Home > Kultur > Gespaltenes Publikum
Zukunft der Kammerspiele

Gespaltenes Publikum

Autor(en): Manuel Andre am Montag, 21. November 2016
Tags: , , , ,
Quelle: M94.5/ Manuel Andre

Bis zum letzten Platz gefüllt: Die Podiumsdiskussion in den Kammerspielen

Intendant Matthias Lilienthal lädt zur Podiumdiskussion: Die Zuschauer stehen Schlange und auf der Bühne fliegen die Fetzen. Eine Analyse.

Es ist kurz vor 17 Uhr: Gerade öffnet die Abendkasse in den Kammerspielen. Vor dem Eingang hat sich bereits eine Schlange gebildet. Die Tickets für die Podiumsdiskussion sind heiß begehrt. Unter dem Titel „Welches Theater braucht München?“ hat Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal zur Podiumsdiskussion geladen.
Grund dafür ist die anhaltende Diskussion über den Weg der Münchner Kammerspiele unter seiner Intendanz. Diesen Weg, geprägt von jede Menge Performance-Theater, sehen vor allem langjährige Abonnenten sehr kritisch. Die Absage der Premiere der Inszenierung "Plattform/Unterwerfung" und die Kündigungen dreier Schauspielerinnen - unter ihnen Publikumsliebling Brigitte Hobmeier - hatten das Fass zum Überlaufen gebracht und so zu dieser polarisierenden Diskussion geführt.

Wer an der Kasse keine Karte mehr bekommt, wird auf das Dachgeschoss oder das Blaue Haus verwiesen, wo die Diskussion live übertragen wird.

Mit kleiner Verspätung treten die fünf Auserwählten von der linken Seitenbühne auf. Neben Moderator Michael Krüger (Bayerische Akademie der Schönen Künste), prescht SZ-Journalistin Christine Dössel voran. Als letztes, hinter Kammerspiele-Schauspielerin Annette Paulmann und AZ-Redakteur Robert Braunmüller, schleicht Matthias Lilienthal in seinem typischen Schlabberlook auf die Bühne – sichtlich unbeeindruckt vom Interesse der Öffentlichkeit.

Um Krüger sitzen vier Personen mit vier unterschiedlichen Meinungen und davor ein gespaltenes Publikum. Fünf kurze Rollenprofile:

Christine Dössel – die Powerfrau der Süddeutschen Zeitung

Christine Dössel spielt von Anfang an die Hauptrolle in der Inszenierung „Ich vertrete meine Meinung und bestehe darauf“. Sie rechtfertigt sich für ihre kritischen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Sie redet von fehlender Sorgfaltspflicht des Intendanten, von unglücklichen Schauspielerinnen und von fehlender Ästhetik. „Quantität sei nicht Qualität“ sagt Dössel. Ihre Argumente trägt sie immer wieder vor, verzettelt sich aber häufig in ihren Ausführungen. Sie fühlt sich als AfD-Tante verspottet und fragt nach Visionen von Lilienthal.
Stärkster Satz: „Manche Dinge (Performances) wirken in diesem großen Rahmen plötzlich klein. Hätte man die in einem kleinen Raum gezeigt, hätten sie vielleicht ihren Charme.“

Annette Paulmann – die Insiderin

Paulmann kennt die Bühne und schafft es, mit wenigen Wortmeldungen die Seite des Ensembles zu vertreten. Sie stellt den Ton des Artikels von Dössel in Frage und lockt sie geschickt aus der Reserve, als sie fragt, welche Inszenierungen Dössel denn in letzter Zeit gelungen fand (Antwort: „'Wut' war das beste in letzter Zeit“).
Paulmann verliert kein schlechtes Wort über das Ensemble, bedauert aber natürlich die Kündigungen ihrer Kolleginnen und eine schlechte Stimmung kann sie erwartungsgemäß auch nicht erkennen. Ihr Auftritt war sympathisch aber auch angriffslustig.
Stärkster Satz: „Bei uns im Ensemble gibt es keinen Unterschied zwischen Schauspieler, Performer oder Tänzer“

