Filmfest 2018
Das Beste zum Schluss
Das Fazit nach 9 Tagen Kino-Marathon und ganz viel harter Zuschau-Arbeit: Unsere Lieblinge aus dem diesjährigen Filmfest-Programm.
Keine Frage, bei über 180 Premieren aus aller Welt und Kino von früh bis spät kann nicht jeder Film ein Highlight sein. Tapfer wie wir sind, haben wir uns wieder dem monumentalen Programm des Filmfests gestellt und unsere persönlichen Highlights aus diesem Jahr für euch zusammengefasst. Denn das Festival mag jetzt zwar vorbei sein, aber: Die Filmfest-Juwelen von gestern sind die Kino-Erfolge von morgen. Deshalb hier der Rückblick auf das, was uns im Kino bald erwartet.
Beast (UK 2017)
Zwei Menschen lernen sich nach einer langen Partynacht kennen und verlieben sich ineinander – hört sich an wie "La La Land", aber das war's auch schon wieder mit der Romantik. Obwohl Pascal und Moll sich lieben, schwebt über ihrer Beziehung der Tod von vier jungen Mädchen aus ihrem Dorf. Beide sind sie Außenseiter, beide scheinen sie sich endlich gefunden zu haben. Doch wie weit gehen sie für ihre Liebe? „Beast“ ist ein ruhiger, sehr kluger Psychothriller, der immer mit der Wahrnehmung des Zuschauers spielt. Besonders überzeugend sind die beiden Hauptdarsteller, Johnny Flynn (Pascal) und Jessie Buckley (Moll), für die man gleichermaßen Hass und Mitleid empfindet. ms
"Beast" hat noch keinen deutschen Starttermin.
Blockage (Iran 2017)
Mit "Blockage" könnte man hervorragend "Sozialdrama-Bingo" spielen: Der Film thematisiert die Schere zwischen Arm und Reich, Bürokratie und Korruption, Geschlechterrollen, Abtreibung, die Folgen des Kapitalismus - und nimmt es sich dabei allen Ernstes sogar noch heraus, Humor zu haben. Statt die Geschichte aber zu überfrachten, verflicht Regisseur Mohsen Gharaei all diese Teilaspekte gekonnt zu einer stimmigen, durchwegs interessanten Story mit authentischen Charakteren und emotionalem Tiefgang, indem er Hauptfigur Ghasem bei der Bewältigung seiner Alltagsprobleme folgt, die letztlich alle aus dem Ruder geraten. Ohne jegliche überflüssige Szene schreitet der Film flott voran und mündet in einem intensiven Schluss, der gar nicht erst versucht, endgültige Antworten zu liefern auf all die Fragen, die die Geschichte zuvor aufgeworfen hat. Ein starker Beitrag zum modernen iranischen Kino. nc
"Blockage" (im Original "Sad-e mabar") hat noch keinen deutschen Starttermin.
El último traje (Argentinien/Spanien 2017)
Das spanisch-argentinische Drama um einen Mann, der ein altes Versprechen einlösen will, ist eindrucksvoll erzählt und berührt durch Inhalt, aber auch Erzählstil. Hier kommen Humor, Trauer und Geschichte auf wunderschöne und emotionale Weise zusammen. Abraham hat den Holocaust miterlebt und möchte nun mit seinen 88 Jahren einen alten Freund in Polen besuchen, um ihm einen selbstgeschneiderten Anzug als Dank für seine Hilfe vor vielen Jahren zu überbringen. Ein Film, der durch seine Dialoge komplett in seinen Bann zieht und am Ende kein Auge im Publikum trocken lässt. ah
"El último traje" hat noch keinen deutschen Starttermin. Unsere vollständige Kritik lest ihr hier.
Glücklich wie Lazzaro (Italien/Frankreich/Schweiz 2018)
Einen durchweg guten Menschen, das gibt es nicht! Nach Regisseurin Alice Rohrwacher aber schon. Der junge Lazzaro ist wohl der selbstloseste Mensch der Welt und alle anderen, egal wie schwer das Schicksal ist, wirken wie die Grausamkeit schlechthin. Mit einfachsten Mitteln werden beeindruckende und bewegende Bilder geschaffen. Und mal wieder gelingt Alice Rohrwacher eine geschickte Kritik an dem Glauben an religiöse Wunder. nm
"Glücklich wie Lazzaro" (im Original "Lazzaro Felice") kommt am 13. September 2018 in die deutschen Kinos.
