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Clarence Clarity - No Now [Bella Union / PIAS Coop]

Platte des Monats März 2015

Autor(en): Vanessa Patrick am Mittwoch, 4. März 2015
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Quelle: Clarence Clarity/Bella Union/PIAS Coop

Clarence Clarity - No Now [Bella Union / PIAS Coop]

Clarence Clarity vereint Space-Funk der 70er, Prince-Pop der 80er und Boyband-Schmalz der 90er zu einem Cocktail, der alle Genregrenzen zu sprengen scheint. Unsere Platte des Monats März: Clarence Clarity - No Now.

Clarence Clarity vereint Space-Funk der 70er, Prince-Pop der 80er und Boyband-Schmalz der 90er zu einem Cocktail, der alle Genregrenzen zu sprengen scheint. Unsere Platte des Monats März: Clarence Clarity - No Now.

Am Anfang ist das Mysterium. Mittlerweile schon vor gut 1 1/2 Jahren, also im Sommer 2013, stellt ein gewisser Clarence Clarity erste Songs ins Netz. Ein ungehörter Mix prasselt auf die Blogosphäre ein. Verstörend, überfordernd, aber eben auch unfassbar spannend und innovativ. Gepaart mit psychedelischen Visuals präsentiert Clarence seinen weirden Sound-Kosmos der Öffentlichkeit. Die, neugierig wie sie nun mal ist, fängt sofort an, mehr über die Person hinter diesem wahnwitzig und zuweilen größenwahnsinnig wirkenden Projekt in Erfahrung zu bringen. Und bekommt, was seit Jahren Trend zu sein scheint: Halbwahrheiten, Lügen, sich widersprechende Informationen. Das Mysterium Clarence Clarity ist geboren.



Eigentlich stecke hinter dem Projekt Burial, also ein Künstler, der bis heute kaum Informationen über sich preisgibt, vermuten einige. Andere sehen hier eher Jai Paul am Werk, von dem seit Jahren ein Debütalbum erwartet wird und über den anfangs auch so gut wie nichts bekannt war. Als müsste hinter jedem neuen Mysterium ein anderes, schon bekanntes stecken. Beide Seiten werden eines Besseren belehrt. Denn auch wenn Clarence sich immer noch bedeckt hält, was die eigene Identität betrifft - der junge Londoner ist weder Burial noch Jai Paul. Und entgegen weiterer Gerüchte, stammt er auch nicht von den Fidschi-Inseln. Angesichts des musikalischen Wahnsinns, wäre das aber auch echt eine Spur zu viel des Guten. Angesprochen auf die Halbwahrheiten und Falschinformationen, gibt Clarence dann auch freimütig zu, dass er selbst in Interviews Sachen erfinde. Seine eigene Person ins Rampenlicht stellen ist seine Sache nicht. Dafür scheint es ihm diebischen Spaß zu machen, die Leute hinters Licht zu führen.

Knoten im Hirn

Und das gilt nicht nur für Interviews, sondern auch für Clarence Claritys Sound, der auch ohne exotischen Fidschi-Background schon spannend genug ist. Schon auf seiner ersten EP Save Thyself 2013 zeigt sich: Dieser Sound ist kaum zu durchschauen. Brüche, unerwartete Stimmungswechsel, cheesy Boyband-Momente, auf die ein metalähnliches Chaos folgt. Hier ist nichts so, wie es scheint. Und musikalisch eindeutig einordnen kann man das schon gar nicht. Obwohl beim Hören ein Assoziationsgewitter sondergleichen auf einen herabrauscht. Und dieses Gewitter wird auf No Now nur noch größer, bedrohlicher, verrückter. 20 Tracks, von denen nur wenige als Übergangsversatzstücke dienen, prall gefüllt mit allerlei Überraschungen.



