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Portrait einer Prostituierten

Autor(en): Florian Falzeder am Donnerstag, 16. Juni 2011
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Hanna (Name zu ihrem Schutz geändert) ist eine wunderschöne, junge Frau - scheinbar wie jede andere. Doch sie hat ein Geheimnis, über das sie bisher nur mit sehr wenigen Leuten gesprochen hat. Denn sie hat Angst davor, dafür verurteilt zu werden. Hanna war vier Jahre lang in München und Umgebung als Prostituierte tätig.
Hanna (Name zu ihrem Schutz geändert) ist eine wunderschöne, junge Frau - scheinbar wie jede andere. Doch sie hat ein Geheimnis, über das sie bisher nur mit sehr wenigen Leuten gesprochen hat. Denn sie hat Angst davor, dafür verurteilt zu werden, dass sie vier Jahre lang in München und Umgebung als Prostituierte tätig war.
In einem Interview hat sie sich geöffnet und über ihre Erfahrungen gesprochen. Dabei wirkt sie gefasst und ruhig. Doch so ist sie nicht immer, manchmal ist sie auch tief traurig, erschüttert und sogar verzweifelt. Denn ihre Vergangenheit nagt an ihr und begleitet sie bis heute.


M94.5: Hanna, wie bist zu dem Beruf der Prostituierten gekommen? Warum hast du dich dafür entschieden diesen Beruf auszuüben?

Hanna: Das war mehr oder weniger zufällig. Über einen Freund habe ich jemanden kennengelernt, der in diesem Milieu tätig war und da ich zu dieser Zeit arbeitslos war und dringend Geld brauchte, war das einfach eine Möglichkeit schnell Geld zu verdienen.

Wurdest du dazu überredet oder war das für dich klar, dass du das machen willst?

Wir haben uns einfach unterhalten und irgendwann fragte er mich dann, ob ich nicht Lust hätte schnelles Geld zu verdienen. Das habe ich dann ausprobiert und am Anfang nur im Kabarett gearbeitet. Das heißt, dass ich offiziell nur mit Gästen getrunken habe - aber es gab da natürlich auch abgetrennte, separierte Räume, in denen dann mehr läuft - inoffiziell. Und naja, wenn man dann mal so viel Geld verdient hat, ist man dann da ganz schnell drin und macht weiter.

Wie gehst du heute mit diesen Erfahrungen um, wie verarbeitest du das?

Ich hab ganz lange versucht, diese Zeit ganz weit weg von mir zu schieben, zu verdrängen und mir einfach keine Gedanken mehr darüber zu machen, einfach zu vergessen. Mittlerweile fange ich schon an mich damit auseinanderzusetzen, darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen ist, warum ich das so lange Zeit gemacht habe, um damit abzuschließen. Ich fange auch langsam an darüber mit Freunden zu reden. Etwas das ich ganz viele Jahre lang nicht gemacht habe.

Wie reagieren die Leute auf deine Geschichte?

Also ich hab schon auch erlebt, dass ich jemandem davon erzählt habe, der absolut geschockt war und danach auch nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Danach habe ich dann beschlossen es nie wieder irgendjemandem zu erzählen. Doch inzwischen wissen es dann doch paar Leuten, aber wirklich nur ganz wenige. Von denen habe ich aber nur Positives erlebt, sie lehnen mich deshalb nicht ab. Das ist wirklich eine wertvolle Erfahrungen.

Wie war das denn früher, wie war der Kontakt zu den Freiern, wie gehen die mit einem um?

Die meisten denken: "Sie haben jetzt dafür gezahlt und dürfen mit dir machen, was sie wollen." Sie beachten also überhaupt nicht deine Persönlichkeit, gehen nicht auf dich ein. Sie zahlen dafür und wollen mit dir machen, was sie zu Hause nicht bekommen. Ich denke schon, dass die meisten einen auch als Objekt betrachten. Es gibt mit Sicherheit auch andere, man hat ja nicht immer nur Sex, sondern redet auch viel. Aber auch in solchen Situationen ist man nur der Mülleimer für den Freier. In dieser Zeit habe ich wirklich nur sehr wenig Menschlichkeit erfahren.

Denkst du, dass die Zukunftsperspektiven für Prostituierte schlechter stehen?

Ja, auf jeden Fall. Es kommt natürlich auch darauf an, wie lange man diesen Beruf ausgeübt hat. Aber auch für mich war es natürlich schwierig aufzuhören. Ich konnte nicht nachweisen, was ich während der vier Jahre gemacht habe. Außerdem hatte ich keine abgeschlossene Berufsausbildung, dafür aber hohe laufende Kosten - ich hatte eine Wohnung, ein Auto und war natürlich auch einen gewissen Luxus gewöhnt. Dann ist es echt schwierig auszusteigen und nochmal von vorne anzufangen. Und manche machen das zehn, zwanzig Jahre, bis sie fünfzig sind, sechzig und ja, da sieht es ganz schön schlecht aus.

