Nun könnte man sich einen denkbar schlechteren Zeitpunkt aussuchen, um eine Performance über den Zaun zu konzipieren. Der Zaun, der Länder trennt, der Zaun, der Grenzkontrollen nach sich zieht, der Zaun, der Flüchtlinge von Ungarn und Mexikaner von den USA fernhalten soll. In Zeiten von Krieg und Flüchtlingswellen ist er zum Politikum geworden. Jede Menge hochentzündlicher Stoff also für die Kunst. In der Muffathalle wird dieses Potential jedoch leider verschenkt.

Im Anfang war das Wort

Dabei beginnt "DE/FENCE" so vielversprechend: Ein langer, schmaler Gang, Stühle jeweils entlang der Wände, man sitzt sich als Zuschauer gegenüber, ausgerüstet mit Funkkopfhörern. Wir hören Vogelgezwitscher und Wiesenidyll, direkt ins Ohr, und sind damit sofort abgekapselt vom jeweiligen Nachbarn. Zwar sitzen wir Schulter an Schulter, aber das akustische Erleben findet für jeden einzeln statt. Der erste Zaun: zwischen uns.

Dann erklingt eine schöne, klare Stimme, die uns dazu gratuliert, dass wir privilegiert genug sind, uns eine solche Performance überhaupt anzusehen. Sie spricht von der Herkunft des Wortes Zaun – verwandt mit der englischen "town" – ursprünglich bezogen auf den Bereich, den er umzäunt, nicht die eigentliche Umzäunung an sich. Latein gibt es auch noch, ein Rousseau-Zitat dazu, sehr viel Erklärung, bis was passiert.
Das scheint das Grundproblem zu sein: Hier wurde sich wahnsinnig viel überlegt und entsprechend recherchiert, beim Publikum kommt davon aber nur ein Bruchteil an.

Im Zentrum das ratlose Publikum

Eigentlich stellt die freie Münchner Gruppe ausbau.sechs, die dahinter steckt, den Zuschauer in ihren Installationen grundsätzlich in den Mittelpunkt. Es ist kein Performer zu sehen, sondern das Publikum performt selbst, anhand von Anweisungen, Hinweisen oder der eigenen Intuition. Im Anschluss an die einleitende Kurzvorlesung wird es dann, durch die unsichtbare Sprecherin, durch die Räumlichkeiten der Muffathalle gelotst: Mal raus in den Regen, zurück in den dunklen Gang, hier mal ins Fenster geschaut und der Fabel vom Zaunkönig gelauscht, dort bitte durch die Tür und brav an der weißen Linie aufgestellt.

Die größte Kraft und Intensität entfaltet das Stück, als der kleine Haufen Zuschauer verloren im Dunkel steht, umgeben von dröhnendem Lärm, der Boden vibriert, und eine milchige Wand bewegt sich unheimlich langsam auf uns zu, dahinter ein warmes, blendendes Licht. Bevor sie uns aber verschlucken kann, ist der Spuk vorbei.

Mit Vögeln ohne Klimax

Gerade, als es spannend wird, findet die Performance ein plötzliches Ende. Wir hören McCarthy, ein Epilog aus Die Abendröte im Westen, dann Stille. Und die Tür geht auf. Ach, das war's? Auf die Auflösung wartet der Zuschauer vergeblich, nachdem sogar der Höhepunkt fehlt. "DE/FENCE" dauert eine halbe Stunde, und danach mag niemand so recht gehen, denn das kann es doch nicht schon gewesen sein. Oder?

Es bleibt die Frage im Raum: Wozu das Ganze jetzt? Vielleicht ist genau diese Ratlosigkeit das Ziel der Performance, doch mit Zäunen hat sie am Ende weit weniger zu tun als mit Ornithologie. Und dafür reicht auch ein Ausflug in den Zoo mit Kopfhörern im Ohr – der dürfte weit befriedigender sein.

"DE/FENCE" war am 07. und 08. Oktober im Rahmen des Rodeo 2016 in der Muffathalle zu sehen.