Porn Mountain zum Beispiel wähnt einen lange im Funk-Pop der Prince-Ära, am Ende drängen aber immer mehr Störgeräusche den funky Basslauf in den Hintergrund, ohne dabei dem Pop-Appeal gänzlich die Luft zu nehmen. Meadow Hopping, Traffic Stopping, Death Splash dagegen fängt als Acid-Version eines indischen Banghra-Songs an, bei dem irgendwann die Backstreet Boys die Kontrolle übernehmen. Und spätestens nach dem vierten unerwarteten Bruch in den Songs stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie zum Teufel bekomme ich diesen Knoten wieder aus meinem Hirn raus?

Animierter Dino trifft halbnackte Tänzerin

No Now ist Clarence Claritys Spielplatz. Den Songs ist schon anzumerken, was für einen Spaß er hat. Überall Richtungswechsel und verrückte Übergänge. Angesprochen darauf, bestätigt der Engländer dann auch, dass es ihm eine wahre Freude ist, von einem Extrem ins andere zu hüpfen. Vom Klamauk zum Ernst, vom triefenden Schmalz zum Chaos, selten lagen diese Extreme so nah beieinander. Und dieses Vermischen von Einflüssen zeigt sich auch in Clarence Claritys Videos. Animierte Dinosaurier, halbnackte Tänzerinnen, Totenkopf-Figuren mit einer Vorliebe für Sturmgewehre, Mönche mit Mündern als Augen, ... auch hier eröffnen sich einem ungeahnte Welten, die teilweise sogar in 3D dargeboten werden.



Eines der eher gediegeneren Videos ist das zu Bloodbarf. Visuell mag das am weitesten weg sein von der hochexplosiven Mischung, für die Clarence Clarity steht. Thematisch behandelt es aber einen der zentralen Einflüsse, die auf No Now durchscheinen: Boybands. Es scheint, als hätte der Engländer eine besondere Vorliebe für den Sound von Backstreet Boys bis *NSYNC. Gerade letztere finden über die Person Justin Timberlake Einzug in die Videowelt des Clarence Clarity. Und Songs wie Let's Shoot Up könnten durchaus als moderne Version eines *NSYNC-Song durchgehen, wäre da nicht das unbändige Chaos, das hier und da aufblitzt und sich am Ende durchzusetzen scheint, nur um gleich wieder von einer noch cleaneren Refrain-Strophe zurück in den Höllenschlund befördert zu werden.

Pop und seine Dekonstruktion

Boyband-Anleihen und die Tatsache, dass auch ein gewisser Prince omnipräsent ist (an vielen Stellen wirkt es gar, als hätte Clarence sich hier einiger Samples bedient, so nah ist er am Sound des 80er-Helden dran), lässt einen beim dritten oder vierten Mal Hören davon abkommen, No Now als ungeordnetes Chaos zu sehen. Langsam aber sicher bricht sich der Sound herunter auf die eigentliche Struktur. Und plötzlich sieht man die Brüche und das Chaos gar nicht mehr und die Songs erscheinen als das, was sie eigentlich sind: Pop-Songs.

Zugegeben, wir haben es hier mit einer sehr dekonstruierten Form des Pop zu tun. Und kaum einer würde die weirden Soundskizzen des Engländers mit dem Plastik-Pop der Single-Charts vergleichen. Aber im eigentlichen Kern ist No Now ein wilder Ritt durch die Pop-Phasen der Vergangenheit. Und so verwundert es auch nicht, dass Clarence Clarity sich als absoluter Pop-Fan outet, dessen Antrieb und, nach eigenen Angaben, naiver Traum es ist, dass er den Pop in eine anspruchsvollere Richtung lenkt.



Sollten Aussagen wie diese ernst gemeint sein, könnte man ihm Größenwahn unterstellen. Was angesichts der Musik niemanden wundern würde. Fakt und Fiktion liegen aber bei Clarence Clarity eben manchmal sehr nah beieinander. Und wer weiß schon, ob das mit dem Pop-Anspruch nun wahr ist. Oder seine Aussage, er hätte Kontakt zu Außerirdischen und überhaupt: Gott hätte ihm den Auftrag erteilt, Musik zu machen.


No Now von Clarence Clarity erschien am 27. Februar 2015 auf Bella Union/PIAS Coop.

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