Home > Plattenkritik > Drangsal - Harieschaim
Platten vor die Säue

Drangsal - Harieschaim

Quelle: Quelle: Caroline International

Drangsal - Harieschaim

Klarer Fall von „I was born too late“. Der Wahlberliner Drangsal ist zumindest musikalisch ein Kind der 80er. Sein Debüt Harieschaim ist wie eine Zeitmaschine für den Hörer.

Auch wenn der ’93 als Max Gruber geborene Musiker die großen Jahre des New Wave, Post Punk und der Neuen Deutschen Welle nicht selbst miterlebt hat, ist er doch schon als kleiner Junge von den Mixtape-Kassetten seines Vaters damit beschallt worden. Der große Aha-Moment kommt aber erst in der Pubertät, als Max The Smiths für sich entdeckt, die ihm das Tor zu den 80ern öffnen und ihn viele Klänge seiner Kindheit wiederentdecken lassen. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich schon jetzt behaupte, dass Drangsal einer der großen Hypes 2016 ist. Vor drei Jahren erscheint ein erster Song als Demo im Netz. Mit der geheimnisvollen Stille, die darauf folgt, steigert Gruber die Erwartungshaltung für seinen Erstling beinahe ins Unermessliche.
 

80er Revival trifft auf altdeutschen Grusel

Harieschaim hält, was die beiden Vorabsingles „Allan Align“ und „Love Me Or Leave Me Alone“ versprochen haben. Und schafft sogar noch mehr. Die Songs auf der Platte haben (beinahe) ausnahmslos Hitpotenzial. 80er Referenzen sind allgegenwärtig, das Album ist wie aus einem Guss. Drums - die auch mal Falco's "Jeanny" zitieren („Will Ich Nur Dich“) - und Keyboards klingen wie damals, gekleidet in eine moderne Produktion. Letztere hat Markus Ganter (Sizarr, Casper, Tocotronic) übernommen. Er war Grubers erster und einziger Wunsch für eine Zusammenarbeit, die wunderbare Früchte getragen hat. Verhallter Gesang mit vielen Chören und Handclaps („Love Me Or Leave Me Alone“) machen das Eighties Revival auf Harieschaim komplett. Ich höre mal Depeche Mode, mal Joy Division, mal The Smiths. Alles Bands, mit denen Drangsals Musik neben The Cure am häufigsten verglichen wird. Die Songs tragen teils düster anmutende altdeutsche Worte im Titel („Wolpertinger“, „Moritzzwinger“), auf Deutsch singt Drangsal tatsächlich aber nur in einem Song: „Will Ich Nur Dich“.

Mysterium Max Gruber

Der Künstler und der Mensch Max Gruber geben sich gern geheimnisvoll und es wirkt, als wisse er ganz genau um die faszinierende Anziehungskraft seiner Person. Hier und da lässt er in Interviews Dinge fallen wie, dass er sich schon als Kind für Serienkiller interessiert habe, oder, dass es sein konstantes Bedürfnis sei, bei anderen anzuecken. Was für ein Hipster, Entschuldigung, Künstler! Tatsächlich tun sich in den Songs auf Harieschaim trotz aller Eingängigkeit und Tanzbarkeit thematisch tiefe Abgründe auf. „Hinterkaifeck“ ist nach einem Ort benannt, in dem sich in den 1920ern ein brutaler Mord ereignet hat, der bis heute ungeklärt ist. Und ein Track mit dem Titel „Der Ingrimm“ spiegelt eine gewisse Grundstimmung der Musik Drangsals wider. Rhythmisch treibendes Industrial Schlagzeug unterstreicht die schwarze Energie, die Emotionen Rastlosigkeit und Wut, die Grubers Geschichten innewohnen.
 
Obwohl Harieschaim sich musikalisch bei Legenden aus einer anderen Zeit bedient, macht das die Platte nicht weniger hörenswert. Im Gegenteil, Drangsal hat sich zwar einem anderen Jahrzehnt verschrieben, sich dessen Klänge aber zu Eigen gemacht und ihnen seine Handschrift verpasst. Abzug gibt es für „Schutter“, der meiner Meinung nach ein wenig gegen den Rest des Albums abfällt. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
 
Am 27. April ist Drangsal übrigens bei uns zu Gast! Das Interview hört ihr ab 16 Uhr in der Hörbar am Nachmittag.
 
 
 
Gesamtbewertung: 4,5 von 5 Punkten.
 
Harieschaim von Drangsal erscheint am 22.04. auf Caroline International.
Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

mehr
M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

mehr
M94.5 auf Youtube

Der M94.5-Newsletter
Du willst regelmäßig News von M94.5? Dann musst nur deine E-Mail-Adresse angeben! Keine Angst, wir spamen deinen Posteingang auch nicht voll.
 
 
Die afk Familie