Filmkritik
Nomaden des Himmels
In den unberührten Weiten von Kirgisistan lebt eine Nomadenfamilie in Frieden... bis Bagger anrücken und die Idylle zu zerstören drohen.
In den Weiten eines grünen Tals irgendwo in Kirgisistan steht ein kleines, rundes, schmutzig-weißes Zelt. Daneben ein kleiner Unterstand, ein Pflock zum Anbinden von Tieren und ein Stapel Brennholz. Im Hintergrund funkelt der Schnee auf den hohen Berggipfeln, ein glucksender Fluss windet sich durch die Landschaft. Einige Pferde grasen in der Nähe, ihr Fell schimmert rostbraun in der Sonne, ein paar Wolken jagen über den blauen Himmel. Diese idyllisch anmutende Szenerie hat sich Regisseur Mirlan Abdykalykov ausgesucht, um die zarte Geschichte einer Nomadenfamilie zu erzählen, in deren Leben sich langsam Anzeichen einer neuen Zeit einschleichen.
Milch zur Besänftigung der Geister
Es ist ein sehr traditionelles, urtümliches Leben, das die Familie – ein altes Hirtenpaar, ihre Schwiegertochter Shaiyr und die Enkeltochter Umsunai – führt. Im Morgengrauen aus dem Fluss Wasser holen, die beiden Kühe melken, Wolle spinnen, dazwischen in die Wolken schauen oder ein Schälchen Milch auf die Erde stellen, um einem verzauberten Vogel aus einer alten kirgisischen Legende zu besänftigen. So sieht der Alltag der Nomaden aus. Vor allem der Großmutter ist es sehr wichtig, sich das Leben, wie sie es kennt, zu erhalten. Deshalb gefällt es ihr überhaupt nicht, als der Metereologe Ermek in ihre Nähe zieht und ihrer Tochter Avancen macht, denn er hat vor, in die Stadt zu gehen. Die moderne Stadt mit ihrem Lärm, ihrem Schmutz und ihren vielen Menschen: sie wirkt weit, weit entfernt von dem idyllischen Tal der Nomaden. Doch ihre suchende Hand streckt schon die Finger nach diesem wunderschönen Ort aus.
Zwischen Regenschirmen und Vorwürfen
Die ersten Veränderungen kommen, als der Sohn Ulan, der in der Stadt Architektur studiert, zu Besuch kommt. Er bringt Geschenke aus der Zivilisation mit, welche merkwürdig fehl am Platz wirken, in dieser Gegend, wo es nichts als Natur gibt. Die kleine Umsunai trägt den weißen Regenschirm jedoch stolz durch die Gegend und fragt ihren großen Bruder, wie diese fremde Stadt denn so sei. „Sie ist interessant“, antwortet er, „es gibt da andere Sachen, Diskotheken und Kinos und so etwas.“ Der Reiz und die Möglichkeiten, die in der Urbanität liegen, werden nicht nur durch Ulan deutlich. Auch die Großmutter wittert die Gefahr, sie geht für sie vor allem von Ermek aus. Der Mutter-Tochter-Konflikt läuft vordergründig auf der non-verbalen Ebene ab. Einige vorwurfsvolle Blicke, die durch den Raum geschickt werden hier, ein stummes Hinwerfen der eben geholten Wassereimer dort. „Nomaden des Himmels“ kommt ohne viele Worte aus. Der Film wird von den Bildern getragen, von der Mimik und der Gestik der Schauspieler, von den Geräuschen der Natur. Auch auf Musik wird fast gänzlich verzichtet. Lediglich der sehnsüchtige Klang einer alten Flöte begleitet ab und zu das Lächeln des Großvaters oder das Spielen der kleinen Umsunai.
Mit ruhigen Tönen und zartem Gespür für herzerwärmende Momente inszeniert Mirlan Abdykalykov diesen Film, eine Mischung aus Dokumentarfilm und Familiendrama, der einem den Zauber der Natur wieder deutlich macht.
"Nomaden des Himmels" läuft ab dem 14. April 2016 im Kino.