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Die Hermann-Hesse-Nacht im Gasteig zum Nachlesen und Nachhören

Reise mit Umwegen

Quelle: Salvan Joachim für M94.5

Vom Hass auf Holländer, inneren Frieden und Selbstmitleid: Konstantin Wecker, Gunnar Decker und Robert Stadlober lesen Hesse am Literaturfest in München - mit kleinen Entdeckungen.  Vom Hass auf Holländer, inneren Frieden und Selbstmitleid: Konstantin Wecker, Gunnar Decker und Robert Stadlober lesen Hesse am Literaturfest in München - mit kleinen Entdeckungen. 

Er verachtete das Theater, mal abgesehen von seinem eigenen "Magischen Theater", zu dem nur Verrückte Zugang haben und dessen Eintritt dem Besucher den Verstand kostet. Hermann Hesses Steppenwolf war eine Schul- und Erbauungslektüre für eine ganze Generation, Quelle der Inspiration für Hippies und Hardrocker, genau wie der zur Ruhe gekommene, am Fluss sitzende Siddhartha. Hesses Romane und Gedichte sind ein Rückzugsort zum Spüren der Einsamkeit. Wer bitte braucht da noch einen Theaterbesuch? "Ganz das Pietistenkind", wie der Hesse-Biograf Gunnar Decker auf der Bühne im ausverkauften Carl-Orff-Saal sagt, war ihm das Zurschaustellen auf der Bühne fremd. Mit einer Ausnahme: In den Münchner Kammerspielen besuchte Hesse eine Inszenierung von und mit Karl Valentin, dokumentiert in der "Nürnberger Reise" von 1925. Sie brachte den sonst so zögerlichen und zweifelnden Hesse zum Lachen. 

Es ist nur eine von mehreren unbekannten Anekdoten aus dem Leben von Hermann Hesse, die neue Facetten des Autors zeigen, den viele Leser doch gut zu kennen glauben. Und in einigen Momenten wird der Abend so zu einer Erfahrung, für die wohl die meisten Besucher auch den Autor selbst schätzen: Ausflüge ins Ungewisse auf der Suche nach Gewissheit. Der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker liest Lyrik, "Stufen" und "Im Nebel" sowie "Landstreicherherberge" und "Mit der Eintrittskarte zur Zauberflöte". Er erzählt, dass er gerade das Intuitive, das Emotionale an Hesse schätzt, da dies doch so viel mehr zu Tage tragen könne als die Ratio. Und wer Weckers Lieder kennt, wird diesen Gedanken bei ihm wiederfinden. Und so hätten sich bestimmt auch viele Zuschauer - ebenso wie Gunnar Decker - vorstellen können, dass Wecker ein Gedicht vertont und singt. Auch wenn das der Mentalität des vor 50 Jahren verstorbenen Schriftstellers wenig entspräche, der schon das Vorlesen seiner eigenen Texte als Qual empfand. Decker selbst wird einen Brief an Hesses dritte Ehefrau Ninon vorlesen, in dem dieser von seinem Unbehagen beim Vorlesen schreibt und in dem sein Hang zum Selbstmitleid deutlich wird. 

So weit Hesse reist, so weit reisen auch seine Figuren - die Ankunft ist immer auch ein Aufbruch. Und allzeit bleibt sein Werk doppeldeutig und ambivalent. Im Kurgast, eindrucksvoll gelesen von Robert Stadlober, zeigt sich die Kehrseite von Siddharthas innerem Frieden. Hier ist es der Hass auf den Holländer im Nachbarzimmer des Hotels, der immer größer wird - mit jedem Schritt, den der Erzähler hört, mit jedem Schniefer, den der Nachbar ausstößt, mit jedem Gast, den er empfängt. 

Teils orientierungslos ist die Hermann-Hesse-Nacht; Gunnar Decker ist in seiner Rolle als Biograf, Lesender und Moderator etwas überfordert. Und doch: Gerade dieser Abend brauchte keine strikte Planung. Die Spontanität und Improvisation der drei Gastgeber machen die Veranstaltung zu der Art von Reise, die Hesse viel lieber war als die mit der Bahn von Lesung zu Lesung. Und so bleibt er auch an diesem Abend der Autor für die Reise ins Innere, die Reise in die Einsamkeit, die ja als Fluchtpunkt in der Gegenwart nicht an Aktualität eingebüßt hat und doch immer eines bleibt: erlösend und verwirrend zugleich, eine Weltflucht mit Widerhaken.
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