Secondhand Affairs
Kleider machen Leute - und erzählen manchmal ganze Geschichten. Alte Fummel werden im I-camp zum Kondensationspunkt kultureller Differenzen.
Auf der Bühne liegt ein riesiger Berg Kleidung. Gebrauchte Kleidung, die ihre eigenen Geschichten zu erzählen scheint. Die Atmosphäre ist gespannt, geladen, man möchte wissen, was es mit den Hemden, Hosen und Röcken auf sich hat. In Mitten dieses Berges liegen zwei Menschen. Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, zwischen denen sich aber dennoch ein verbindendes Band spannt. Das Band der Musik, des Tanzes und dem Durst nach Leben.
Es sind die Sopranistin Katrina Krumpane aus Lettland und der Tänzer Ahmed Soura aus Burkina Faso, die sich in "Secondhand Affairs" in fremde Kleidung hüllen und somit andere Kulturen und Traditionen überstreifen. Bei jeder Bewegung tanzen unzählige Staubkörnchen im Scheinwerferlicht, als wären es aufgeschüttelte Erinnerungen, die an den Kleidungsstücken kleben.
Je veux vivre
Katrina beginnt zu singen. "Je veux vivre", "Ich will leben" aus der Oper "Roméo et Juliette" von Charles François Gounod. Danach tanzt Ahmed mit jeder Faser seines Körpers. Spätestens jetzt ist man nicht mehr Zuschauer eines geschriebenen Stückes. Es ist vielmehr der Einblick in Lebensausschnitte von Katrina und Ahmed. Mit Hilfe der gebrauchten Kleidung, Tanz und Gesang, lassen sie uns erahnen, welche kulturellen und biographischen Hintergründe, welche Vorurteile und Gemeinsamkeiten sie haben und wie sie die heutige Transnationalität erfahren.
Für den Zuschauer bedeutet das eine Achterbahn der Gefühle. Die Stimmung variiert von gemeinsamen fröhlichem Tanz und Gesang, bis hin zu absoluter Ohnmacht und dem Schrei nach Hilfe von Ahmed. Hilfe für die arme Welt, aus der Ahmed kommt. In dieser Szene geht das Publikumslicht an. Plötzlich ist man nicht mehr bloßer Beobachter, sondern involvierter Akteur einer Szene, die der Realität nicht ähnlicher sein könnte. Ahmed hämmert auf das Piano ein, er sucht Blickkontakt mit den Zuschauern, er ruft nach ihnen. In seinen Augen spiegelt sich das "Je veux vivre" wieder, das Katrina zuvor sang. Das Band, welches die beiden verbindet. Aber so wie Katrina, die sich nun hinter dem Berg aus Kleidung, ihrem Reichtum versteckt, bleibt auch das Publikum unsichtbar. Keiner rührt sich, es herrscht eine unangenehme und bedrückende Stille im Raum.
Gemeinsame Welt
Doch auch die Versöhnlichkeit wird deutlich. Die Liebe dieser beiden Menschen, dieser beiden Welten zueinander, scheint immer dann am stärksten, wenn Ahmed und Katrina den Überfluss der Kleidung nicht beachten und einfach nur sie selbst sind.
Dann werden aus zwei Welten wieder Eine.