Home > Kultur > Die Kammer des Lebens
M94.5 Theaterkritik

Die Kammer des Lebens

Autor(en): Nina Mohs am Freitag, 12. Oktober 2018
Tags: , , , , ,
Quelle: © Julian Baumann

Benjamin Radjaipour als Prometheus

Wer denkt, ein zehnstündiges Theaterstück ist langweilig, täuscht sich. "Dionysos Stadt" schafft die besonderste Theatererfahrung dieser Saison.

Die Perser, Medea oder Antigone - wohl drei der bekanntesten Theaterstücke der Antike - und alle zusammen Teil der Dionysien, den wohl berauschensten Festspielen im antiken Griechenland. Und genau diese Dionysien, dieses Fest, bringt Christopher Rüping jetzt nach München. Zwar nicht über ganze fünf Tage, die eigentliche Dauer der Festspiele, sondern nur zehn Stunden. Das Ergebnis: Eine außergewöhnliche und besondere Erfahrung, die wirklich niemand missen sollte, der reine Leidenschaft und Liebe zum Theater erleben möchte.

Teil 1 - Prometheus

Der erste und wohl schwächste Teil der insgesamt vierteiligen Inszenierung. Schwach heißt hier aber in keinem Fall, dass diese Station des Abends nicht durch eine spannende und clevere Inszenierung heraussticht. Das wird auch spätestens nach der ersten halben Stunde genialer Improvisation des Schauspielers Nils Kahnwald deutlich. Es sind lediglich ein paar Längen, die diesen Teil von den anderen unterscheiden.

Nichtsdestotrotz ist die Geschichte über Prometheus, der Anfang, die Erschaffung des Menschen für den weiteren Verlauf umso wichtiger. Denn hier werden wichtige Motive gesetzt, die für die restlichen acht Stunden immer wieder auftauchen und die einzelnen Teile miteinander verbinden.

Das klare und dezente Bühnenbild aus einer dünnen Metalltribüne holt das Setting der Dionysien dabei in die heutige Zeit. Diese Bescheidenheit in der Szenerie ist es aber auch, die den gefangenen Prometheus in einem Metallkäfig, umso verlorener erscheinen lässt. Eingesperrt und wiederholt übergossen mit Farbe schwebt er über der Tribüne und wird von Zeus bestraft: Denn er hat den Menschen das Feuer gegeben und genau das hält Zeus für einen großen Fehler.

Die Angst, dass der Mensch sich mit dem Feuer gegeneinander aufbürdet, weil er von seinem Kontrollverlust getrieben sei und keinen eigenen Willen habe, beunruhigt Zeus. Doch der Mensch, in diesem Fall die Figur und der Schauspieler Nils Kahnwald erhebt sich vor dem Publikum mit den Worten Goethes und Stagediven. Ja richtig, sie Stagediven. Und obwohl das vielleicht absurd klingt, es passt perfekt zu und in diese Inszenierung. Und so lässt dieser Anfang auch schnell erahnen, dass Rüping an diesem Abend nicht nur eine Überraschung aus dem Ärmel zaubern wird.

Teil 2 - Troja

Die Geschichte von Troja ist wahscheinlich einigen bekannt. Zumindest das trojanische Pferd oder der Trojaner als ungebetener Gast auf dem Computer. Diese Geschichte aufregend bzw. anders zu inszenieren ist also gar nicht so einfach. Aber auch nach den ersten zwei Stunden Prometheus und einer kurzen Pause, schafft es Rüping das Publikum weitere zweieinhalb Stunden begeistert im Saal zu halten. Denn bei Troja handelt es sich wohl um den musikalischsten Teil der gesamten Inszenierung und obwohl diese Station die längste des Abends ist, vergeht die Zeit viel zu schnell.

Was Rüping, das Ensemble und besonders der Musiker Matze hier kreiern, ist unglaublich. Ein einzelner Schlagzeuger und seine technischen Spielzeuge, mit denen er nicht nur die gesamten zehn Stunden über für die musikalische Unterstützung und Untermalung sorgt, befindet sich in der Mitte der Bühne - mittlerweile um ein riesiges Metallgestell mit weißen Projektionsflächen erweitert - und erfüllt die Kammer 1 mit dem passenden und gewaltigen Sound, um eine Schlacht, wie die von Troja darzustellen.

