Anonymer Schreiber macht neue Geschäfte im Westend für Gentrifizierung verantwortlich
Böser Brief an Läden im Westend
Wer bekommt nicht gerne einen Brief oder eine Karte?! Meistens ist Post etwas schönes. Wenn man darin aber als "Kolonialherrscher" betitelt wird, hält sich die Freude eher in Grenzen. Passiert ist das jetzt einigen Ladenbesitzern im Westend. In einem bösen Brief hat ein anonymer Schreiber sie für die Gentrifizierung des Viertels verantwortlich gemacht. „Gentrifizierung“ - kurz zusammen gefasst bezeichnet das Wort die Aufwertung von Stadtvierteln, die oft auf Kosten von Mietern mit kleinem Geldbeutel stattfindet. Sie werden von wohlhabenden Neu-Eigentümern aus ihren Wohnungen und Geschäften vertrieben.
Angestoßen wird solch eine Entwicklung meist dadurch, dass ein Viertel "in" wird. So ist es auch beim Westend. Schon seit einigen Jahren wird es als das kommende Glockenbach gehandelt. Zwischen alt-eingesessenen Gemüseläden und urigen Kneipen trifft man immer mehr auch auf In-Friseure, schicke Boutiquen und hippe Lokale. Eines davon gehört Armin Stegbauer. In seinem Café Kubitschek hat man sich auf kunstvolle Torten und Pétit-Fours spezialisiert. Das Westend als zweites Glockenbach zu bezeichnen findet Stegbauer übertrieben. Eine Belebung des Viertels sei aber auf jeden Fall zu beobachten. Als Beispiele nennt er die Hofflohmärkte, das Westendmagazin und offene Künstlerateliers. Auch die Geschäftsleute würden sich untereinander organisieren, sagt der Café-Inhaber. "In sofern gibt es hier eine Gemeinschaft und das kommt gut an. Dadurch gibt es eine gewisse Entwicklung im Westend. Aber es wird nie solch eine überhitzte Geschichte werden, wie in der Innenstadt."
Die Erfahrung, dass manch anderer den Wandel des Viertels eher mit Sorge betrachtet, musste Armin Stegbauer am eigenen Leib erfahren. Auch er erhielt eine Schreiben vom anonymen Gentrifizierungs-Gegner. Darin wurde er als Mitglied eines „kleinbürgerlichen Sozialisationsregimes“ bezeichnet, das die Entwicklung zu Lasten des Arbeitermilleus vorantreibt. Der Café-Inhaber reagiert auf derartige Anschuldigungen gelassen. Den Brief hat er bereits weggeworfen. Die Veränderung, so Stegbauer, sei keine Bedrohung für das Viertel. Auch wenn auf den ein oder anderen Dachgeschossausbau schicke Wohnungen folgen würden und so eine stärkere Kaufkraft ins Viertel geholt werde - den Wandel zu einem Luxusviertel sieht Stegbauer nicht. Das Thema Gentrifizierung hält der Café-Inhaber für wichtig. Auch Handwerksbetriebe wie seiner würden schließlich unter hohen Kosten leiden.
Dass die neueren Geschäfte im Westend die Luxus-Landschaft fördern sollen, kann neben Stegbauer auch Uwe nicht nachvollziehen. Die Boutique Herrenabteilung für die er arbeitet hat auch einen Anklagebrief erhalten. Für ihn ist die Arbeit im Westend und der Zusammenhalt der Ladenbesitzer mehr als Kommerz. "Da steckt viel Herzblut drin und es geht darum, dass man mit den Leuten, die hier leben in Kontakt tritt." Ob den Schlüssel bunkern oder Geld ausleihen - es sei ein ständiges Geben und Nehmen, was den Charme der Gemeinschaft der Leute, die im Westend leben und arbeiten, ausmache, so Uwe. Bezüglich des anonymen Briefs findet Uwe es schade, dass der Schreiber zwar Anklage, aber kein Gegenkonzept liefere. Der Boutique-Mitarbeiter sieht die Stadt in der Pflicht. "Es wird viel saniert und gebaut. Da wäre es schön, wenn man Regulierungen hätte, die eben nicht nochmal ein schickes Architekturbüro in eine Häuserkomplex setzt, dass öffentlich und lebendig sein sollte", sagt Uwe.
Dass sie ein Teil der Gentrifizierung im Westend ist - darüber ist sich auch Alexandra Baumann bewusst. Vor eineinhalb Jahren eröffnete sie mit ihren Kollegen das "Marais", eine Mischung aus Café und Kunsthandel. Früher habe das Westend kein Flair gehabt, sagt sie. Vom Wandel ist sie aber hin und her gerissen. "Ich beobachte schon, dass hier immer mehr Porsche herumfahren und das ein Haus nach dem anderen aufgekauft wird", sagt Baumann. Die Anklage des anonymen Schreibers kann sie jedoch nicht verstehen. "Er kennt uns gar nicht", sagt Baumann. Von Luxus-Läden könne gar keine Rede sein. "Schließlich stammen wir alle aus ganz normalen Arbeiterverhältnissen." Am Ende, so der Tenor der Ladeninhaber, bedeutet Veränderung nicht weniger als das Gegenteil von Stillstand.