Das Monster der russischen Wirklichkeit
„Leviathan“: Wenn der Kreml einen russischen Film zensiert, ist das ein Grund, ihn sich anzusehen. Auch wenn es weh tut.
Er war nominiert für den Oscar in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film". Regisseur Andrey Zvyagintsevs "Leviathan" macht die Russen stolz und empört sie zugleich. Endlich würdigt die Academy eine russische Produktion, noch dazu eine, die vom Kulturministerium Russlands unterstützt wurde. Gleichzeitig fürchtet der Kreml den Film und erlaubt in Russland nur eine zensierte Fassung.
Die russischen Bürger sollen sie nicht sehen, die schonungslose Realität der politischen Willkür. Der Film vermittle nur Lügen. Im Ausland soll das Ansehen Russlands auch nicht beschädigt werden. Da muss man unfreiwillig schmunzelnd den Kopf schütteln. Da ist zur Zeit eh nichts zu retten, denkt man schnell. Was kann ein neuer Film da noch anrichten? Und tatsächlich zeigt "Leviathan" thematisch nichts, was wir nicht schon über Russland wüssten. Der Film zeigt uns allerdings, schonungslos, wie es sich anfühlen muss, diesem Staat ausgesetzt zu sein.
Der Film steht für sich allein.
Andrey Zvyagintsev möchte nicht, dass die politischen Reaktionen seinen eigentlichen Film verdecken. Er hat die Handlung scharf durchdacht und zeigt das Monster Staat, den Leviathan, gleichzeitig deutlich in der Figur eines gierigen Kommunalpolitikers, als auch subtil in den vermeintlich rein privaten Geschichten.
Kolia (Alexey Serebryakov) lebt mit seiner schönen Frau Lilya (Elena Lyadova) und seinem Sohn aus erster Ehe in einem hübschen Haus an der Küste der Barentsee. Die tolle Lage das Hauses gefällt auch einem Kommunalpolitiker, und er unterrichtet Kolia über seine bevorstehende Enteignung. Kolia kämpft mit seinem Freund Vadim (Roman Madyanov), dem Anwalt aus Moskau, vor Gericht gegen sein Schicksal. Doch natürlich verliert er. Kolia will die Ungerechtigkeit nicht hinnehmen, er steckt den Kopf in den Sand, macht weiter wie bisher und er trinkt, Wodka, was sonst. Ganz nach Thomas Hobbes' Leviathan ist neben der politischen Macht auch die Kirche Teil des Ungeheuers, dass das menschliche Individuum dominiert.
So entwickelt sich Kolias Geschichte mehr und mehr zu einer modernen, russischen Hiobsgeschichte. Die staatliche Enteignung löst eine Welle der Schicksalsschläge aus, die nicht mehr aufzuhalten ist. Bis am Ende die Abriss-Bagger kommen und nicht nur bildlich alles einreißen.
Das Publikum erleidet Abscheu statt Mitleid.
Für den Zuschauer ist "Leviathan" nicht unbedingt ein Vergnügen. Der Film dauert lang. Neben beeindruckenden Naturaufnahmen bietet der Film auch den Blick in die menschliche Seele, in die der Guten und in die der Schlechten. Das strengt an. Mitleid kommt dabei nicht auf. Die eigentlichen Opfer der Staatsgewalt verhalten sich zum Teil roh, in ihrer Freizeit trinken sie bis zur Besinnungslosigkeit, schießen und betrügen. Das Gefühl, das im Zuschauer aufsteigt, ist Abscheu. Vor der russischen Staatsmacht, der bigotten Kirche und dem rohen Zustand des Menschen, in den er verfällt, wenn er alle Hoffnung verloren hat. Aber das halten wir Westeuropäer schon mal aus, und wer sich "Leviathan" ansieht, schenkt den Betroffenen Aufmerksamkeit und Verständnis.
„Leviathan“ ist ab dem 12. März 2015 in den deutschen Kinos zu sehen.