In Kombination mit dem teilweise sogar dreisprachigen Text und dem Schauspiel fesselt dieser Teil ungemein. Generell ist das Schauspiel extrem überzeugend, was wohl daran liegen muss, dass die Schauspieler nicht nur gut performen, sondern vor allem extrem leidenschaftlich und begeistert wirken. Der Spaß an diesem Stück ist jedem einzelnen anzusehen und genau diese Freude überträgt sich die gesamten zehn Stunden auf den Zuschauer. Ein Erlebnis, das man auf jeden Fall genießen sollte.

Teil 3 - Orestie

Nach viereinhalb Stunden Theater, zwei Teilen und eineinhalb Stunden aufgeteilter Pause, kommt es mit dem dritten Teil wohl zum ja, einfach witzigsten Teil der Inszenierung. Während Prometheus und Troja, besonders zweiteres, sehr emotional sind, wird die Geschichte der Orestie komplett neu aufgezogen. Wider der Erwartungen befindet sich der Zuschauer ganz plötzlich in einer Soap. Das Setting könnte direkt aus einer Folge Marienhof stammen und der passende Folgeneinspieler macht der Serie Verbotene Liebe Konkurrenz.

Teil drei ist nicht nur unglaublich unterhaltsam, sondern auch extrem durchdacht, detaillreich und liebevoll eingebettet in die gesamte Inszenierung. Völlig absurd wirken die Soapartigen Dialoge zwischen den Figuren, die sich gerade eigentlich alle gegenseitig umbringen wollen, aber dabei wirken als würden sie sich über den neusten Hotelskandal aufregen. Selbst den Schauspielern fällt es zwischendurch schwer die Contenance zu bewahren und Gro Swantje Kohlhof entweicht ein kleiner Lachanfall, was aber unglaublich sympathisch wirkt in diesem Moment. Auch der vorletzte Teil hält den Zuschauer im Bann der Inszenierung und treibt die Lachtränen in die ein oder anderen Publikumsaugen.

Teil 4

Zu Teil vier sollen gar nicht so viele Worte verloren werden. Zu Beginn des Stückes, während der Improvisation von Nils Kahnwald, beschreibt der diesen als das schönste, was er jemals im Theater gesehen bzw. erlebt hat. Das ist tatsächlich nicht zu viel versprochen, egal wie hoch die Erwartungen in diesem Moment gesetzt wurden. Es IST wohl eine der schönsten Sachen, die auf einer Bühne entstanden sind und dabei werden nur ganz wenig Mittel benutzt bzw. eigentlich nur ein ganz besonderes. Doch das soll nicht verraten werden. Denn diesen Moment soll jeder für sich erleben und genießen können.

Erleben und genießen. Genau das ist, was einen in Christopher Rüpings Dionysos Stadt erwartet. Zehn Stunden, die viel zu schnell vergehen, weil man noch mehr von dieser Leidenschaft am Theater auf der Bühne sehen möchte. Es wird ein Theatererlebnis geboten, was nicht so schnell vergessen wird. Das liegt an dem Zusammenspiel aus Bühne, Ensemble, Musik, Regie, Text und jeder Person, die dahinter steht. Die dahinter steht, dass Theater Leidenschaft ist, dass Theater auch in kleinen Gesten wie ironischen Kommentaren zu dem Frauenbild der Antike, politisch sein kann, dass Theater ein ganz besonderes und einzigartiges Erlebnis ist.

Generell ist es wichtig hier zu erwähnen, dass das Gefühl da ist, dass Matthias Lilienthal im Angesicht des ja eher erwirkten Abgangs im Jahr 2020 an den Kammerspielen nochmal richtig zeigen will, wie politisches Theater, leidenschaftliches Theater und mutiges Theater funktioniert und was in München in zwei Jahren eine große Lücke hinterlassen wird. 

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

mehr
M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

mehr
M94.5 auf Youtube

Der M94.5-Newsletter
Du willst regelmäßig News von M94.5? Dann musst nur deine E-Mail-Adresse angeben! Keine Angst, wir spamen deinen Posteingang auch nicht voll.
 
 
Die afk Familie