M94.5 Filmkritik
Lieber ohne Eltern
Catherine Frot (Laurence Prioux) und Christian Clavier (André Prioux).
"Nicht ohne Eltern" ist eine skurrile Erzählung über Familie, die leider nicht so lustig ist, wie von den Machern wohl beabsichtigt. Besser vermeiden.
Eine alt bewährte Rezeptur?
Lang, lang ist's her, da sich der Kinobesucher noch verwundert dachte: „Ja da schau her, mal eine französische Komödie!“ Seit "Willkommen bei den Scht'is" oder "Nichts zu verzollen" ist jedoch einiges Wasser die Rhône hinab geflossen und spätestens nach "Monsieur Claude und seine Töchter" hat auch der letzte das Konzept verstanden. Alteingesessene, stereotyp französische Charaktere werden in eine unangenehme Situation gebracht, die sie zwingt, ihre ursprünglichen Einstellungen zu überdenken, in Frage zu stellen. Das ganze wird dann noch abgerundet mit Happy End nach Grand-mamans Rezept.
Von Bühne zu Leinwand
Leider macht auch "Nicht ohne Eltern" hier keine Ausnahme, schlimmer noch: Während Vorgänger auch in überzogen-kitschigen Situationen noch zum Schmunzeln brachten, sorgt diese Komödie lediglich für Lacher aufgrund der absoluten Unglaubwürdigkeit des Plots.
Nach der Vorlage seines Theaterstück hat der Regisseur und Drehbuchautor Sébastien Thiéry zusammen mit Vincent Lobelle jetzt den Schritt auf die Kinoleinwand gewagt. Doch nur weil ein Stück auf der Bühne funktioniert, muss dies nicht auch für die filmische Adaption im Kino gelten.
Salut les parents!
Die Eheleute André und Laurence Prioux führen ein beschauliches Leben in einer ruhigen Gegend. Nur die etwas exzentrischen Nachbarn, die von Rasenmähen bei Nacht bis zu lautstarken Aikido-Übungen alles zu mögen scheinen, was Lärm macht, sind den beiden ein Gräuel. Als ihnen beim wöchentlichen Großeinkauf jedoch ein mysteriöser, sich nur undeutlich artikulierender Mann begegnet, der schließlich auch noch die Einkäufe der beiden stiehlt, fängt die vorruheständliche Idylle an zu bröckeln.
Zurück im geräumigen Heim finden sie nämlich genau diese Einkäufe auf der Küchentheke und den Fremden sich seelenruhig duschend im Bad. Während Monsieur Prioux sofort die Polizei rufen möchte, versteht seine Frau das undeutliche Sprechen des stummen Patrick. Der scheint davon überzeugt, in den Priouxs seine Eltern wiedergefunden zu haben. Einziges Problem: Laurence hat nie ein Kind geboren und auch ein Seitensprung von André vor 30 Jahren ist kinderlos ausgegangen. Letzterer ist auch eher genervt von der Situation, seine Frau jedoch fühlt eine Verbindung zu dem Unbekannten.
Falsch abgebogen
Während der ersten Hälfte des Films wird noch mit dem Element der Unsicherheit gespielt. Die Handlung lässt auch eine Entwicklung zu einem Familiendrama offen. Wie aber eigentlich schon zu erwarten war, wird dieser Aspekt anschließend vernachlässigt und die Handlung artet in etwas aus, das man gerne als Komödie bezeichnen würde, dazu müsste der Film allerdings lustig sein. Fremdschämen ist hier Programm, denn neben flachen Witzen und offensichtlicher Pointen wird über die körperlichen Beeinträchtigungen des angeblichen Sohnes und seiner blinden Frau gewitzelt, anstatt, wie es 2018 üblich sein sollte, richtig und taktvoll damit umzugehen. Die meist schwer verständlichen Äußerungen von Patrick sind derart primitiv gehalten, dass es den Anschein macht, er sei auch geistig beeinträchtigt, allein wegen seiner Stummheit. Für die Gesamthandlung haben diese Aspekte der beiden Charaktere keine Relevanz, hier sollte wohl reines Witzpotential geschaffen werden. Wie erfolgreich dieses Unterfangen war, ist offensichtlich.
Keine Rettung in Sicht
Auch die Musik bildet einen der großen Negativaspekte dieses Films (der eigentlich ein einziger Negativaspekt ist). Die skurrile Geschichte wird untermalt von Klängen, die genauso gut einer 10-Stunden-Entspannungs-Youtube-Playlist entsprungen sein könnten. Leider kann man bei "Nicht ohne Eltern" auch nicht von schauspielerischen Hochleistungen sprechen, die die Misère noch retten könnten. Die oft unsensibel dargestellten Ausraster von Monsieur Prioux, gespielt von "Monsieur Claude"- Darsteller Christian Clavier, kommen dem Zuschauer sehr bekannt vor. Der Schauspieler scheint hier einfach seine Rolle als rassistischer Großfamilienvater zu recyclen.
Alles in allem ist dies wohl eine der bislang furchtbarsten französischen „Komödien“, die nichtsdestotrotz am 21. Juni 2018 in den deutschen Kinos anläuft.