Die Enden der Welt – Roger Willemsen zu Gast im Literaturhaus
Gestern hat im Münchner Literaturhaus eine Lesung mit Roger Willemsen stattgefunden. Der renommierte Publizist und Autor sollte aus seinem neuesten Werk „Die Enden der Welt“ vorlesen. Doch dann kam alles anders...
Es sollte eine klassische Lesung werden. Ein Autor, der dem Publikum Passagen aus seinem neuesten Werk vorliest, eingepackt in Einleitung und Nachgespräch.
Roger Willemsen aber hatte anderes vor. Gleich zu Beginn schob er sein Manuskript demonstrativ an die äußerste Ecke seines Tisches. Dann begann er – hochmotiviert und mit einem strahlenden Gesicht – Geschichten zu erzählen. Es waren kurze Geschichten. Episoden aus seinen unzähligen Reisen an die entlegensten Orte der Welt. Wer sein neues Buch „Die Enden der Welt“ bereits gelesen hatte, erkannte alle Anekdoten wieder, waren es doch Auszüge aus eben jenem Werk. Roger Willemsen ist ein Redner – durch und durch. Hat er einmal losgelegt, gibt es kein Halten mehr.
Minsk, Mandalay und Patagonien
Eloquent und mit ungebrochenem Redefluss führt Roger Willemsen das Publikum durch die trübselige, graue Riesenstadt Minsk, in der er bei einer skurrilen Begegnung in einem Krankenhaus zwei verwahrloste Essiggurken erwirbt, die er anschließend auf dem Krankenbett eines ihm Unbekannten vergisst.
Er nimmt das Publikum mit nach Patagonien und führt es ein in eine rauhe, wüste Welt, ein Land das jahrelang unter der Diktatur Pinochets zu leiden hatte. Mit seinen Augen streift man durch Orte mit kleinen, wesenlosen Ansiedlungen, macht Bekanntschaft mit der Einsiedlerin María und besucht ein Provinzgefängnis, dessen humaner Wärter Hoffnung auf ein neues, ein „gutes“ Chile gibt.
Die Reise führt auch nach Mandalay. Auf dem Fahrt in der Holzklasse macht man Bekanntschaft mit einem mittellosen Ehepaar, das auf die Frage nach ihrem Reiseziel nur zu antworten weiß „Nach Hause, in den Krieg“. Ein Krieg an der Grenze von Birma und China, von dem im Westen niemand weiß, weil es vor Ort keine Berichterstatter, keine Kameras, keine Medien gibt. Ein Krieg am Ende der Welt. Für Außenstehende surreal und nicht greifbar, ergo nicht existent.
Eingetaucht und verschlungen
Fast anderthalb Stunden lang führte Roger Willemsen seine Gäste an 'seine Enden der Welt', durch Europa, nach Afrika, in die große weite Welt. In manchen Momenten hatte man das Gefühl, er hätte seine Geschichten auswendig gelernt. So gezielt und unermüdlich ging er von einer Begegnung in die nächste über, ohne wirkliche Pausen und ohne auch nur einmal den Faden zu verlieren. Aber schnell wurde klar: Seine Art zu erzählen, die Intensität, mit der er berichtete, das Leuchten in seinen Augen und das stete Lächeln der Begeisterung und Bewunderung für das Erlebte – es war die Sicherheit eines Redners, der seine Geschichten tief in sich verbürgt hat. Deshalb flossen sie auch so.
Das Orakel namens Mumtaz
Um auch die Gäste, die eine klassische Lesung erwartet hatten, nicht zu enttäuschen, nahm Roger Willemsen zum Abschluss dann doch noch sein Manuskript zur Hand und las aus einer der wohl traurigsten Geschichten aus „Die Enden der Welt“ vor: Seine Begegnung mit dem aidskranken Mädchen Mumtaz, das in einer Baracke in Bombay ihren Körper verkauft. Ein Mädchen ohne glückliche Zukunft, das Männer ausdauernd beglückte oder vehement abwies und wegen seiner unberechenbaren Art 'Das Orakel' genannt wird.