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Jakuzi im Interview

Eine neue türkische Welle

Autor(en): Miriam Fendt am Montag, 7. Mai 2018
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Quelle: M94.5

Das Synthpop-Trio Jakuzi

Nach ihrem Konzert haben wir mit der Synthpop-Band Jakuzi über die Achtziger, die türkische Sprache und den Stempel "politische Band" gesprochen.

Der schnucklige, kleine Kellerschuppen Unter Deck unweit des Münchner Marienplatzes wird durch die lila Scheinwerfer und das helle, discoide Flimmern der Scheinwerfer an diesem Abend in eine düstere Achtziger-Jahre-Stimmung getaucht. Diese Atmosphäre bereitet das Publikum treffend auf die türkische Synthpop-Band Jakuzi vor. Die Gruppe, die sich in Istanbul um die beiden Punk- und Core-Musiker Kutay Soyocak und Taner Yücel gebildet hat, hat sich im Projekt Jakuzi gemeinsam mit dem Schlagzeuger Can Kalyoncu ganz dem Sound der dunklen Achtzigerjahre verschrieben. „Wir sind von vielen verschiedenen Stilen aus den Achtzigern inspiriert, vor allem vom New Wave und Dark Wave“, erklärt Sänger Kutay im Interview. Aus dem Erbe von Joy Division, Smiths und Co. ziehen die drei Musiker ihre Inspiration für einen ganz neuen, zeitgemäßen Sound und machen daraus ihr Alleinstellungsmerkmal innerhalb der türkischen Musikszene: „Wir versuchen neue und geheimnisvolle Dinge in unserem modernen Sound zusammenzubringen und nutzen dazu den Achtziger-Sound“.

Ein primitiverer Zugang zu Musik

Schwere Sythies und ein vorangehender, präsenter Bass markieren den Beginn des Konzertes. Erst nachdem sich die dunkle, schwere Soundmasse über das ganze Unter Deck gelegt hat, kommt Kutay auf die Bühne und begleitet das bitterschöne Treiben mit seinem türkischen Gesang über Wut, Orientierungslosigkeit und Selbstbestimmung im Alltag und vor allem auch in der Liebe. Das musikalische Spektrum von Jakuzi reicht von flächigen, melancholischen New-Wave-Songs bis hin zu indielastigen, zuckersüßen Pophymnen. Ob das Publikum die introspektiven Lyrics versteht, finden Jakuzi nicht wichtig. Sie glauben sogar, dass es ein Gewinn ist, die Texte nicht zu verstehen, sondern vielmehr in den verschiedenen Emotionen, die die Musik transportiert, aufzugehen. Kutay bemerkt, dass die Band selbst auch viel Musik in anderen Sprachen hört, die sie nicht unbedingt verstehen: "So hat man einen viel sensibleren und primitiveren Zugang zur Musik". So geht es nicht nur dem Publikum im Unter Deck – als das Debütalbum "Fantezi Müzik" 2016 in den Händen des Berliner Labels City Slang landet, ist das sofort überzeugt vom theatralen Zusammenspiel aus den Achtziger-ähnlichen-Stimmungen und den unverständlichen, teils fast fantasievoll klingenden türkischen Zeilen.

Das Label "politische Band"

Mit ihrer Musik stechen sie als Genre-spezifische Band in der Türkei heraus. Das soll sich laut Kutay auch nicht ändern, denn das macht ihre Musik aus. Internationale Medien feiern den Freiheitsgedanke hinter der Band als politisches Statement. In Interviews werden die drei Jungs deshalb auch immer wieder auf ihre politische Position und ihr Engagement in Istanbul angesprochen. Davon sind Jakuzi mittlerweile genervt. Sie wollen eigentlich nur eine Band sein, die sich dem Synthpop verschrieben hat, statt als politische Band abgestempelt zu werden: "Wir lehnen es mittlerweile ab, als türkische Band etwas über die politische Lage in der Türkei zu sagen". Für sie ist es wichtig, etwas Neues und Anderes zu kreieren. Dabei geht es ihnen aber mehr um den Rückzug in die persönlichen Gefühlswelten. Die Provokation, die sich vor allem im offenen Umgang mit ihrem Innenleben innerhalb der Texte widerspiegelt, erreicht den internationalen, der türkischen Sprache nicht mächtigen Hörer erst einmal vor allem über die ästhetisch durchkonzipierten Musikvideos der Band. Im Video zum treibenden Song "Istediğin Gibi Kullan" wird die Band beispielsweise von einem Mann und einer Frau in Lederoutfits auf fast schon sadomasochistische Weise gefesselt und stranguliert.

Die neue türkische Welle

Der romantische, variantionsreiche Sound von Jakuzi bildet eine schöne Möglichkeit, um sich vom Alltag wegzuträumen. Auch das Münchner Publikum zeigt sich schnell hingerissen von den blubbernden Songs der türkischen Band. Nach einer guten Stunde und einer kleinen Zugabe entlassen Jakuzi ihre Zuschauer wieder aus der Parallelwelt zwischen Achtziger-Nostalgie und Aufbruchsgedanke. Durch die emotionale Schwere kann der Sound – auch ohne plakativen Anspruch auf Meinung und Position – bewegen. Denn Jakuzi zeigen das Flackern eines Istanbuler Untergrunds, dessen musikalische Errungenschaften sich durch sie in Zukunft hoffentlich noch weiter über die Grenzen der Türkei hinaus ausbreiten.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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