 1 Prozent. Statt den Reaktor auszuschalten - was das einzig Richtige gewesen wäre - wird der Reaktor von der Betriebsmannschaft auf Hochtouren geschaltet. Der Reaktor läuft zwar kurz darauf wieder, jedoch wurden aufgrund des Testversuchs fast alle Sicherheitssysteme ausgeschaltet.
Jetzt ist es 01:23 Uhr, 36 Sekunden nach dem erneuten Teststart, versucht der Schichtleiter vehement eine Notabschaltung. Die Leistungsfähigkeit steigt binnen Sekunden um das 100-Fache, das Kühlwasser verdampft schlagartig und die Anlage hält der großen Hitze nicht mehr stand. Der Reaktor brennt, es kommt zu zwei Explosionen, wobei das Dach des ganzen Gebäudes weggesprengt wird. Nun gelangt radioaktiv-verseuchte Luft kilometerweit in die Atmosphäre.
05.00 Uhr: Der Brand im Reaktorgebäude ist zwar gelöscht, den Reaktor selbst zu kühlen schlägt aber fehl. Stattdessen tritt kontaminiertes Wasser aus und verseucht die ganze Umgebung. Die gefährliche Strahlung ist inzwischen auf das 600.000-Fache gestiegen und steigt weiter an.
Der Reaktor nach der Explosion. Quelle: bigpicture.ru
Sonntag, 27. April 1986
Die radioaktive Strahlung ist so hoch, dass sie nicht mehr gemessen werden kann. Aus 80 Hubschraubern versucht man, die Ausstrahlung des Reaktors mit Blei, Sand oder Lehm zu reduzieren.
Erst am 06. Mai - also 10 Tage später - schafft man es, dass kein radioaktiven Stoffe mehr freigesetzt werden. Die Sowjetunion hält den Unfall lange geheim. Erst als ein Kernkraftwerk in Schweden zwei Tage später einen Alarm auslöst, besteht der Verdacht, dass es einen Unfall gegeben haben könnte. Es sind radioaktive Wolken über Europa, vor allem über Deutschland und Frankreich.
Folgen der Katastrophe
Seit diesem Tag kommt es zu erheblich mehr Missbildung bei Kindern und Neugeborenen. Viele erkranken und sterben direkt nach nach dem Unfall - vor Allem die Feuerwehr- und Einsatzkräfte, die am Kraftwerk tätig waren. Langfristig gesehen trägt aber die nachkommende Generation den größten Schaden. Denn die ist besonders anfällig für Leukämie oder Schilddrüsenkrebs. Diese werden über Gendefekte an ihre Kinder weitergeben. Um das Reaktor-Gebäude wurde nach dem Unglück eine Beton-Hülle gebaut, die aber immer wieder Risse bekommt. Aktuell entsteht ein Sakophag aus Stahl, der das Gebäude abschotten soll, sodass es schrittweise abgerissen werden kann.
Das Reaktorgebäude im Jahr 2011. Quelle: M94.5
Doch auch bei uns in Deutschland hinterlässt die Katastrophe bis heute sichtbare Spuren. Bestimmte Pilz- und Pflanzensorten sollen beispielsweise nicht gesammelt werden, da sich aufgrund der ungünstigen Witterungsverhältnisse von damals, und dem damit verbundenen radioaktiven Regen, die Genstruktur der Pflanzen verändert hat.
Tschernobyl heute
Rund um das Reaktorgebäude ist bis heute eine Sperrzone mit einem Radius von 30 Kilometern. Die Stadt Prypjat, die am nächsten am Kraftwerk liegt, gleicht einer Geisterstadt. Die ehemaligen Bewohner haben alles stehen und liegen lassen, und so sind dort auch heute noch verwahrloste Supermärkte zu finden, zurückgelassene Schuhe liegen auf der Straße und ein einsames Riesenrad steht schon lange still.
Für einige Gebiete ist der Zutritt wirklich strengstens verboten, zum Beispiel für den Platz, auf dem radioaktiver Schutt vom Reaktorgebäude oder beispielsweie auch die Feuerwehr-Fahrzeuge, die 1986 im Einsatz waren, lagern. Ehemalige Bewohner Prypjats dürfen die Stadt an einigen Tagen betreten, um Gräber ihrer Verwanden am Friedhof zu besuchen. Außerdem gibt es Touristen-Touren in die Stadt. Ein M94.5-Redakteur war 2011 in Tschernobyl und Prypjat und hat einige Eindrücke in Bildern festgehalten, die ihr in unserer Bildergalerie findet: