Home > Politik > „Entweder man macht Propaganda oder Garnichts“
Interview mit der iranischen Filmemacherin Narges Kalhor

„Entweder man macht Propaganda oder Garnichts“

Autor(en): Mariel Müller am Dienstag, 19. März 2013
Tags: , , , , , , , , ,
Quelle: (c) Narges Kalhor

Narges02

Sie ist Tochter des Top-Beraters von Ahmadinedschad und Asylsuchende in Deutschland. Doch vor allem ist Narges Kalhor eines: leidenschaftliche Filmemacherin.

Iranerin, Asylsuchende in Deutschland und Tochter eines Top-Beraters von Präsident Ahmadinedschad – alles das ist Narges Kalhor. Doch vor allem ist sie eines: leidenschaftliche Filmemacherin.

Das Iran Cinema Filmfestival gibt den Münchnern jedes Jahr Gelegenheit in ein Land einzutauchen, das der bayerischen Landeshauptstadt nicht unähnlicher sein könnte: Iran. Kuratorin des Festivals ist die Regisseurin Narges Kalhor. Die zierliche 28-Jährige lebt seit ihrem Antrag auf politisches Asyl 2009 in Deutschland und studiert an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen. Zurück in ihr Heimatland will die junge Iranerin vorerst nicht. Sie hat Angst vor einer Verhaftung oder permanenter Überwachung durch den iranischen Geheimdienst. Narges steht unter dem Verdacht, einen regimekritischen Film im Ausland veröffentlicht zu haben. Zu Unrecht, erzählt sie im Interview und spricht über die hoffnungslose Lage iranischer Filmemacher und ihre eigene Geschichte.


Du hast an der Filmhochschule in Teheran Spielfilmregie studiert, bis die Schule geschlossen werden musste. Wie kam es zu der Schließung?

Narges Kalhor: Ach, das war total witzig. Meine Filmschule hat pro Jahr an die siebzig Kurzfilme produziert, sogar bei der Themenwahl hatten wir freie Hand. Irgendwann hat der Staat das aber nicht mehr akzeptiert. „So viele Filme braucht Iran nicht“, war die Begründung. Und obwohl das eine vom Staat unabhängige Filmhochschule war, wurde sie einfach geschlossen. Sie waren wohl mit der Kontrolle und Zensur all dieser Filme überfordert.

Dein Vater war ein enger Berater von Präsident Ahmadinedschad im Bereich Kultur und Medien, er war also Unterstützer der Regierung. Wann ist dir klar geworden, dass du diese politische Einstellung nicht teilst?

Das hat eigentlich genau mit dem Problem in unserer Schule angefangen. Da habe ich gemerkt: Oh oh, hier darf man nicht alles machen, was man will. Immer diese ständige Zensur! Ständig Leute, die das Drehbuch und später den Dreh genauestens kontrollieren. Damals haben meine Freunde und ich angefangen Underground-Filme ohne Drehgenehmigung  zu machen. Aber uns war schnell klar: Das kann nicht unsere Zukunft sein. Bis wann wollen wir Underground-Filme drehen ohne sie jemals irgendwo zu zeigen?

Wie hat sich diese Repression auf deine Filme ausgewirkt?

Das waren alles so pessimistische Filme. Wenn ich sie mir heute ansehe, erkenne ich wie düster sie sind. Ich hatte damals Recht. Die ganze Atmosphäre im Iran ist geprägt von einem düsteren Gefühl. Wenn man Kunst schaffen will, dann ist das Thema zwangsläufig ein schmerzhaftes.

Einen deiner Filme hast du in Nürnberg beim Filmfest für Menschenrechte präsentiert, es gab großen Aufruhr deswegen. Was ist da passiert?

Ja, ich war damals wegen meines Films „Die Egge“ in Nürnberg. Ich hatte den Film ohne Genehmigung gedreht. Ein Jahr Arbeit hat in diesem Film gesteckt. Ich hatte einfach Pech, weil ich den Film genau nach der iranischen Präsidentschaftswahl 2009 an Festivals überall in Europa geschickt habe. Zu der Zeit war hier in Deutschland der Iran das Thema in den Medien, so wie Syrien jetzt. Und da hat mich meine Schwester angerufen und mir gesagt, dass Fotos von mir im Internet aufgetaucht sind. So ist also rausgekommen, dass ich die Tochter von Mehdi Kalhor bin, der damals Berater von Ahmadinedschad war. Das wurde zu einer großen Nachricht, und das obwohl ich nicht einmal Kontakt zu meinem Vater hatte. Er wusste gar nicht, dass ich in Deutschland bin. Irgendwann bekam ich die Nachricht: "Narges, es ist gefährlich, wenn du jetzt zurückkommst, du wirst am Flughafen in Teheran Probleme kriegen". Innerhalb eines Tages musste ich die Entscheidung treffen, ob ich zurückfliege oder nicht. Ich habe mich dagegen entschieden.

