Platten vor die Säue
Chefket - Nachtmensch
Mit Big Name-Producern im Rücken pflegt Chefket auf seinem Zweitlingswerk "Nachtmensch" weiterhin seine Devise: Rapper mit Flow, Sänger mit Soul.
Es ist viel passiert seit dem Release seines Debütalbums „Einerseits Andererseits“ (2009). Dem geneigten Rapfan ist der Name Chefket mittlerweile ein Begriff - hat er sich doch vor allem durch seine mitreißenden Live-Performances in die Köpfe und Herzen der Zuschauer gespielt. In der Berliner Hip Hop-Szene war Şevket Dirican schon Jahre vorher ein bekannter Hund. Der damals 23-jähirge zog 2006 aus dem beschaulichen Schwaben in die deutsche Hauptstadt -ohne einen Cent in der Tasche. Die Couches von Kumpels bildeten seine neuen vier Wände.
Sein Überlebenspaket: Soul und Flow. Seine Entlohnung: Getränkemarken. Seine erste größere Errungenschaft im Großstadtdschungel: Deutscher Gewinner des „End of the Weak“-Freestyle Battles 2008 und darauffolgend 2. Platz der Weltmeisterschaften in London. Chefket ist ein Macher, ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt und das macht, worauf er Lust hat, nämlich Musik.
Pop statt Doubletime
Auf allen seinen bisherigen Releases sind die musikalischen Wurzeln des mittlerweile 32-jährigen zu entdecken: Ein Mix aus Blues, Soul, Jazz und Rap. Und Pop. „Ich höre nur Musik, zu der ich auch Sex haben kann,“ plauderte er jüngst in einem Interview heraus. Denkt man an Marteria, Casper und Cro, denkt man an die Hip Hop Revolution der 2010er Jahre: Wohlig-warme, poppige Beats und textlich passend dazu Rap, den selbst Casper als Schlager bezeichnet - wegen der teils schwülstig-romantischen Zeilen über Frauen. Poppig kam die Musik von Chefket schon immer daher; zugrundelegen darf man hier vor allem die Kombination aus Rap und Gesang. Der Song „Fliegen“ zählt zu einem der poppigsten Momente auf dem aktuellen Album "Nachtmensch". Selbst in den Versen weicht hier der Rap dem Gesang, dazu ein getragener Beat, wobei sich der Hörer an das Oeuvre von Marteria erinnert fühlen könnte. Trotz allem flowt sich Chefket auf "Nachtmensch" immer wieder in Doubletime durch die Nacht wie im Lied „Tanz“.
Diese Momente sind allerdings eher die Seltenheit bei Chefket geworden. Es dominiert eher der gemütliche Rap in Kombination mit Soul auf Beats von Bazzazian (u.a. Haftbefehls „Russisch Roulette“), Ghanaian Stallion (u.a. Live-DJ von Megaloh) oder dem Urban-Pop Produzenten Farhot (Haftbefehl, Talib Kweli, Culcha Candela, Die Fantastischen Vier). Letzterer verschaffte „Chabos wissen, wer der Babo ist“ den Feinschliff. Für den sanftmütigeren Chefket verzichtete Farhot glücklicherweise größenteils auf allzu harte Snares und Experimente.
Ein glücklicher Rapper mit Positiv-Ausstrahlung
Die ganze Story auf: http://zolinsagt.de/2013/03/heisser-scheiss-chefket/
Die ganze Story auf: http://zolinsagt.de/2013/03/heisser-scheiss-chefket/
„Nachtmensch“ ist moderner Rap: Eingängig, die Texte sind leicht einprägbar. So erinnert "Lass gehn'" fast schon an die rappige/soulige Variante von "That's Not My Name" der Ting Tings. Chefket singt und rappt in „Rap & Soul“ auf einem souligen Piano-Sample über seine musikalische Sozialisation und seine eigene musikalische Ausrichtung: „Ich bin Rap, ich bin Soul, ich bin Jazz, Rock'n'Roll.“
Dass Sevket Dirican ein glücklicher Mensch ist, wissen wir nicht erst seit „Glücklichster Rapper“ - immer mit einem Lächeln auf den Lippen läuft er mit einer positiven Einstellung durch das Leben, wie er im Interview berichtete:
„Die Nacht ist der Ort, an dem ich alles erledige, damit ich den Tag genießen kann. Die Sterne, der Mond, die Ruhe wirken magisch auf mich. Ich habe die besten Songs nachts geschrieben und tagsüber dazu getanzt. Einmal bin ich morgens in die Bahn gestiegen und habe gesehen, wie traurig alle aussahen und ich war der Einzige mit einem Lächeln im Gesicht und habe damit alle angesteckt. Diese emotionale Intelligenz wird oft krass unterschätzt. Du kannst deine Umwelt positiv beeinflussen, ohne etwas sagen zu müssen.“
Zwischen Feierwahn („Carie Me Homeland“) und Katerstimmung („Kater“) finden sich auch Zeilen, die in Zeiten der Einwanderung nicht aktueller sein könnten: „Wenn du wissen willst, wie Türken leben, dann geh und frag sie, aber nicht in Döner-Läden oder im Taxi“ („Wir“). Als Sohn türkischer Zuwanderer ist ihm die Auseinandersetzung mit der doppelten Identität von Migranten ein wichtiges Thema, das allerdings vordergründig auf seiner EP "Identitäter" behandelt wurde. Auf "Nachtmensch" rücken wieder sein Talent, Menschen zu beobachten und sein kindlicher Übermut beim Feiern in den Vordergrund.
Sein Erfolgsrezept: Skills, Soul, Sound
Der rote Faden, der sich stetig durch seine Karriere durchzog sind seine Rap-Skills. Chefket ist ein Rapper, der sich in der Szene seinen Fame hart erarbeitet hat (End of the Weak, Feuer über Deutschland). Das macht ihn aus. Das sind seine Wurzeln. Das ist sein Talent. Irgendwo zwischen Kopfnicker-Sound und Neo-Soul findet auch Chefket seinen Platz in der Hip Hop Revolution.
Gesamtbewertung: 3,5 von 5 Punkten
„Nachtmensch“ von Chefket erscheint am 14. August 2015 auf Vertigo Berlin (Vertrieb: Universal).