Juliet, Naked (USA/UK 2018)
Filme müssen nicht immer tief und bedeutungsschwer sein. Manchmal dürfen Filme auch einfach nur Spaß machen; manchmal dürfen Filme sein wie ein kühles Orangeneis am Stiel. Genau so ein Eis ist “Juliet, Naked”. Die Komödie entspinnt sich rund um Annie (Rose Byrne) und ihre ungewöhnliche Verbindung mit dem einst legendären und nun untergetauchten Singer-Songwriter Tucker Crowe (Ethan Hawke). Begleitet von einem schönen Soundtrack und umweht von einer Prise britischem Flair, ist diese Romcom leicht bekömmlich, unterhaltsam und süß. Die einzelne Schauspielleistung ist nicht außergewöhnlich, die Handlung nicht unbedingt überraschend und nach dem Kinobesuch wird sich kein Weltbild verändern; ein Lächeln im Gesicht ist aber sicher. vs
"Juliet, Naked" kommt am 15. November 2018 in die deutschen Kinos.
Nach dem Urteil (Frankreich 2017)
Es ist nicht die Handlung, die "Nach dem Urteil" auszeichnet, sondern das Gefühl: die ständige, ungute Vorahnung, dass etwas Schlimmes passieren muss, und die Anspannung, die damit einhergeht. In diesem Sinne ist Regisseur Xavier Legrand zweifellos ein realistisches Abbild häuslicher Gewalt gelungen. Weder die neue Wohnung, noch die Zeit mit den Großeltern, noch die Geburtstagsfeier können Protagonisten oder Zuschauer genießen, denn über allem schwebt die drohende Aggression des Vaters (ein absolut einschüchternder Denis Ménochet). Getragen wird der Film maßgeblich von Jungschauspieler Thomas Gioria und der ständigen, ratlosen Angst in seinem Gesicht, wenn der Sohn mit den unberechenbaren Wutausbrüchen seines Vaters konfrontiert ist. Auch wenn das Drehbuch an wenigen Stellen den Faden zu verlieren scheint, bleibt "Nach dem Urteil" doch ein rastloses Kinoerlebnis, das den Zuschauer spätestens mit dem emotionsgeladenen Finale bewusst fordert und erschöpft. Ein unangenehmer, intensiver, wichtiger Film. nc
"Nach dem Urteil" (im Original "Jusqu'à la garde") kommt am 23. August 2018 in die deutschen Kinos.
Of Fathers and Sons (Katar/Libanon/Syrien 2017)
Die Stärke von Dokumentarfilmen liegt darin, Menschen nahe zu kommen, denen man sonst nie begegnen würde. In „Of Fathers and Sons“ trifft der Zuschauer eine radikal islamische Großfamilie aus Syrien, die ihre Söhne zu Dschihadisten ausbilden lässt. Stolz erzählt einer der Väter, dass er sich gefreut hat, als einer seiner Söhne am 11. September auf die Welt gekommen ist und dass er einen anderen Sohn nach Osama bin Laden benannt hat. Genannter Osama blickt freundlich in die Kamera. Er ist einer der vielen Jungen, die Regisseur Talal Derki in seinem Film porträtiert. Man sieht sie beim Spielen, Balgen, Kuscheln, Lachen. Die Unbekümmertheit und Unschuld der Kinder steht im krassen Kontrast zu den radikalen Ansichten der Eltern. Besser gesagt der Väter, denn Frauen oder Mädchen bekommt man nie zu sehen, auch wenn sie irgendwo im Off anwesend sein müssen.
Hier dominieren die Männer und die Söhne haben gar keine andere Wahl, als das zu tun, was ihre Väter sich vorstellen. Im Falle der Älteren heißt das, ins Militärcamp zu gehen und Schießen zu lernen. Als Szenen gezeigt werden, in denen sich die vielleicht Zwölfjährigen schwarze Sturmmasken anziehen, mit schwarzem Banner im Gänsemarsch laufen und „Gott ist groß“ rufen, kommt der Zuschauer um ein mulmiges Gefühl nicht herum. Regisseur Derki schafft es mit seinem scharfen Blick, das beklemmende Porträt einer Kindheit zwischen Krieg, Kampf und radikaler Religion zu zeichnen. jroh
"Of Fathers and Sons" hat noch keinen deutschen Starttermin.
Ronny & Klaid (Deutschland 2018)
Wenn Monty Python den legendären “Schuh des Manitu” verfilmt hätten, dann wäre wohl “Ronny & Klaid” herausgekommen. Dieser deutsche Film nimmt sich selber alles andere als ernst und sorgt durch unfassbar lustige Dialoge und Szenen für Tränen in den Augen. Und die Handlung? Die ist genauso bescheuert, wie sie lustig ist. Denn Ronny und Klaid sind beste Freunde und betreiben ihren eigenen Späti mitten in Berlin. Nur mit dem Umsatz hapert es noch ein bisschen. Als dann Klaid (der eigentlich Khalid heißt) eines Tages beim Roulette spielen 80.000 Euro verliert, haben sie ein großes Problem.
