Uwe Kolbe: Die Lüge
Eine beklemmende Vater-Sohn-Geschichte über Lügen, den Verrat am eigenen Leben und die Schwierigkeit, sich selbst treu zu bleiben.
Eine beklemmende Vater-Sohn-Geschichte über Lügen, den Verrat am eigenen Leben und die Schwierigkeit, sich selbst treu zu bleiben.
„Erst hörte ich das Schleifen unter dem Rumpeln der Straßenbahn. Dann trat ein feiner Ton dazu und verstummte wieder. […] Nun wurde aus dem Stahl Silber, nun schwang sich ein hoher Ton obenauf, stand in leichter Schwankung, krönte den schönen Dreiklang. Schleifen, fast Verstummen, Rumpeln des Anhängers, das letzte Viertel für den Triebwagen, Rollen der Räder, Glissando beider Schienenstränge in uneinheitlichem Intervall.“
Ein musikalisches Familiendrama in der DDR. Hadubrand Einzweck ist ein junger Komponist, der seine ganz eigene Vorstellung von Musik hat. Er lauscht den Geräuschen der Stadt und versucht den Sound seiner Gegend und seiner Generation einzufangen. Um seiner Kunst nachgehen zu können, arrangiert er sich mit der Zensur, auch wenn sich seine Überzeugungen nicht mit denen der herrschenden Staatsform decken. Ganz anders steht es um Hadubrands idealistischen Vater, Hinrich Einzweck, der in den Osten ging, um der Einheitspartei zu dienen. Als Hadubrand beginnt, mit seiner Musik Karriere zu machen, steht der Vater plötzlich wieder vor der Tür. Ein Zufall? Es beginnt ein Spiel der Verstrickungen und Enttäuschungen, das das Verhältnis der beiden Männer zeichnet.
Fällt der Apfel nicht weit vom Stamm..?
Doch so verschieden Vater und Sohn auf den ersten Blick auch sein mögen, umso ähnlicher erscheinen sie im Laufe der erzählten Geschichte. Hadubrand Einzweck ist bei der skrupellosen Verfolgung seiner Ziele und in seinen Frauenbeziehungen das vollkommene Abbild seines Vaters.
Um die Gedanken und Beweggründe der beiden Protagonisten nachvollziehen zu können, wählt Uwe Kolbe einen interessanten Erzählstil. Der Leser springt abwechselnd in die Lebensgeschichte der beiden Männer, wodurch deren Parallelen und Verstrickungen noch deutlicher werden. Während der Sohn Hadubrand sein Leben aus der Ich-Perspektive schildert, wählt Uwe Kolbe für die Passagen des Vaters einen auktorialen Erzählstil. Trotzdem bekommt der Leser im Laufe der Geschichte einen tiefen Einblick in das Innenleben beider Charaktere.
Fiktive Erinnerungen
"Dass die Geschichte meine eigene ist, macht das Erzählen nicht einfacher. Immerhin muss ich nichts erfinden", stellt der Ich-Erzähler des Romans auf der ersten Seite fest. Tatsächlich wuchs Uwe Kolbe selbst als Sohn eines verdeckten Informanten der Staatssicherheit in der DDR auf, bevor er 1988 in die Bundesrepublik übersiedelte. Es scheint, als träge Uwe Kolbes neuer Roman einige autobiographische Züge, wobei im Roman der entscheidende Befreiungsakt des Sohnes Hadubrand ausbleibt. Daher ist es wohl doch eher „eine erfundene Erinnerung oder eine erinnerte Erfindung“, so der Autor selbst.
Uwe Kolbe, bekannt als Lyriker und Prosaautor, erhielt für sein Schaffen bereits diverse Auszeichnungen. Mit seinem zweiten Roman „Die Lüge“ schafft er ein ernsthaftes und nachdenklich stimmendes Werk, das zwar ein beklemmendes Gefühl hinterlässt, jedoch auch eine Absage an die Gleichgültigkeit im Leben ist.