M94.5 Filmkritik
Ein Zug, ein Mord, ein Detektiv
Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh in seiner Rolle als Detektiv Hercule Poirot
Die vierte Verfilmung von "Mord im Orient-Express" trumpft mit einer ganzen Reihe Hollywoodstars auf. Ob das für einen guten Film reicht?
Die Antwort ist: Jein. Natürlich ist der Film spannend, natürlich sind die Schauspieler weltberühmt. Aber dennoch fehlt irgendwas. Die Handlung folgt der Romanvorlage von Agatha Christie und so bekommt der „wohl berühmteste Detektiv der Welt“, wie sich Hercule Poirot selbst nennt, spontan noch einen Platz im begehrten Luxus-Zug „Orient-Express“. Schnell macht er auf dem geringen Raum Bekanntschaft mit den anderen Reisenden, betont aber, dass er Urlaub braucht und daher ein bisschen Ruhe sucht. Natürlich wird daraus nichts, als einer der Passagiere ermordet wird. Der Direktor der Eisenbahngesellschaft ist auch an Bord und bittet seinen belgischen Freund Poirot um seine Mithilfe zur Aufklärung des Falls. Die Polizei kann nämlich nicht helfen, da eine Lawine den Zug halb verschüttet hat und sie somit mitten in den Bergen festsitzen. Bei seinen Ermittlungen stellen sich erstaunlich viele Verbindungen zwischen den "Fremden" heraus und dann entlasten sich auch noch alle gegenseitig. Poirot steht vor einem Rätsel: Wer ist der Mörder? Die Gouvernante? Der Professor? Die Witwe? Der Schaffner? Oder sogar der Doktor?
Details en masse
Ein Film, der zum Großteil in nur einer sehr kleinen Location spielt – einem Zug. Die Aufnahmen im Luxus-Express sehen aber wunderbar aus, detailreich wird jeder Charakter vorgestellt und von Anfang an werden kleine, mögliche Verschwörungen der Passagiere untereinander angedeutet. Der Zuschauer rätselt selber mit, freut sich, wenn er etwas entdeckt hat, was dem Detektiv selber erst später klar wird. Der Tathergang wird rückblickend rekonstruiert und mit Rückblenden ganz klassisch gezeigt, denn der Film ist eben doch ein recht klassischer Krimi. Nur dass die Ausgangslage ein kleines bisschen anders ist. Trotzdem möchte der Streifen mehr sein als ein Krimifilm und arbeitet mit ein paar Action-Szenen. Diese wirken fehl am Platz, obwohl ein bisschen mehr Action vielleicht ganz gut getan hätte – aber dann richtig und vor allem glaubwürdig eingebaut. Aber der Krimi will noch mehr als ein Krimi-Action-Film sein, nämlich auch noch ein bisschen eine Komödie. Wenigstens das funktioniert, Poirots eigenartige Persönlichkeit, mit französisch-belgischem Akzent, pingelig und höchst amüsiert von Charles Dickens sowie mit einem Haar-Netz für seinen Bart schlafend, das sind kleine Details zum Schmunzeln, ohne dass es zu viel wird.
Ganz Hollywood ist an Bord
Es fühlt sich tatsächlich so an, als hätte man alle Hollywood-Superstars in einen Film gequetscht. Von Judi Dench über Johnny Depp bis hin zur Star Wars-Heldin Daisy Ridley ist jeder vertreten. Und da jeder am Ende Tatverdächtiger ist, ist auch jeder einzelne Star wichtig für die Handlung. Es gibt keine richtigen Nebenrollen, nur wichtige Hauptpersonen. Heraus sticht aber natürlich der Detektiv: Kenneth Branagh. Zuletzt war er noch Soldat am Strand von Dunkirk, jetzt löst er einen Mord. Zugleich ist er der Regisseur des Films und weiß somit, wie er sich selber in Szene setzen kann. Das gelingt durchaus, denn der Detektiv und seine Persönlichkeit retten den Film womöglich für Zuschauer, die das Buch und somit die Geschichte bereits kennen.
Dank einem wundervoll und detailreich eingerichteten Zug und vielen spannenden Charakteren ist der Film nicht langweilig und schön anzuschauen. Der Zuschauer kann selbst miträtseln und überrascht werden, während dem Streifen noch ein kleiner Touch Action fehlt. So ist es ein gemütlicher Film geworden, für den man aber nicht ins Kino gehen muss. Daheim auf der Couch oder im Fernsehen als Tatort-Ersatz klingt nach einer passenderen Umgebung, um einem Detektiv bei der Arbeit im Schneechaos zuzuschauen.
"Mord im Orient-Express" kommt am 9. November 2017 in die deutschen Kinos