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Filmfest 2015

Lucifer

Autor(en): Adrian Sölch am Donnerstag, 2. Juli 2015
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Quelle: Filmfest München

Lucifer

Ein belgischer Regisseur in Mexiko. Kreisrunde Bilder, abergläubische Dorfbewohner und gefallene Engel, die Leitern brauchen.

„Achtung! Achtung! Eine Leiter hängt vom Himmel. Schaut“

Ein kleiner Lautsprecher röhrt über die Dächer eines kleinen Dorfes. Und alle Dorfbewohner blicken wie erstarrt in den Himmel. Es scheint ein Wunder zu geschehen. Nur der Kinobesucher kann die Leiter nicht sehen. Der Bildausschnitt zeigt sie nicht. Aber noch Etwas ist ungewöhnlich. Das Bildformat hat keine Ecken.

 


Quelle: Filmfest München

So rund wie ein Kreis

Was zuerst ungewohnt ist, funktioniert nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ganz wunderbar, denn so experimentell das Format im Spiefilm-Kontext auch erscheinen mag, kunsthistorisch betrachtet, hat es eine lange Tradition. Die dichte Vegetation und felsige Landschaft rund um den Vulkan Paricutin verwandelt sich in eine nebelige Märchen-Landschaft. Und auch die verlebten, braungebrannten Gesichter der Akteure verströmen durch das runde Bildformat eine fast sakrale Aura. Man assoziiert, ob bewusst oder unbewusst, viele Einstellungen unweigerlich mit runden christlichen Gemälden, wie man sie beispielsweise aus der Renaissance kennt. Christliche Motive spielen aber nicht nur für die Bildästhetik eine wichtige Rolle. Es geht schließlich um Lucifer, der mithilfe einer Leiter auf die Erde tritt, und auf seinem Weg zwischen Himmel und Hölle in einem kleinen Dorf sein Unwesen treibt. 

Engel oder Teufel?

Lucifer handelt eigennützig und böswillig. Dennoch passiert aufgrund seines Erscheinens nicht nur Schlechtes. Nur wegen Lucifer steht der alte Kauz Emanuel, der jahrelang simulierend im Bett gelegen hat, endlich wieder auf. Es gibt eine Feier und Emanuel tanzt und ist glücklich, die ganze Nacht lang. Die Tanzfläche ist voll, doch plötlich setzt die Musik aus. Aber nur für den Zuschauer, denn die Dorfbewohner tanzen einfach weiter. Man hört nichts, nur die Fußtapser der Tanzenden. Die fröhliche Sequenz bekommt plötzlich eine traurige Note.

So ist es bei vielen Szenen. Die Stimmung ist fragil und droht schnell zu kippen. Warum? Direkte Antworten auf offensichtliche Fragen darf man von dem belgischen Regisseur Gust van den Berghe nicht erwarten. Um seine Filme besser zu verstehen, hilft es aber, ihren Entstehungsprozess zu begreifen.

„Ich hatte eigentlich schon eine sehr klare Vorstellung von der Geschichte, die ich erzählen wollte. Aber als ich dann das Dorf und seine Bewohner kennengelernt habe, musste ich alles über Bord werfen und die Geschichte völlig neu erzählen. So arbeite ich immer!“

Gabino Rodriguez verkörpert die Figur des Lucifer bravuorös. Jedoch ist er der einzige professionelle Schauspieler, auf den Gust van den Berghe beim Dreh zurückgreift. Alle anderen Darsteller spielen im Grunde sich selbst, die Dorfbewohner des verschlafenen Ortes Angahuan, der abgeschnitten und isoliert von der Außenwelt am Rande eines Vulkans liegt.


Quelle: Filmfest München

Intellektuelle Mepaphern und emotionale Momente

Wahrscheinlich bleibt genau deswegen der Film, trotz all seiner obskuren Einfälle und surrealen Begebenheiten, auf so skurill-obskure Art und Weise authentisch. Dem Belgier Gust van den Berghe gelingt mit Lucifer ein ganz wunderbares filmisches Kleinod, ein Brückenschlag zwischen Tradition und Innovation, zwischen intellektuellem Anspruch und naiver Kautzigkeit. 

Adam und Eva! Der Turmbau zu Babel!

Es blitzen zwar immer wieder klug gesetzte Metaphern und Referenzen hervor. Wenn zum Beispiel ein blutroter Apfel am Bildrand einer langen Einstellung auftaucht, oder der Bau des Turms zu Babel persifliert wird. Jedoch verliert der Regisseur zwischen all den bedeutungsschwangeren Zitaten nie den Blick für seine sympathischen Charaktere. Immer wieder entstehen anrührende Momente, ganz ohne Pathos, voller Witz und Charme. Zum Beispiel als Emanuel, nachdem er endlich wieder laufen kann, sogleich dem Tod ins Auge blicken muss. Sympathischer und unkonventioneller lässt sich ein Zwiegespräch mit Gott kaum darstellen.

„Ich habe geraucht und getrunken? Ist das schlimm?“

„Nein, das ist nicht so gravierend!“

Lucifer wurde im Rahmen des Filmfest München 2015 gezeigt. Lässt sich nur hoffen, dass dieser ungewöhnliche Film in Deutschland einen Verleih finden wird, um bei einem offiziellen Kinostart wenigstens in ein paar ausgewählten Kinos ausgestrahlt zu werden.

 

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