Theater in München
Der will nur spielen
Der Mann mit der Kettensäge klatscht zum Schluss Beifall. Es ist Sommer und die Nachtigallen bekommen kein Blut zu sehen.
Der Mann mit der Kettensäge sitzt im Publikum. Er hat die Kettensäge nicht dazu mitgebracht, um die Trauerweide zu fällen, die im Hof des TamS zum Gedächtnis von Karl Valentin wächst. Aber was will er dann? Die Besucher stehen schließlich in zwei Reihen auf der Bühne. Als sie sich verbeugen, beginnt der Mann zu klatschen.
Die Töpfe brodeln
Die Handlung holt den Zuschauer dort ab, wo er sich befindet, nämlich im Theater. Genauer: In der Kantine eines Theaterhauses. Dort spielen sich Dramen aller Art ab, logisch, das haben Theater nun mal so an sich. Die Requisite entdeckt an einem Erbseneintopf die Langsamkeit, die Souffleuse verliert ihr Stück Kuchen, der Musiker legt das Saxophon weg und ist pleite, und wem gehört eigentlich der verdammte Schlitten? Eine heitere, surreale Parodie auf die Schrulligkeiten der großen Theaterwelt, konsequenterweise in einem kleinen Schwabinger Off-Theater, in dem die Wirklichkeit immer nur so gerade eben verfehlt oder überschritten wird.
Ich packe meinen Koffer...
Zumindest so lange, bis sich Spiel und Wirklichkeit eben doch auf blutige Art und Weise zu berühren drohen. Der Mann mit der Kettensäge entspringt sozusagen in Fleisch und Blut dem deklamierten Stück, das Blutrünstigkeit des Fremden in allen schaurigen Details beschreibt, während er bloß in der Tür steht und einen Kaffee will. Aber man kann sich hier auf nichts verlassen – in seinem Koffer ist wirklich das Mordinstrument. Also nichts wie raus hier, aber nicht ohne das, was man zum Theatermachen alles so braucht. Daher wird auch das Publikum mit eingepackt und hinter die Kulissen einer Inszenierung geführt, die ohnehin nur aus doppelten Böden besteht.
Ins Offene
Was folgt, ist ein unbeschwerter Klamauk, in dem sich das Theater über das Theater lustig machen darf, ohne dass daraus folgenschwere Reflexionen erwachsen müssten. Wir folgen den Theaterleuten ins Freie – in der Leichtigkeit des Spaßes liegt die Stärke des Stücks. Während der Fluchtvorbereitungen schwebt an einem Draht ein Stückchen Stoff, ein loser „Gala-Vorhang“, vorbei am Publikum durch den Hinterhof, in dem gerade die Sonne untergeht. Die Schauspielerin verkündet verzückt, dieser sei das Herzstück des Theaters. Und sie hat Recht. Ein magischer Hauch Nichts trennt mitunter Spaß und Poesie, Kostüm und Kettensäge. An einigen entscheidenden Moment blitzt nämlich auch eine andere Note durch, die gerade deshalb nachhaltig wirkt, weil sie sich im nächsten Moment gleich wieder selbst veralbert.
Es bleibt in der Familie
Zu der Unbeschwertheit des Ganzen passt die Intimität des kleinen Ensembles. Der Spaß, den die Proben offenbar gemacht haben, ist spürbar. Man hat das Gefühl, bei einer großen, etwas verrückten WG mit einem Theaterspleen eingeladen zu sein – die auch noch in einem wunderschönen Haus wohnt. Nach der Vorstellung lässt man sich ein Bier durch den Fenster-Ausschank reichen. Die Sonne ist mittlerweile ganz verschwunden, in dem kleinen Innenhof des TamS brennen Teelichter. Jetzt ist Ruhe. Und es ist eine Art von Ruhe, die zu dem vorangegangenen Lärm des Stückes passt. Der ist nämlich, um die Kantinen-Wirtin aus dem ersten Akt zu zitieren, „nicht nur gut, sondern auch schön“.
Wer „Die Nachtigall mit der Kettensäge“ selber sehen will, hat dazu noch bis zum 11. Juli Gelegenheit. Gespielt wird mittwochs bis samstags, jeweils um 20.30 Uhr, im Theater am Sozialamt, kurz TamS.