Wie die EU vor den Flüchtlingen zittert
Die Angst Europas vor den Strömen
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hat die westliche Allianz erstmals auch Südlibyen bombardiert. Währenddessen nimmt die Anzahl der nordafrikanischen Flüchtlinge weiter zu. Doch wohin gehen die Flüchtlingsströme? Wie hat die europäische Politik vor den Aufständen der nordafrikanischen Bevölkerung gearbeitet?
Gefahr oder Angst?
Im Chaos der ersten Kämpfe und Bombenhagel suchen viele Menschen nach einer sicheren Heimat. Sie strömen über die Grenzen, Richtung Europäische Union. Dort bereitet der Verbleib der Flüchtlinge Uneinigkeit und Streitgespräche.
Pierre Salignon von der Organisation „Ärzte der Welt“ war am Grenzposten in Sallum, einer ägyptischen Hafenstadt, die nur wenige Kilometer von der Grenze zu Libyen entfernt ist. Er weiß, dass die Mehrzahl der libyschen Flüchtlinge als Gastarbeiter beschäftigt waren und nun in ihre Heimatländer zurückkehren werden. Die Angst der Europäischen Union vor Flüchtlingswellen kann er nicht verstehen und geht hart mit ihr ins Gericht: „Die Erklärung europäischer Länder, dass die Revolution mit möglichen Wellen heimlicher Immigration verbunden ist, ist schockierend und nicht zu akzeptieren“. Die Anzahl der Aussiedler sei verhältnismäßig klein und das, obwohl nicht nur Gastarbeiter fliehen.
Auch Stefan Telekön, Pressesprecher des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, bezeichnet die Reden vieler EU-Politiker und die der Boulevardpresse zum Thema Flüchtlinge als unpassend: „Es ist bedauerlich, dass im Zuge von angenommenen Flüchtlingswellen Bedrohungsszenarien entworfen werden, denn wir haben es mit Menschen zu tun, für die es ein internationales System zum Flüchtlingsschutz gibt“. Es gehöre zu den moralischen Grundfesten der EU diese Menschen zu schützen, so Telekön weiter.
Menschenrechte stehen jedem aus Kriegsschauplätzen stammenden Flüchtling zu. Die EU müsste sich also an dieses Prinzip halten. Karl Kopp, Europareferent von ProAsyl, findet: „Wichtig ist, dass Europa überlegt, Schutzsuchende aufzunehmen, die angesichts der jahrelangen Kooperation mit korrupten Diktaturen gestrandet sind oder zurückgewiesen wurden“. Man nenne das „Resettlement“.
Der Diktator wird vom Freund zum Feind
Vor den Aufständen in Libyen war Regierungschef Muammar al-Gaddafi ein wichtiger Partner der europäischen Außenpolitik. Das betraf nicht ausschließlich Energiepolitik und Handel, sondern auch die Flüchtlingsthematik.
Für Gaddafis Drohung, ohne seine Hilfe würde Europa „schwarz“ werden, kritisierte ihn die EU heftig. Dennoch sollten im Oktober vergangenen Jahres 50 Millionen Euro von der EU nach Libyen fließen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström bezeichnete das als einen „Meilenstein im Kampf gegen illegale Einwanderung“.
Wie Libyen die Flüchtlinge von der Einreise in die EU abgehalten hat, bleibt allerdings im Dunkeln. Menschenrechtsorganisationen sind auf Aussagen Betroffener angewiesen. Diese berichten von Misshandlungen und Vergewaltigungen in Gaddafis Auffanglagern. Kontrolleure und Beobachter hat er nicht in sein Land gelassen.