Robert Braunmüller – war auch dabei

Braunmüller sitzt lässig auf seinem Stuhl und erläutert warum die Abendzeitung auf den Zug mit aufgesprungen sei. Er spielt auf der Bühne die sanfte Version von Dössel und hält sich auch mit übergroßer Kritik zurück. Ein Raunen geht dann aber durch's Publikum, als er Lilienthal mit Hillary Clinton vergleicht: Lilienthal mache nicht viel falsch aber es komme eben nicht viel dabei heraus.
Stärkster Satz: - 

Matthias Lilienthal – der Unbeeindruckte

Matthias Lilienthal hält sich lange zurück. Erst nach etwa 15 Minuten kommt der Intendant zum ersten Mal zu Wort. Und wenn er redet, überzeugt er mit seiner gewohnt lässigen Art.
Lilienthal ist der Ruhepol auf der Bühne und entkräftet viele Argumente: „Krise? Welche Krise?“ 
Laut Lilienthal stimmen die Zahlen, die Auslastung liegt im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Dass bei einem Intendantenwechsel Schauspieler das Haus verlassen, sei durchaus normal. Der Intendant ist sich aber auch nicht zu Eitel, Fehler einzugestehen: Manche Stücke/Performances hätten zwar nicht so funktioniert wie sie sollten, aber grundsätzlich sei er sehr zufrieden.
Auf die Frage nach dem Konzept des Hauses macht er klar, dass er mit seinem Theater für Weltoffenheit stehe. Und wenn da, wie Lilienthal betont, die teuersten Quadratmeter der Republik einmal in der Woche Flüchtlingen im „Welcome Café“ zur Verfügung gestellt werden, sehe er sich auf einem guten Weg.
Sein stärkster Satz kommt auf die Nachfrage, ob er seine Experimente als gescheitert ansehe:
„Das Experiment fängt gerade erst an.“

Das Publikum – ein Generationenkonflikt

Das Publikum ist an diesem Abend extrem bunt gemischt. Oben mittig sitzt ein Kammerspiele-Fanblock, der vor allem die Worte von Paulmann feiert. In den ersten Reihen sitzen die langjährigen Abonnenten, denen Lilienthals Performance-Theater ein Dorn im Auge ist. Wortmeldungen aus den Rängen wiederholen oft das Gesagte und positionieren sich entweder zum Team Lilienthal/Paulmann oder Dössel/Braunmüller.
Jemand aus der freien Szene spricht seinen Dank aus, für das, was Lilienthal für Performance-Kollektive macht und dann erhebt sich eine selbst ernannte, enttäuschte Zuschauerin und es kommt zum lautesten Satz des Abends. Sie schreit:
„Theater ist ein Ort der Kraft, der Poesie, der Ästhetik. Wo ist dieses Theater? Ich will nicht Politik machen, ich will Theater sehen!“

1:0 für die Kammerspiele

Insgesamt war es eine spannende, vielseitige Diskussion mit einem klaren Sieger: Die Kammerspiele.
Und das nicht, weil der Weg, den Lilienthal eingeschlagen hat, unbedingt der richtige ist. Sondern einzig und allein aus dem Grund, dass sich wieder mehr Leute für die Kammerspiele und ihre Inszenierungen interessieren. Vielleicht mag der langhaarige Berliner den ein oder anderen Abonnenten vergrault haben, doch die breite Öffentlichkeit und vor allem die jungen Münchner sind neugierig geworden und werden sich nicht scheuen, auch mal skurrile Inszenierungen in den Kammerspielen zu besuchen.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

mehr
M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

mehr
M94.5 auf Youtube

Der M94.5-Newsletter
Du willst regelmäßig News von M94.5? Dann musst nur deine E-Mail-Adresse angeben! Keine Angst, wir spamen deinen Posteingang auch nicht voll.
 
 
Die afk Familie