In den letzten Jahren wurde Prostitution als sehr positiv dargestellt. Ist Prostitution etwas Positives? Und machen das Frauen wirklich freiwillig und gerne?

Meiner Meinung nach macht das keine Frau freiwillig und keine Frau gerne. Ich kann dieser Zeit gar nichts Positives abgewinnen. Mit Sicherheit ist es gut, dass es Prostitution gibt, weil es so wahnsinnig viele Männer gibt, die da hingehen. Und ich wüsste nicht, wie die sonst ihre sexuellen Gelüste ausüben würden. Von dem her denke ich schon, dass es gut ist für die Männer, aber von Seiten der Prostituierten glaube ich nicht, dass es da irgendetwas Positives gibt, zumindest sehe ich nichts Positives darin.

Erleichtern sich viele Prostituierte den Sex mit ihren Freiern, indem sie Drogen nehmen und Alkohol trinken?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe, glaube ich, keine kennengelernt, die keine Drogen nimmt und Alkohol sowieso - jeden Tag. Und ich habe das ja auch an mir selber gemerkt, dass ich mit der Zeit mehr Alkohol getrunken habe, überhaupt nicht mehr nüchtern zur Arbeit gekommen bin, also vorher schon getrunken hab und bevor ich mit 'nem Freier aufs Zimmer gegangen bin, nochmal was getrunken habe, um das nicht mehr mitzubekommen, ja um der Realität zu entfliehen. Und auch die Drogen erleichtern es einem mit den Freiern zu schlafen, weil man dann einfach abgestumpft ist und man das alles nicht mehr bewusst miterlebt.

Dann geht aber auch viel Geld für Drogen drauf!?

Ja, das ist das Problem dabei. Man verdient schon viel, aber das geht ganz schnell drauf, für die Drogen oder aber, wenn man sich als Ausgleich etwas Luxus gönnt, einen teuren Urlaub macht, Klamotten oder Schmuck kauft. Aber natürlich gibt man viel für Drogen aus.

Wie viele Freier hat man im Durchschnitt in der Nacht?

Das kann man so pauschal schlecht sagen. Es gibt Nächte in denen verdient man nichts und es gibt Nächte da hat man 5, 6, 7 und es gibt Nächte, da hat meinen einen, aber dann die ganze Nacht. Also das ist ganz, ganz unterschiedlich.

Während diesen vier Jahren als Prostituierte, wie sah da dein soziales Umfeld aus?

Während ich als Prostituierte gearbeitet hab, hatte ich nur Kontakt mit anderen Prostituierten und den Zuhältern. Ich war da ganz in diesem Milieu drin und hatte kaum Kontakt zur Außenwelt. Innerhalb dieses Milieus fühlt man sich dann natürlich schon gut und denkt: "Okay, das ist was ganz Normales." Und es kommen auch wahnsinnige viele Männer, die dir dann dadurch auch signalisieren, dass es normal ist und gut, dass es uns gibt. Aber ansonsten hatte ich wenig Kontakt nach außen hin und habe einfach nur in diesem Kreis gelebt.

Denkst du das Prostituierte in unserer Gesellschaft diskriminiert werde?

Ich glaube schon - ja. Es ist zwar so, dass wenn man mal mit Freunden drüber redet, die nicht wissen, dass man selber betroffen ist, erweckt das schon den Anschein, dass es in Ordnung ist, dass es Prostituierte gibt und das nicht so schlimm ist. Aber ich glaube, wenn man dann wirklich jemanden trifft und erfährt, dass das eine Prostituierte ist oder war, dann haben die meisten schon ein Problem damit. Diskriminierung ist da üblich.

Hast du den Eindruck, dass das heute noch einen Einfluss auf dein Leben hat?

Es hat Einfluss auf mein Leben insofern, dass es mich psychisch wahnsinnig kaputt gemacht und ich immer noch daran arbeite, das aufzuarbeiten, das irgendwie zu verkraften und zu verstehen. Wie gesagt, ich hab das ja auch ganz lange von mir weggeschoben und verdrängt. Aber es ist schon immer mal wieder so, dass es mal hochkommt und mich vollkommen überrollt. Von daher würde ich schon sagen, dass es noch einen großen Einfluss hat und es einen großen Teil meiner Psyche kaputt gemacht hat.

Warum denkst du, dass es dich kaputt gemacht hat? Was macht einen daran kaputt?

