Filmfest 2018
Die heilige Familie im Film
Auf dem Filmfest kann man der Frage "Wie ist heutzutage der Stand und der Status Quo der Familie?" anhand drei deutscher Filme erheblich näher kommen.
Je nachdem, wen man fragt, ist die Familie das Rückgrat der Gesellschaft, welches die westliche Zivilisation, so wie wir sie kennen, erst ermöglicht hat - oder eine überholte und repressive Institution, von der man sich am besten verabschieden sollte. Wie auch immer man zu der Frage steht: Es tut sich zurzeit etwas. Die Familie und ihre Bedeutung wandelt sich. Auf dem Filmfest zeigt sich, dass das Medium Film einen Beitrag zu diesem Wandel liefern kann.
Verkappte Millenials
So "Liebesfilm" von Emma Rosa Simon und Robert Bohrer. Die Komödie erinnert weniger an stereotype Romcoms, wie der Titel vermuten lassen könnte, als an den satirischen und genussvoll spielerischen Humor von Woody Allens "Annie Hall". In dem Film geht es um einen jungen Mann namens Lenz, der einen reichen Banker als Vater hat und daher keinen wirklichen Job annehmen muss, sondern es genießen kann, montags erst um elf aufzustehen. Er trifft jedoch die etwas ältere Ira, in die er sich Hals über Kopf verliert. Doch als sie ihm gesteht, dass sie so schnell wie möglich Kinder haben möchte, läuft er davon.
Der Film erzählt das Buddenbrooks Prinzip: Die erste Generation erwirtschaftet das Familienvermögen, die zweite bewahrt es und die dritte zieht nach Berlin, möchte sich selbst verwirklichen und gibt es aus. Der Film berichtet von einer Generation, der versprochen wurde, dass sie alles werden kann, was sie möchte, und gleichzeitig noch sehr sensibel ist. Aber dies wird im Film nicht in einem väterlich, belehrenden Ton behandelt, sondern aus der Generation selbst heraus mit einer durch und durch witzigen und selbstironischen Perspektive, deren größter Verdienst es ist, dass man sich ertappt fühlt oder Bekannte wieder erkennt. Es geht um den Segen und den Fluch, in eine Familie geboren zu sein und eine Familie zu gründen.
Zwischen Leiblichkeit und Recht
Während "Liebesfilm" eher die Familie an sich behandelt, geht es in "Unser Kind" von Nana Neul eher um die Frage, wie diese aussehen kann. Das lesbische Pärchen Ellen und Katharina möchte ein Kind und sie besorgen aus dem Freundeskreis eine Samenspende. Katharina wird schwanger und die beiden bekommen ihr Kind. Doch Katharina stirbt bei einem Autounfall, bevor ihre Partnerin das Kind vollkommen adoptieren konnte. Es entbrennt ein Streit zwischen Ellen, Kathrins Eltern und dem Samenspender, die alle selbst für das Kind sorgen wollen
Der Film behandelt das Possessivpronomen im Titel: Wem gehört ein Kind, wenn diese Frage nicht mehr ausschließlich an die leibliche Elternschaft gebunden ist, und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Familie und welche das Recht? Der Filme ist auf Dauer ein wenig anstrengend, da die meisten Szenen leider nur dem filmisch eher uninteressanten Aufbau von „Zwei Menschen, die reden“ folgt, aber dennoch ist diese überspitzte Darstellung interessant, um sich die Problematik vor Augen zu führen.
Zwei tanzende Schwestern
Aber dem Thema kann man sich nicht nur über Humor oder in überspitzten Gedankenexperimenten zuwenden: In dem Film "Nixen", dem glorreichen Spielfilm-Debut von Katinka Narjes, das erst auf diesem Filmfest Premiere gefeiert hat, geht es um die beiden Schwestern Nene und Ava. Die beiden haben eine innige Beziehung und arbeiten sogar als Kellnerinnen im gleichen Bistro. Aber ihre Beziehung wird auf die Probe gestellt, denn Ava trennt sich von ihrem Freund und Nene hat für die beiden Schwestern einen Auftritt mit Klavier und Gesang in einer Hotelbar organisiert.
Man möchte den Film einrahmen, so hübsch ist er geworden. Die Farben, die Kameraführung, die Musik, dazu die Choreographie zwischen den Darstellern und der Kamera erzählt nicht nur eine Geschichte zweier Schwestern, sondern zeigt diese auf elegante Weise. Durch den mühelosen Erzählstil wird die Beziehung zwischen den Schwestern verständlich. Es stellt sich das Gefühl ein, dass man die Beziehung zwischen den beiden tatsächlich versteht, alleine durch das, was man sieht. Das macht "Nixen" zu einem Film, der auf clevere und hübsche Weise die Beziehung zweier Schwestern zeigt.
"Liebesfilm" läuft auf diesem Filmfest leider nicht mehr, erwartet aber seinen deutschen Kinostart; auch "Unser Kind" läuft vorerst nicht mehr, wird aber 2019 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt. "Nixen" ist noch zweimal auf dem Filmfest zu sehen, jeweils in Anwesenheit des Filmteams.