Superhelden-Boom
Aufstieg der Außenseiter
In den nächsten vier Jahren laufen 20 neue Superheldenfilme an. Doch woher kommen Superman, Batman und Co.? Und warum sind sie gerade jetzt so populär?
Auschwitz 1944. Es regnet. Männer, Frauen und Kinder stapfen durch den Matsch. Wachmänner mustern die Menschen: jung und kräftig heißt arbeiten – alt und schwach heißt sterben. Ein kleiner Junge muss zusehen, wie seine Mutter von den Wachmänner in Richtung der Baracken geschoben wird. Hinter ihr fällt ein schweres Eisengitter ins Schloss. Seine Panik löst etwas in dem Jungen aus: Um ihn herum fangen die Zäune an zu beben, die Gitterstangen biegen sich. Die Mutation bricht durch.
Diese Szene aus dem ersten X-Men Film beschreibt die Geburt von Magneto. Sie steht aber auch sinnbildich für den Ursprung der Superhelden an sich. Denn Helden gab es schon immer – aber Mutanten mit Superkräften tauchten zum ersten Mal im Zweiten Weltkrieg auf.
Die Erfinder der Superhelden? Fast immer europäische Juden
Der Erste ist Superman. Im Januar 1939, zwei Monate nach der Reichspogromnacht, erschien der erste Comic-Strip über Clark Kent in den amerikanischen Zeitungen. Innerhalb von nur zwei Jahren folgen Batman, The Flash, Green Lantern und Captain America. Sie kämpften auf der Seite des Guten und waren in schwierigen Zeiten Identifikationsfiguren für die amerikanische Gesellschaft. Die patriotischen Comichelden waren sofort beliebt. Denn sie gaben den Menschen Hoffnung. Die Erfinder der Superhelden? Fast immer europäische Juden in den USA. Aus der Ferne schickten sie ihre Superhelden in den Krieg gegen die Nazis.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der Gegner. Nun kämpften die Superhelden gegen Kommunisten. Aber mit den Jahren sank ihre Popularität. Ab den 1950er Jahren ging es bergab – nur in den Comicheften blieben Batman & Co. die unangefochtenen Sieger. Doch sie lösten nun nicht mehr die Probleme der Welt, sondern zogen sich in ihre Städte zurück. Batman beschützte Gotham City, Spiderman New York.
Bush und der Heldenboom
Der 11. September 2001 hinterließ die amerikanische Gesellschaft verunsichert und machte die Superhelden wieder attraktiv. Zunächst unterstützten sie die Politik der USA bedingungslos. Sie waren sehr patriotisch und kämpften für die Familie und das Vaterland. Doch darauf folgte die Ernüchterung – in der amerikanischen Gesellschaft und bei den Superhelden. Die erste patriotische Begeisterung nach dem Beginn des Irakkriegs war verflogen, die Regierung Bush geriet unter Druck. „Ab Mitte der 2000er Jahre werden die Superhelden gebrochener, auch in ihrem Verhältnis zu Politik und Gesellschaft“, sagt Professor Michael Hochgeschwender vom Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität. „Die Superheldenfilme werden in dieser Zeit kritischer und distanzierter.“
Superheldenfilme reflektieren, was eine Gesellschaft bewegt – besonders in Krisenzeiten. Doch der Held darf kein Teil der Gesellschaft werden. Denn Superhelden sind das, was die Gesellschaft nicht ist. Sie wagen, wovor die Mehrheit zurückschreckt, trauen sich, wovor viele Angst haben. „Du wirst den Menschen ein leuchtendes Beispiel sein, sie werden dir nacheifern, sie werden stolpern, sie werden fallen. Doch schließlich werden sie zu dir in die Sonne aufsteigen“, mit diesen Worten bereitet Supermans Vater Jor-El seinen Sohn auf seine Mission vor.
Und heute?
Es herrscht Krieg in Syrien und in der Ukraine, im Mittelmeer ertrinken Flüchtlinge. Die Weltwirtschaft erlebt eine Krise nach der anderen. Die Gesellschaft ist verunsichert – und die Superhelden sind wieder gefragt. In den kommenden vier Jahren sollen zwanzig neue Superheldenfilme in die Kinos kommen. Sie werden der Filmindustrie viele Millionen Dollar einbringen und den Fans besondere Kino-Momente schenken. Wie lange die Superhelden-Begeisterung noch anhalten wird, ist unklar. Aber Menschen werden immer nach Helden suchen, egal in welcher Form.
Weitere spannende Heldengeschichten könnt ihr auch in unserer zweistündigen Sendung hören: Warum müssen so viele beliebte Romanhelden sterben? Wann outen sich Batman und Robin? Sind dopende Sportler noch Helden? Und braucht München einen Superhelden – oder haben wir vielleicht schon einen?