So war das Roskilde Festival 2018
Alles in Orange
Das Roskilde-Festival in Dänemark beweist durch Line-Up und Organisation einmal mehr seine Vorreiterposition unter den europäischen Festivals.
Wer das Roskilde-Festival besucht, wird zwangsläufig sehr viel von der Farbe Orange sehen. Sie ist das Markenzeichen der Veranstaltung – und das nicht nur wegen des orangen Zeltdachs der Hauptbühne. Nein, orange steht laut den Veranstaltern auch für die positive und optimistische Einstellung, die die Besucher hier erfahren sollen. Bei dem diesjährigen Line-Up könnte die Stimmung für Musikfans kaum oranger sein. Wir waren vor Ort in Dänemark und das waren unsere Höhepunkte:
Lang lebe das Gitarrensolo
Das klare Highlight des ersten Festivaltages war die Show von St. Vincent. Mit Annie Clarks knallorangenem Kunststoffkleid und der Auswahl ihrer Signature-Gitarre in ebenso schrillen Farbtönen war sofort klar, dass das hier keine 08/15-Indierock-Show wird. Lichtshow, Choreographie und jede Menge Theatralik - der Auftritt war gleichzeitig Kritik und Lobeshymne am zeitgenössischen Pop-Bombast und dabei aber an keiner Stelle zu verkopft. Clark hat mit ein paar wirklich eindrucksvollen Gitarrensoli nämlich nicht nur bewiesen, dass solche Einlagen nicht zusammen mit dem Hair-Metal begraben werden sollten, sondern auch, dass sie zur Zeit wohl eine der besten und spannendsten Gitarristinnen auf dem Feld ist.
Von ganz leise bis ganz laut
Der zweite Festivaltag ging schon früh los: Haley Heynderickx aus Oregon konnte das Publikum aber trotz des undankbaren Slots um kurz nach zwölf mit ihrer Musik verzaubern. Die junge Künstlerin hat – unterstützt nur von einer Bassistin und einem Drummer – ein Set mit minimalistisch gehaltenen Folksongs gespielt, bei denen der Fokus immer auf ihrer Stimme und den wunderschönen Gitarrenfiguren lag. Am Schluss hat es der Menge so gut gefallen, dass der Applaus gar nicht mehr aufhören wollte.
Später am Tag ging es mit Post-Punk von den Preoccupations (ehemals Viet Cong) weiter. Die Kanadier konnten, obwohl ihnen erst ein paar Wochen zuvor der Van mit dem gesamten Equipment gestohlen wurde, ein spannendes Set spielen (Crowdfunding sei dank), das wie gewohnt in einer fast 20-minütigen Version ihres Songs Death mündete.
Das große Highlight für alle Shoegaze-Fans kam erst spät in der Nacht: Zwei Stunden nach Mitternacht spielten My Bloody Valentine eines ihrer seltenen Konzerte. Es war eine ihrer ersten Shows nach fünf Jahren Pause – und leider hat man das auch gemerkt. An einer Stelle brauchte Schlagzeuger Colm Ó Cíosóig drei Anläufe, um einen Song zu starten, und Kevin Shields schien andauernd Probleme mit seinen Gitarren zu haben, was immer wieder für unangenehm lange Pausen zwischen Songs sorgte. Wenn es aber mal lief und man von der schieren Lautstärke und den psychedelischen Visuals in den Bann gezogen wurde, dann war auch klar, warum diese Band geradezu kultische Verehrung bei ihren Fans erfährt.
Das absolute Stimmungshoch gab es beim Konzert der Fleet Foxes am dritten Festivaltag. Das Set war gespickt mit Klassikern wie White Winter Hymnal, Mykonos oder Helplessness Blues, bei denen die Zuschauer freudig mit einstimmten. An keiner Stelle war hier zu erkennen, dass das Folk-Revival nun schon eine ganze Zeit lang vorbei ist.
Zwei Großmeister hintereinander
Headliner des Tages war Nick Cave mit seinen Bad Seeds, der zwischen Eminem, Bruno Mars und den Gorillaz ein bisschen aus der Reihe fiel. Und auch wenn er im Gegensatz zu Eminem und Co. auf Pyro-Effekte verzichtetete, ...ach ihr könnt euch das "feurige Show"-Wortspiel selber aussuchen. Fest steht, dass Nick Cave seinem Headlinerstatus alle Ehre gemacht hat!
Am gleichen Abend gab es noch eine weitere Musiklegende zu bestaunen. David Byrne von den Talking Heads hat seine neue Bühnenshow mit auf das Roskilde-Festival gebracht. Die zeichnet sich dadurch aus, dass die Bühne komplett leer ist - alle Musiker tragen ihre Instrumente mit sich herum, sogar ein mobiles Schlagzeug gibt es. Das erlaubt eine für jeden Song eigens konzipierte Choreographie. Die Idee geht perfekt auf und auch musikalisch geht dadurch nichts verloren – David Byrne hat mal wieder bewiesen, dass er immer noch der spannendste Exzentriker der Pop-Musik ist.
Eine Prise Hip-Hop darf nicht fehlen
Die interessantesten Hip-Hop-Künstler hat sich das Roskilde für den vierten und letzten Festivaltag aufgehoben. Zuerst Danny Brown aus Detroit, der ohne seine Zahnlücke zwar ein bisschen unauffälliger aussah, mit seiner wirklich sehr charakteristischen Stimme aber immernoch für jede Menge Stimmung im Publikum gesorgt hat. Später hatte dann Vince Staples seinen Auftritt. Der Rapper aus Kalifornien hat letztes Jahr mit Big Fish Theory das wohl wichtigste Hip-Hop Album 2017 veröffentlicht. Wahrscheinlich auch deswegen war seine Konzert auf der relativ kleinen Apollo-Stage auch ziemlich gut besucht.
Die Gorillaz bildeten den Abschluss eines ereignisreichen Festivals. Damon Albarn, der schon seit einiger Zeit auf die Hologrammversionen von 2D, Noodles, Murdoc und Russell verzichtet und stattdessen selber auftritt, trug zur Feier des Sieges über Schweden ein Trikot der Three Lions. Die Stimmung war gut, auch dank der vielen Featuregäste, die für ihre jeweiligen Songs auf die Bühne kamen. Für Clint Eastwood, den letzten Song des Sets, trat dann auch Del The Funky Homosapiens auf, der aber kaum seine erste Zeile rappen konnte, bevor er blindlings in den Bühnengraben stürzte. Auf die Verwunderung (es hätte ja so ein Stunt wie bei den Foo Fighters sein können) folgte dann erste Besorgnis. Albarn konnte dem Publikum nach einigen Minuten des Wartens dann aber mitteilen, dass es Del soweit gut geht. Etwas irritiert bedankte er sich dann noch bei der Menge und entschuldigte sich für das abrupte Ende.
Trotz dieses eher ungewöhnlichen Ausklangs, konnte man im Nachhinein auf vier großartige Festivaltage zurückblicken, die gezeigt haben, dass ein Festival, auf dem vom Metalhead bis zum Charthörer für jeden etwas dabei ist, trotzdem ein schönes und gut ausgesuchtes Line-Up haben kann. Tak Roskilde!