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Flimmerkammer #3

"Das neue Babylon"

Autor(en): Raphael Altinger am Mittwoch, 14. März 2018
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Quelle: Kammerspiele München

Daniel Grossmann am Pult

Propaganda, Musik, Intensität: Mit der Flimmerkammer bieten uns die Kammerspiele ein Kinoerlebnis der besonderen Art. Ein Stummfilm mit Live-Orchester.

Schon zum dritten Mal luden die Kammerspiele in ihrer "Flimmerkammer" zu einem etwas anderen Filmerlebnis: Einem Stummfilm mit musikalischer Livebegleitung durch ein Kammerorchester. Gezeigt werden hier Filme aus der ehemaligen Sowjetunion, und so diesmal der Film „Das neue Babylon“ mit Filmmusik von Dimitri Schostakowitsch aus dem Jahr 1928. Ein Streifen ganz klar geprägt durch die Propagandavorschriften eines totalitären Regimes. Es geht um die böse Bourgeoisie, das grausame Militär, die guten Arbeiter und den Verrat aller an eben diesen Arbeitern. Konkret geht es um die Pariser Commune. Eine kleine autonome Gesellschaft, die sich in den Nachkriegswirren des preußisch-französischen Kriegs in Paris 1872 gegründet hat. Die Sowjetunion sah diese Kommune als Urbild eines real existierenden Sozialismus an.

Sozialistische Propaganda oder Kunst? Oder beides?

Dass „Das neue Babylon“ einen klaren politischen Zweck verfolgt, wird schnell klar. Die Handlung ist denkbar simpel: Die junge Louise arbeitet in dem dekadenten Kaufhaus mit dem Namen „Das neue Babylon“. Nach einigen Wirren schließt sie sich einer neu gegründeten Kommune an. Der unpolitische Soldat vom Land, Jean, muss diese Kommune nun bekämpfen, obwohl er Louise liebt. Es kommt zum Gemetzel und Hinrichtungen, während die Oberschicht von Versailles aus zusieht. Da der Film beim ersten Veröffentlichungsversuch im Jahr 1928 nicht den Propagandavorschriften entsprochen hatte, musste nochmal nachgebessert werden. Das interessante ist, dass durch diese Nachbesserungen eine ganz neue Ästhetik entstanden ist. Handlungslücken, sehr modern wirkende, schnelle Schnitte, intensive Panorama-Aufnahmen. Lange intensive Blicke, bei denen man nicht weiß, wem sie gelten, skurrile Tanzszenen und grausame Hinrichtungen. Durch diese Ambivalenz zwischen schnellen Schnitten und endlos wirkenden Blicken vergisst man fast, einen Propaganda-Film anzusehen. Denn man wird direkt gefangen genommen vom Charme und der Intensität der Aufnahmen und Schauspieler.

Die Filmmusik als i-Tüpfelchen? Oder doch das ganze Wort?

Diese Intensität wird maximal verstärkt durch das, was den besonderen Reiz des Films ausmacht: Die Musik von Dimitri Schostakowitsch. Im Alter von gerade mal 22 Jahren komponierte er die Musik zu dem Streifen und führte sie auch live mit auf. Es war seine erste Filmmusik. Das heißt aber nicht, dass sie unbeholfen wäre. Ganz im Gegenteil: Durch die Entwicklung neuer und sprechender musikalischer Gedanken gelingt es ihm, die Handlungslücken gekonnt zu überspielen und die eh schon intensiven Szenen mit einem feinen Humor und Feingefühl sowohl zu entspannen, als auch zu verstärken.

Doch das erstaunlichste ist, wie es dem Orchester unter Daniel Grossmann gelingt, uns diese Gedanken zu vermitteln. Durchscheinend und doch geheimnisvoll, voller Finessen und technischer Präzision. Und ob die trampelnden Pferde der preußischen Reiterei, die knallenden Kanonen oder die verzerrte Marseillaise dargestellt werden, jeder Ton sitzt authentisch und zu genau der Sekunde, in der er kommen soll.

Kino wie es sein soll, Musik wie man sie hören muss, und gratis dazu gibt es noch Denkanstöße, die einen die ganze Nacht wach halten.

Am 12. April 2018 läuft die vierte Edition der "Flimmerkammer" in den Kammerspielen, mit dem Film "Das alte Gesetz".

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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