Filmfest 2015
Impro auf Deutsch
Bevor's am Drehbuch scheitert, das Skript lieber ganz weglassen? Deutscher Film macht das neuerdings ganz gerne. Das klappt nicht immer.
Deutsches Kino hat keinen sonderlich guten Ruf, zumindest nicht in seinem eigenen Land. Wer sich hierzulande "auskennt mit Film", der schwört auf Französischen Arthaus, Indie-Produktionen aus dem Süden der USA, vielleicht noch den kleinen Lieblingsfilm aus Island, der durchweg nonchalant vorgestellt wird mit: "Von dem hast du wahrscheinlich eh noch nie gehört". Das ist alles irgendwie cooler. Das ist "gutes Kino". Aber Deutschland? Das produziert doch nur Fünfohrrobben am laufenden Band, das wird kategorisch abgelehnt. Da muss was Neues her. Und es gibt da schon eine Idee, die zum Trend werden könnte.
Statt gekünstelter Dialoge einfach gar keine
Vielleicht ist es ja die Sprache, die so viele stört: Bei Filmen in der eigenen Muttersprache fällt jede Nuance doppelt so schwer ins Gewicht, jede holprige Betonung wird sofort registriert. Wenn die Schauspielerei dem beobachteten Akteur doch nicht so gut steht, dann wird das umso spürbarer, wenn das über Jahrzehnte antrainierte Sprachgefühl meldet: Nein, das klingt nicht echt. So redet doch niemand. So manches Drehbuch macht es seinen Schauspielern wirklich nicht leicht. Wieso also nicht einfach weglassen?
Zwei Beispiele für deutsche Filme ohne vorgefertigte Dialoge sind "Alki Alki" und "Schau Mich Nicht So An". Beide sind auf dem diesjährigen Filmfest München im Rahmen der Reihe "Neues Deutsches Kino" zu sehen.
Improvisiert wird am besten beim Sex
Für eines lässt sich der erste Kandidat durchaus loben: "Schau Mich Nicht So An" will mit Geschlechterrollen brechen, und das ist nie verkehrt. Im Zentrum der Geschichte steht die Beziehung zwischen einem ausschweifend lebenden Hedonisten und einem geerdeten Romantiker - alles schon mal da gewesen. Nur geht es hierbei nicht wie gewohnt um Mann und Frau, sondern beide Protagonisten sind weiblich. Ja, man sehe und staune, auch Frauen können Machos sein. Das bleibt allerdings nicht sehr lange erfrischend, denn bis auf ihre burschikos-legere Art hat Hedonistin Hedi (Zufall?) nicht viel, was sie sympathisch macht.
Die improvisierten Dialoge wirken vielleicht nicht so gestelzt, wie es im Vorhinein geskriptete getan hätten, aber dadurch fehlt den Figuren auch die Tiefe, die sie glaubhaft machen würde. Ja, das kleine Mädchen, das die beiden zusammen bringt, ist niedlich. Klar, der hört man gerne dabei zu, wie sie sich lautstark gegen die Fahrt zum Kindergarten wehrt. Aber vor der unterkühlten Affäre zwischen den beiden Frauen wirkt alles seltsam flach, sogar das Kinderlachen. Die Momente, die von der Improvisation am meisten profitieren, sind wahrscheinlich die Sexszenen. Die sind in ihrer ungelenken Art nämlich weit realistischer als der Rest des Films.
Sucht kennt keine Regeln
Im Gegensatz dazu tut "Alki Alki" das Fehlen eines klaren Drehbuchs sichtlich gut. Es sind mehr oder minder lose Szenen, die sich hier aneinander reihen, und dabei agierte Axel Ranisch ("Ich fühl mich Disco") mehr als "Spielleiter" als als Regisseur. Wenn Protagonist Tobias mit seiner Alkoholsucht ringt, dann passen da eben keine geschliffenen Dialoge rein. Erst recht nicht, wenn seine Sucht verkörpert wird durch "Flasche": sein bester Freund und unnachgiebiger Verfolger. Niemand kann Flasche sehen außer Tobias, aber das macht es nicht minder schwierig, ihn abzuwimmeln. Ständig redet er auf Tobias ein, zerrt ihn auf Partys, wispert ihm blöde Ideen ins Ohr. Das wird schnell mal flapsig, aber nie erzwungen, und darin liegt der springende Punkt: "Alki Alki" fühlt sich trotz seiner surrealen Momente echt an. Bei diesem unangenehmen Thema tut das durchaus weh. Und das soll es auch.
Neben der Materie verfügt "Alki Alki" über ein weiteres Element, das die Improvisation lohnenswert macht: Die Musik. Robert Gwisdek ("Käptn Peng") tritt wiederholt als Bänkelsänger auf und verleiht dem Film mit seinen musikalischen Kommentaren beinahe Theater-Flair. Das beschönigt nichts, sondern spitzt Empfindungen zu. Dass in diesem Film so einiges unfertig wirkt, ist sein Gewinn.
Improvisation ist nicht gleich Improvisation
Allein dieser kleine Vergleich zwischen zwei grundverschiedenen Filmen macht klar: Nicht jeder Stoff kann von Spontaneität profitieren. Existiert es also doch nicht, das Wunderheilmittel für das Deutsche Kino? Die Antwort ist wenig überraschend: Nein. Aber vielleicht liegt hier immerhin ein Denkanstoß verborgen. Denn vielleicht lässt sich nicht alles in klare Spielanweisungen herunterbrechen. In jedem Fall lohnt es sich, mal etwas Neues auszuprobieren. Und das gilt nicht nur für Filmemacher, sondern auch für Kinobesucher, die Deutschen Film schon längst abgeschrieben haben. Eine klare Fehlentscheidung.
Sowohl "Schau Mich Nicht So An" als auch "Alki Alki" sind mehrfach im Programm des 33. Filmfests München vertreten. Außerdem veranstaltet der Verband der Deutschen Filmkritik im Rahmen des Filmfests ein Panel zum Thema: Wer entscheidet über den Deutschen Film? ("Der Deutsche Film kann noch viel besser sein.") Die Diskussionsrunde findet statt am Samstag, den 27. Juni, um 11 Uhr in der Black Box im Gasteig. Der Eintritt ist frei.