Das Besondere an „Ronny & Klaid“ ist definitiv der Humor. Die beiden Hauptcharaktere sind einzigartig und bleiben den gesamten Film lang sich selbst treu. Ob Klaids Angewohnheit, Sprichwörter falsch zu benutzen („Das ist sein Achilleus-Fuß!“), oder Ronnys allgemeine Verplantheit („Ich hoffe, du magst Heilbutt.“ – „Ich liebe Gemüse!“), die beiden haben's einfach drauf. Für die Nebenrollen konnten Größen wie Fatih Akim oder Jenny Elvers gewonnen werden – definitiv ein Zeichen für das Potential, dass in diesem Film steckt. jrot
"Ronny & Klaid" hat noch keinen deutschen Starttermin.
Die Rückkehr des Helden (Frankreich 2018)
"Die Rückkehr des Helden" erzählt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Jean Dujardin und Mélanie Laurent im 19. Jahrhundert. Cpt. Neuville (Dujardin) möchte Pauline heiraten, die Schwester von Elisabeth (Laurent), doch kurz nach dem Antrag muss er in den Krieg. Als die versprochenen Briefe ausbleiben und Pauline immer unglücklicher wird, fängt Elisabeth an, Briefe in Neuvilles Namen zu schreiben. Daraus entwickelt sich eine erfrischend lustige und pointierte Komödie, die nach Neuvilles Rückkehr ins Dorf umso absurder und unterhaltsamer wird. Laurent und Dujardin gehen in ihren Rollen auf als die sturköpfige und intelligente Elisabeth und der egoistische, aber sympathische Captain Neuville.
Natürlich bleibt „Die Rückkehr des Helden“ nicht ganz ohne Klischees, aber es gibt genug Orginalität und Humor, um darüber hinwegzusehen. Gegen Ende findet der Film auch eine gute Balance zwischen komisch und ernst , wenn Neuville von seinen wahren, traumatischen Erlebnissen im Krieg erzählt. Etwas mehr von diesem ernsten Thema hätte dem Film wohl gut getan, insgesamt aber bleibt "Die Rückkehr des Helden" eine gut gemachte Komödie mit viel Charme. jm
"Die Rückkehr des Helden" (im Original "Le Retour du Héros") kommt am 12. Juli 2018 in die deutschen Kinos.
Das schönste Mädchen der Welt (Deutschland 2018)
Das schönste Mädchen der Welt: Das ist Roxy, gespielt von der Schweizer Jungschauspielerin Luna Wedler. Jedenfalls wenn es nach Cyril geht, der sich auf Klassenfahrt in seine neue Mitschülerin verliebt. Blöd nur, dass Roxy sich wegen einer Verwechslung nicht in ihn, sondern in seinen nicht so hellen Zimmernachbarn Rick verliebt... Die neue Komödie von Aron Lehmann spart nicht mit Sex-Witzen, Gossensprache und allem, was man von einem Film im "Fack ju Göhte"-Umfeld erwarten kann. Trotzdem schafft es der Film, neben seinem teils nicht so hohen Anspruch, mit einer fröhlichen Handlung, sympathischen Darstellern, mitreißender Musik und intelligenten Dialogen zu überzeugen. Eine deutsche Komödie, die gute Laune macht. om
"Das schönste Mädchen der Welt" kommt am 06. September 2018 in die deutschen Kinos.
The Tale (USA/Deutschland 2018)
Eine auf tatsächlichen Ereignissen basierte Geschichte, erzählt von Jennifer Fox, die eine Kurzgeschichte aus ihrer Kindheit wieder findet und mit den Ereignissen von damals ganz plötzlich konfrontiert wird: Jahrzehnte später versucht die inzwischen 59-jährige Dokumentarfilmerin, sich an die Vergangenheit zu erinnern, und macht einen Film daraus. „The Tale“ ist wie eine Taschenlampe, die das Erlebte langsam ausleuchtet.
Filmisch raffiniert erzählt, wird die anfängliche “Liebesgeschichte” der Dreizehnjährigen langsam aber sicher als Vergewaltigung enttarnt. “The Tale” ist dabei kein plakatives Missbrauchsdrama: Es geht vielmehr um das Erzählen und die Erinnerung selbst. Oft belügen wir uns selbst und schreiben unsere eigenen Erinnerungen. Ein mitreißendes, sehr persönliches Drama, das unter die Haut geht. vs
"The Tale" hat noch keinen deutschen Starttermin. Unsere ausführliche Kritik lest ihr hier.