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Der unsichtbare Apfel

In seinen Songs begeistert er bereits mit cleveren Texten, nun versucht sich Käptn Peng an einem Buch. Ein Debütroman über die Unendlichkeit. Und Äpfel.

In seinen Songs begeistert er bereits mit cleveren Texten, nun versucht sich Käptn Peng an etwas Längerem. Ein Debütroman über die Unendlichkeit. Und Äpfel.

Wer M94.5 hört, der sollte ihn kennen: Käptn Peng ist Experte des feinen Wortspiels, jongliert geschickt mit Sprachgewohnheiten und Redewendungen und verkündet etwa mit seinen Tentakeln von Delphi, "Der Anfang ist nah". Doch so ein Song kann nur eine recht eingeschränkte Plattform bieten; viel mehr als fünf Minuten Platz ist da nicht, um den philosophischen Ergüssen freien Lauf zu lassen. Anders verhält es sich da mit dem Roman. Und um es mit einem solchen zu probieren, wird Käptn Peng zum Buchautor. Das Ergebnis: Robert Gwisdeks Debüt "Der unsichtbare Apfel".

Ein verlorenes Kind auf weiter Flur

Die Geschichte mit dem vielversprechend vagen Titel dreht sich um Igor. Der erste Satz öffnet sofort die Tür in ein junges Leben, das nicht so recht weiß, wohin: "Igor war ein unkonzentriertes Kind". Bevor die eigentliche Story beginnt, wird ein biografischer Überblick geboten, und zu Anfang klingt Igor durchaus nach jemandem, den man selbst kennen könnte. Er mag ein bisschen eigen sein, aber vielleicht ist er ja einfach nur Hipster?

"Igor kam in die Pubertät und mit ihr fing er an, bestimmte Dinge nicht mehr zu mögen. Bisher mochte er sehr viel, doch nun überkam ihn eine plötzliche Abneigung gegenüber Dingen, die von zu vielen anderen Menschen gemocht wurden. Ihr Mögen kam ihm wahllos vor und viele schienen bestimmte Dinge nur zu mögen, weil viele andere sie mochten. Dann lernte er andere Menschen kennen, die ebenfalls Dinge nicht mochten, weil sie von vielen anderen gemocht wurden, und fing an, es nicht zu mögen, wenn Leute etwas nicht mochten, nur weil es von vielen anderen gemocht wurde. Er war verwirrt und mochte eine Zeit lang das Mögen nicht mehr."

So eine pubertäre Identitätskrise mag jedem vertraut sein, doch bald sprengen Igors weltfremde Überlegungen jeden hormonbedingten Rahmen. Der Leser versteht schnell: Igor ist alles andere als gewöhnlich. Und das nicht nur dank seiner Besessenheit mit der Idee von Unendlichkeit.

Und er beschloss, die Welt zu vernichten

Spätestens nach sechzig der 350 Seiten verliert jeder Versuch, Zusammenhänge zum eigenen Alltag herzustellen, seinen Sinn. Denn mit 23 beschließt Igor, die Realität zu finden, indem er sich selbst aufspürt. Igor beschließt, hundert Tage allein in einem dunklen, stillen Raum zu verbringen. Und so beginnt ein zäher Fiebertraum.

Die Geschichte bewegt sich in Spiralen, in Zahlen, in geometrischen Figuren, und der Bezug zur Realität geht schnell verloren. Ob Igor sich nun immer noch in seinem dunklen Raum befindet, ob wir uns in seiner Fantasie bewegen oder seine Einbildung Wirklichkeit geworden ist, das scheint nebensächlich. Was auf der einen Seite die Möglichkeit für grenzenlose Wanderungen durch sein innerstes Wesen eröffnet, verliert sich auf der anderen leider oft in ausführlichen Bestandsaufnahmen und Gedankenkonstrukten, in denen man sich leicht verheddert. Igors Reise ist anstrengend.

"Am nächsten Morgen ergriff Igor eine zermürbende Ungeduld. Er schrie, schlug um sich, warf sich gegen einen Baum, hielt ihn fest, versuchte, ihn zu schütteln, rannte weiter, stürzte zu Boden, riss Grasnarben heraus, rieb seinen Kopf damit ein, riss schreiend Arme und Beine auseinander, fiel in sich zusammen, rollte umher, schlug und spuckte in die Luft, rannte gegen einen Baum, trat ihn, fasste nach einem Ast, zog sich hoch, ließ sich fallen, griff den linken Arm, versuchte, ihn herauszureißen, lachte, sprang auf, setzte sich hin, blieb sitzen, fiel um, hörte auf zu atmen, schrie mit dem Kopf im Nacken, brüllte, würgte, schlug mit der Faust in den Himmel und vergrub sein Gesicht in der Erde, und sprang und sprang und sprang, bis seine Lunge wund und seine Beine müde waren."

Hin und wieder fragt man sich, ob Igor der einzige ist, der hier so spektakulär seine Geduld (und den Verstand) verliert.

Vielleicht nicht gleich Unendlichkeit

Das Buch strotzt nur so vor Symbolik: Die Kapitel bilden eine Spirale, der Kreis verspricht Vollkommenheit, man erlebt Hinrichtung, Befreiung, Geburt. Da ist fast zu viel, das sich lautstark zur Interpretation anbietet. Es scheint ein wenig, als ließe sich Gwisdeks unverkennbarer Sprachstil nicht so recht von Songtexten auf ein längeres Format übertragen. Was sich an manchen Stellen anfühlt wie eine erwachsene Version von Alice im Wunderland, wirkt an anderer Stelle wiederum wie ein Sammelsurium von Metaphern, das unbeholfen nach Struktur sucht.

Eine Geschichte, die einen Mann Äpfel gebären lässt, die sich schließlich als magisch tanzende Kinder herausstellen, ist eine Geschichte, auf die man sich einlassen muss. Wer das tut, betritt ein fantastisches Gedankenexperiment. Ob es als solches erfolgreich ist, das liegt am Leser selbst.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
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Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

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