Warum wurde "Die Egge" überhaupt als irankritisch eingestuft? 

Ja, gute Frage, ich weiß es auch nicht (lacht). Der Film ist angelehnt an Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“. Darin geht um Strafe und Tod. Zur gleichen Zeit war aber das „Kahrizak Gefängis“ gerade ein großes Thema im Iran. Im „Kahrizak Gefängis“ waren viele Studenten und Anhänger der Grünen Bewegung inhaftiert. Dort wurden sie gefoltert und zum Teil umgebracht. In meinem Film geht es auch um Strafe und Gefängnis, aber es gab keinen Bezug zum Iran oder der aktuellen Situation im Land. Ich bin Opfer dieser Umstände geworden, auch weil ich die Tochter von Mehdi Kalhor bin.

Dein Schicksal ist also eng mit der Grünen Bewegung von 2009 verbunden. Nach der Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads zum Präsidenten, gingen tausende Menschen auf die Straße um gegen ihn zu protestieren. Hast du auch an den Demonstrationen teilgenommen?

Ja, man kann sagen, alle haben teilgenommen. Wir wussten, wenn Ahmadinedschad wiedergewählt wird, wird die Situation im Iran nur schlimmer. Wirtschaftlich ist das Land eine Katastrophe! Wir wussten, wenn es so weitergeht, ist das Land bald am Ende. Besonders die Jugendlichen waren wütend. Es hat uns gereicht!

Trotz allem blieben die Demonstrationen erfolglos. Wie siehst du trotz dieser Entwicklungen die Zukunft des iranischen Films?

Ich werde traurig, wenn ich an sie denke. Ich sage dir warum: Die berühmten und erfolgreichen Filmemacher machen ihre Filme nicht im Iran, sondern im Ausland. Ich denke aber dieser Geist, die Gefühle und diese bestimmte Atmosphäre, die man vom iranischen Film kennt und erwartet, kommen nicht rüber, wenn der Film mit westlichen Equipment und westlicher Crew produziert wurde. Auf der anderen Seite: Im Iran einen Film zu drehen ist wahnsinnig schwer. Ich kann sagen, jetzt ist es unmöglich. Allein die Genehmigung zu bekommen, ganz zu schweigen von der Finanzierung. Entweder man macht einen Propagandafilm, oder man macht keinen Film.

Du hast dich entschieden keine Propagandafilme zu drehen. Muss ein Film denn immer streng muslimische Maßstäbe erfüllen, um im Iran der Zensur zu entgehen?

Es geht nicht um den Islam, überhaupt nicht. Ich sage immer, der Iran ist ähnlich wie Nordkorea: Sie verstecken sich nur hinter den Regeln des Islam, so ist es einfacher die Bevölkerung zu überzeugen. Die akzeptiert das, weil alle Muslime sind. Aber in Wirklichkeit geht es nur um Ideologie, nicht um Religion. Und diese sollen Drehbuchscheiber, so wie alle anderen auch, umsetzen.

Bist du denn religiös?

Puh… Ich sage immer: Die Generation, die nach der Revolution geboren ist, die diesen starken religiösen Druck mitbekommen hat, ist richtig antireligiös geworden. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, warum es in München so viele Katholiken gibt (lacht). Ich habe zwei Jahre hier gebraucht, um das zu verstehen. Ich komme aus einem Land, in dem der Umgang mit Religion so wahnsinnig ist, dass ich diese Anti-Gott-Haltung eingenommen habe. In der Schule versuchen sie einen zum hundertprozentigen Radikal-Islamisten zu erziehen. Aber genau das Gegenteil ist passiert: Wir sind jetzt radikale Anti-Islamisten. Ich für meinen Teil möchte nichts mehr mit Religion zu tun haben, das ist schade, ich weiß, aber es ist das, was das iranische Regime in den letzten 35 Jahren erreicht hat.

 

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

mehr
M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

mehr
M94.5 auf Youtube

Der M94.5-Newsletter
Du willst regelmäßig News von M94.5? Dann musst nur deine E-Mail-Adresse angeben! Keine Angst, wir spamen deinen Posteingang auch nicht voll.
 
 
Die afk Familie