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Gentrifigiesing?

Giesing das neue Glockenbach? Auf jeden Fall tut sich was im Viertel, zwischen dunklen Boazn und den Flutlichtmasten des Grünwalder Stadions: Neue Locations an Kolumbusplatz oder Silberhornstraße schaffen es in die Szenetipps der Zeitungen und Blogs. So weit so schön - bei den Giesingern regt sich trotzdem Unbehagen.

Der Münchner fährt wieder gerne nach Giesing. Denn es tut sich was im Viertel, zwischen dunklen Boazn und den Flutlichtmasten des Grünwalder Stadions: Neue Locations an Kolumbusplatz oder Silberhornstraße schaffen es in die Szenetipps der Zeitungen und Blogs. Und im Herzen Giesings, an der Tegernseer Landstraße befindet sich "momentan der coolste Platz der Stadt: Das Puerto Giesing."

So formuliert es zumindest Kerem Schamberger. Er hat am Sonntag eine Podiumsdiskussion moderiert - eben dort, im Puerto Giesing, der Kulturfläche im ehemaligen Hertie-Kaufhaus. Thema: Das negative Potenzial der momentanen Entwicklung, aus anderen Vierteln und Städten unter dem Stichwort "Gentrifizierung" bekannt. Ob Berlin Prenzlauer Berg, Hamburg St. Pauli oder München Glockenbach, der Prozess verläuft überall ähnlich: Künstler und Studenten entdecken wegen der billigen Mieten ein Arbeiter-, Migranten- oder Rotlichtviertel für sich. Durch die Zugezogenen bekommt das Viertel einen gewissen Charme - sei es durch Street-Art oder neue Kneipen. Im Laufe der Zeit wird das Viertel chic, weil szenig. Das ruft Immobilieninvestoren auf den Plan, die ganze Häuserblocks aufkaufen, sanieren und teurer weiter vermieten. Die ursprüngliche Bevölkerung kann sich das irgendwann nicht mehr leisten und wird früher oder später verdrängt.

So zumindest in der Theorie. Das mit Giesing Ähnliches passieren könnte, befürchten so einige Bewohner des Viertels. In den letzten Monaten haben sich unabhängig voneinander verschiedene Initiativen gegründet: Eine Gruppe Jugendlicher bringt seit dem Frühjahr die Stadtteilzeitung "Unser Viertel" heraus. Untertitel: "Bullen, Bonzen & Nazis raus aus Giesing". Ein Vertreter der Gruppe saß am Sonntag mit auf dem Podium. Neben ihm: Stefan Bruger. Er und seine Bürgerinitiative "Rettet die Birkenau" wirken schon deutlich bürgerlicher. Nicht gegen "Bullen" kämpfen sie, sondern für den Erhalt der schicken kleinen Häuschen zwischen dem Auer Mühlbach und der Isar. Zum Teil wurden die vom Denkmalschutz befreit und sollen jetzt neuen Wohnhäusern weichen. Judith Schützendorf, für die Grünen im zuständigen Bezirksausschuss berichtet von einem Wohnblock am Candidplatz, der vor Kurzem von einer Gründwalder Investmentfirma gekauft wurde. Die Folge: Mieterhöhungen um 16%, ohne dass die Wohnungen im Gegenzug saniert wurden. Aus dem Publikum schließlich beschwerte man sich über die Schließung der Pilgersheimer Burg - einer Kneipeninstitution im Viertel, die dem neuen Vermieter ein Dorn im Auge war: Zu verraucht, zu wenig Tagespublikum, Mietvertrag gekündigt.

Die Anwesenden waren sich weitgehend einig: Das sind ziemlich sichere Anzeichen für eine kommende Gentrifizierungswelle im Viertel - und dagegen müsse man nun etwas machen. Nur was? Darüber gingen die Meinungen auseinander. Während die Birkenauer Initiative auf Intervention im Bezirksauschuss setzt, glaubt die "Unser Viertel"-Gruppe ehr an einen Fehler des Systems. Die Grünen-Politikerin Schützendorf fordert stärkere Gegenmaßnahmen aus dem Rathaus und Andrej Holm - der Berliner Soziologe war als Gentrifizierungsexperte geladen - zitiert mit einem Augenzwinkern Marx: Das Kapital sei eben ein schwaches Reh, und das müsse man manchmal aufschrecken.

Ein Vertreter des Kapitals war derweil gar nicht vor Ort. Die Veranstalter haben nicht die Konfrontation gesucht, sondern wollten die Veranstaltung wohl eher zur Vernetzung besorgter Giesinger nutzen. In Abwesenheit eines richtigen Feindbilds musste deswegen ausgerechnet das Team des Puerto Giesings herhalten. Das wollte an der Diskussion entgegen erster Ankündigungen nämlich nicht teilnehmen. In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es, dass Puerto Giesing beziehe keine Stellung. Weder zur Kunst, noch zur Politik. Dazu 0,33l-Bier für 3 Euro: Für einige Gäste galt das Puerto damit als Speerspitze der Gentrifizierung. Und das, obwohl die Veranstaltung doch genau dort, im alten Hertie, stattfinden konnte. Und das ganz ohne Saalmiete.

Herausgegeben von Giesinger Jugendlichen - gegen "Bullen, Bonzen & Nazis".
unserviertel.blogsport.de/ →

Homepage des Kulturspots im ehemaligen Hertie.
puerto-giesing.de/ →

test
Kulturvollzug über die Diskussionsveranstaltung.
kulturvollzug.wordpress.com/2010/09/27/mit-marx-ge... →

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