Am Anfang ist es noch nicht ganz so schwer, weil es da noch etwas Neues ist und man noch nicht mit so vielen Männern im Bett war - aber nach einer Zeit fühlt man sich total wertlos und wie ein Stück Fleisch, ein Objekt, das benutzt wird. Man fühlt sich nichts mehr wertvoll und ich glaube, dass das bei jedem so einen Einfluss hätte. Dabei ist der Körper  doch etwas Wertvolles und man sollte ihn nicht verschenken. Auch wenn ich natürlich dafür bezahlt wurde, waren es einfach so viele verschiedene Männer und das ist ein großer Eingriff in dein Leben. Ja, der Sex mit so vielen verschiedenen Männern, die einen schlecht behandeln - das macht einen kaputt.

Du hast mit 18 Jahren angefangen als Prostituierte zu arbeiten, ist das überhaupt legal?

In München darf man nicht mit unter 21 Jahren als Prostituierte arbeiten. Aber es machen natürlich trotzdem schon viele mit 18 - ich hab ja auch mit 18 Jahren angefangen. Unter 18 ist es schwierig in einen Club reinzukommen, weil das natürlich auch von der Polizei regelmäßig kontrolliert wird. Trotzdem gibt es wahnsinnig junge Prostituierte, denn auch mit 18 ist man doch noch echt jung.

Trotzdem hast du den Ausstieg geschafft – war das schwer?

Dazu muss ich sagen, dass es von Seiten meines Zuhälters relativ einfach für mich war, wenn ich das mit anderen Frauen vergleiche. Ich hab ganz normal mit ihm drüber geredet und er hat mich in der Hinsicht auch unterstützt. Ich musste natürlich etwas dafür zahlen, dass ich aussteigen darf - also zusätzlich zu dem, was ich sowieso schon gezahlt habe. Schwierig war es von Seiten meines Zuhälters also nicht, aber ich hatte keine Perspektive, keinen Anhaltspunkt und wusste nicht, wie ich weitermachen sollte, wie ich meine laufenden Kosten zahlen und mich bewerben sollte, so dass ich genommen werde. Ich konnte ja nicht nachweisen, was ich die vier Jahre gemacht habe. Aber ich war fest entschlossen, ich wollte das alles nicht mehr. Und dann habe ich das abgezahlt, was ich zahlen musste, um aussteigen zu können und dann einfach aufgehört und gejobbt, ganz viel gejobbt. Ja, das war natürlich wahnsinnig schwierig Fuß zu fassen, auch viele Jahre danach noch. Letztendlich habe ich es aber geschafft und dann auch meine Ausbildung noch fertig gemacht.

Das ist eine unglaublich beeindruckende Geschichte! Glaubst du, dass viele Frauen aussteigen wollen, aber Angst davor haben und deshalb weiter machen?

Ich glaube, dass es für viele Frauen schwierig ist, weil sie auch keine Perspektive mehr haben. Viele haben nichts gelernt haben, weil sie schon relativ früh angefangen haben. Zudem haben viele Frauen - wie soll ich sagen - böse, wirklich schlimme Zuhälter, die das niemals erlauben würden und die ihre Frauen auch schlagen und deshalb haben sie Angst und schaffen den Ausstieg nicht.

Glaubst du, dass es Prostituierte gibt, die Freude daran haben?

Ich glaube nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Man hört es zwar immer wieder, wenn man fragt, ob sie Spaß hat: "Ja ich mache das gerne, ich mache das freiwillig." Aber ich glaube, das ist eine Lüge.

Gibt es etwas was du noch dazu sagen möchtest?

Ich finde es wichtig nochmal zu betonen, dass es keine Frau freiwillig macht, dass keine Frau Spaß an der Sache hat und dass - auch wenn es vielleicht in der Öffentlichkeit irgendwie schön geredet gibt -  es keine einzige Frau gibt, die keinen Zuhälter hat. Und dass da auch wirklich extremer Druck aufgebaut wird und das ist wahnsinnig schwierig für die Frauen.

Es gibt also keine freien Prostituierten?

Richtig, ich habe zumindest keine kennengelernt und wenn Eine noch neu im Geschäft war und vielleicht noch keinen Zuhälter hatte, dann hat sie ganz ganz bald einen, weil die das natürlich auch mitbekommen und abchecken. Und nein, die gibt es nicht, wenn dann nur ganz wenige und die geraten dann früher oder später auch an einen Zuhälter.

Danke für das Gespräch!

Hanna hat den Ausstieg geschafft, ihre Ausbildung beendet und das Abitur nachgeholt. Heute studiert sie an der Ludwig-Maximilians-Universität.




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