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Platten vor die Säue

Arcade Fire - Everything Now

Quelle: everythingnow.com

Arcade Fire - Everything Now

Arcade Fire veröffentlichen ihr fünftes Studioalbum und zeigen: überproduzierte Pop-Ohrwürmer ersetzen jetzt die musikalische Kreativität der Band.

Die Musikwelt hat nicht schlecht gestaunt, als Arcade Fire Anfang Juni 2017 den Track “Everything Now” veröffentlicht haben. Ein käsiges Klavier-Riff auf einem disco-poppigen Beat hätte man den Montrealer Indie-Helden um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne wohl kaum zugetraut. Dennoch waren die Reaktionen keineswegs schlecht, schließlich sind es ja Arcade Fire von denen hier geredet wird und was die machen ist ja immer schon großartig gewesen. Tatsächlich stimmte das bisher auch. Nur jetzt leider nicht mehr.

Everything anders now

“Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday, Friday, Saturday, sometimes Sunday / love is hard, sex is easy / God in heaven, could you please me?” ("Signs Of Life")

Nun hört man als gestandener Arcade Fire Fan diese Zeilen - und fragt sich schon ein bisschen, was das jetzt plötzlich soll. Waren es doch immer die fantastischen, hier und da fast schon poetischen Texte, die die Band einst so zauberhaft gemacht haben. Mal ganz abgesehen davon, dass die Musik scheinbar in übermäßig produzierte Pop-Welten abgedriftet ist. “Signs Of Life” könnte bei jedem kommerziellen Radiosender rauf und runter laufen, ohne Frage. Es braucht einfach diesen Michael-Jackson-Gedächtnis-Rhythmus, eine aus drei Tönen bestehende Synthesizer-Melodie und schon ist der Pop-Hit fertig.

Bye Bye, Merge

Nicht uninteressant dabei ist, dass Arcade Fire dem Indie-Plattenlabel Merge Records den Rücken gekehrt haben und zu Columbia Records (Sony Music) gewechselt sind. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als wollten Arcade Fire ihren ohnehin schon großen Status als Indie-Band aufgeben, um ihre Musik auch in die großen Fußballstadien der Welt zu befördern. Ohne Frage - mit “Everything Now” werden Arcade Fire sicher ein breiteres Publikum als bisher ansprechen. Da fragt man sich schon, ob es nicht Win Butlers voller Ernst ist, wenn er singt:

“I want it everything now / I need it everything now / I can’t live without everything now” ("Everything Now")

Schließlich dürfte die Kasse der Band mit dem neuen Zwei-Alben-Vertrag jetzt ordentlich klingeln.

Kaum Lichtblicke

Hört man sich weiter durch die Platte, so klingen die Stücke “Creature Comfort” und “Peter Pan” deutlich vielversprechender. Letzterer versprüht durchaus einen gewissen Charme und schafft mit leicht melancholischer Melodie Abwechslung zu den zuvor gehörten Disco-Beats. In der Mitte der ca. 47-minütigen Platte findet sich dann aber ein Track namens “Chemistry”, bei dem alles zusammenkommt: ein dröger Funk-Beat, ein furchtbar kindischer Text und alles klingt sehr nach "schon einmal da gewesen". Im Refrain erinnert der ohnehin schon beliebige Track dann auch noch an Joan Jetts “I Love Rock’n’Roll”.

“Dance with your boyfriend all night long / Tell him you really really love his song [...] / Chemistry, baby you and me / you and me, we've got chemistry” ("Chemistry") 

Régine Chassagnes großer Moment auf der Platte ist “Electric Blue”, in der sie die Lead Vocals singt. Insofern wieder die große Abwechslung, mit der Arcade Fire bisher immer gut gefahren sind. Aber auch hier lässt vieles zu Wünschen übrig: der Song an sich, der mit seinem unfassbar nervigen Synthie-Gequäke eine Penetranz verkörpert, die von dieser Band als letztes zu erwarten gewesen wäre. Chassagnes Stimme, die unverständlich und hoch wie eh und je vor sich hin dümpelt. Man nehme das großartig instrumentierte Stück “Haïti” vom ersten Album als Vergleich, in dem Chassagne noch von der politischen Verfolgung ihrer Familie in ihrem Heimatland berichtet. Oder “Sprawl II”, der das wunderbare “The Suburbs”-Album abrundet. Es liegen leider Welten, wenn nicht Universen, zwischen diesen Tracks und “Electric Blue”.  

Keine Meisterwerke mehr

Im letzten Drittel des Albums wurden die Songs “Good God Damn”, “Put Your Money On Me” und “We Don’t Deserve Love” angefügt, bevor der letzte Track “Everything Now (Continued)” das Main Theme des Albums wieder aufgreift und die Pampe so zusammenhalten soll. Während man “Good God Damn” und “Put Your Money On Me” wohl am besten mit den Worten “einfach nur langweilig” zusammenfassen kann, überzeugt “We Don’t Deserve Love” etwas mehr. Tatsächlich ist es der einzige Track der Platte, der etwas ruhigere Töne anstimmt. Zum Ende baut er sich auf und bricht etwas aus, wodurch eine Dynamik entsteht, die auf der Platte sonst kaum zu finden ist.

Jedoch sind es schlussendlich die großen Indie-Momente, die Arcade Fire vermissen lassen. Es sind die Texte, die sich zwar irgendwie unter dem Dachthema “moderne Zeiten” zusammenfassen lassen, aber schlussendlich doch eher an typischen, kommerziellen Synthie-Pop erinnern. “Everything Now” ist im Gegensatz zu den früheren Alben aber vor allem eines: kein Meisterwerk, sondern ein weitestgehend belangloses Pop-Album. Und es schmerzt sehr, das sagen zu müssen.

Gesamtbewertung: 2 von 5 Platten.

"Everything Now" von Arcade Fire erscheint am 28.07.2017 auf Columbia Records.

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