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Filmfest 2016

Kino-Konfekt

Quelle: © Filmfest München 2016

Bibiana Beglau hart am Feiern, in "Über Barbarossaplatz".

Das Filmfest ist wie eine Schachtel Pralinen: Ein Rückblick auf ein bewegtes Programm zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen.

Bei über 200 Filmen weiß man nie, was man bekommt - erst recht nicht, wenn Beiträge aus aller Welt um die Aufmerksamkeit des Zuschauers buhlen. Ein beträchtlicher Anteil der präsentierten Filme läuft nur während des Filmfests über deutsche Leinwände, und danach nie wieder. Um die wollen wir nun aber nicht trauern, sondern stattdessen diejenigen Pralinen herauspicken, nach denen auch der deutsche Kinogänger voller Vorfreude Ausschau halten darf: Persönliche Highlights nach zehn Tagen Kino-Marathon.

Captain Fantastic (USA 2016)

Letztes Jahr eröffnete Viggo Mortensen das Filmfest mit "Loin des Hommes", nun durfte er es ebenso herausragend mit "Captain Fantastic" beenden. So grundverschieden die beiden Filme auch sind und so unterschiedlich die Welten, in denen sie sich bewegen: Es liegt ihnen beiden eine fundamentale Wertschätzung von Menschlichkeit zugrunde, die in jeder einzelnen, liebevoll gezeichneten Figur sichtbar wird. "Captain Fantastic" zeigt einen Vater, der nichts unversucht lassen möchte, um seinen Kindern das bestmögliche Leben zu bieten: In seinem Fall bedeutet das, ihnen fernab jeglicher Zivilisation das Überleben in freier Wildbahn sowie die Grundsätze des humanistischen Menschenbilds nahezubringen. Was hochtrabend klingen mag, ist schlichtweg lustig umgesetzt, doch nimmt der Film seine Charaktere durchweg so ernst, dass die Geschichte trotzdem berührt, selbst wenn sie haarsträubend klingt. Ein ganz besonderes Feel-Good-Movie, das nichtsdestotrotz zum Nachdenken anregt. Eine eindeutige Bewertung der getroffenen Entscheidungen liefert der Film nämlich nicht.

Deutscher Kinostart: 18. August 2016.

First Girl I Loved (USA 2016)


Moderne Liebesgeschichten werden auf iPhones geschrieben. © Filmfest München 2016

Coming-Of-Age-Filme gibt es wie Sand am Meer und davon mittlerweile auch eine ganze Menge gute. Wozu also mehr davon? Weil die Thematik so universell ist, dass sie jeden berührt - und damit auch jeden potenziellen Zuschauer repräsentieren sollte. "First Girl I Loved" ist eine stinknormale Story über die erste große Liebe. Nur sind es hier eben zwei Mädchen, die sich verlieben, und das mit einer zärtlichen Neugierde, die so tief unter die Haut geht, dass ihr Geschlecht völlig nebensächlich wird. So, wie es eben sein sollte. Regisseur Kerem Sanga zeigt seine Protagonistinnen in ruhigen, warmen Bildern, lässt sie flirten via iPhone und liefert große Gefühle ohne jede Theatralik, echte Figuren fernab von Schwarzweiß-Zeichnung. Es fehlt das für Hollywood so typische Happy End und vielmehr wird der Zuschauer ein wenig ratlos im Kinosessel hängen gelassen. So wie das eben ist, mit der ersten großen Liebe.

Deutscher Kinostart: voraussichtlich Frühjahr 2017.

The Salesman (Frankreich, Iran 2016)


Menschliches Drama in wenigen Blicken in "The Salesman". © Filmfest München 2016

Dass Regisseur Asghar Farhadi dem Filmfest etwas Großartiges beisteuern würde, stand fast außer Frage: Mit "Nader und Simin" gewann er 2011 einen Oscar, dieses Jahr wurde er für "The Salesman" in Cannes ausgezeichnet. Und das zu Recht: Der Film liefert einen unglaublich authentischen Einblick in das Leben im modernen Teheran und in eine Beziehung, wie sie selten so menschlich im Kino zu sehen ist. Ohne Beschönigung erzählt "The Salesman" mit geduldiger Ruhe und auf das Wesentliche beschränkt von einem Paar, das sich dem harten Alltag stellen muss. Hauptdarsteller Taraneh Alidoosti und Shahab Hosseini vermitteln auch ohne viel Text ihre komplexe und doch so nachvollziehbare Gefühlswelt - oft nur mit einem einzigen Blick. Damit bleibt der Film nicht nur stets nah bei seinen Figuren, sondern geht auch dem Zuschauer nahe. Ein erfrischend echtes Beziehungsdrama.

Deutscher Kinostart: 12. Januar 2017.

The Student (Russland 2016)

Verstörend ebenso wie unterhaltsam besticht "The Student" vor allem durch die Absurdität seiner Dialoge. Veniamin entwickelt quasi über Nacht eine an Fundamentalismus grenzende Faszination für die Bibel und terrorisiert seine Mitmenschen mit pausenlosen Zitaten und Predigten. Was nach schwerer Kost klingt, wird zur zweistündigen Farce, die ihre Charaktere an ihre Grenzen treibt und damit völlig ohne Längen auskommt. Basierend auf Marius Mayenburgs Stück "Märtyrer" entwickelt "The Student" (im Original "Uchenik", der Schüler, der durch ein vorangestelltes M zu "Muchenik", dem Märtyrer, wird) oft selbst eine theaterähnliche Dynamik, mit langen Szenen, kleinen Räumen und einer den Figuren stets nahe stehenden Kamera. Zwar lässt der Film sein Publikum geplättet und überwältigt zurück, aber er wird nie so anstrengend, dass das Interesse verloren gehen könnte. Nicht zuletzt besticht er durch seine besorgniserregende Aktualität.

Deutscher Kinostart: voraussichtlich November 2016.

Über Barbarossaplatz (Deutschland 2015)

Die Volksweisheit, dass alle deutschen Filme per Definition schlecht sein müssen, ist längst widerlegt. Dennoch ist es jedes Mal besonders erfreulich, wenn eine heimische Produktion dann nicht nur "nicht schlecht", sondern schlichtweg großartig ist. Dieses Prädikat hat "Über Barbarossaplatz" vor allem Hauptdarstellerin Bibiana Beglau zu verdanken, die sonst im Residenztheater die Petra von Kant oder den Mephisto gibt und hier nun mit derselben unbändigen Kraft eine verlorene Psychologin an sich selbst scheitern lässt. Ihre Darbietung fesselt nicht nur, sondern entringt dank ihrer trockenen Art selbst dem größten Drama noch ein Schmunzeln. Nun ist dieser Film aber keine One-Woman-Show: Neben diversen weiteren, durchweg fantastischen Schauspielern (Joachim Król, Franziska Hartmann, Shenja Lacher) sind es vor allem der intuitive Schnitt und der lose Erzählstrang, die "Über Barbarossaplatz" so erfrischend und innovativ machen. Selbst deutsches Fernsehen kann also noch wunderbar mutig sein. Sieh an.

"Über Barbarossaplatz" soll noch im Laufe des Jahres im WDR ausgestrahlt werden.
 

Das Filmfest München 2016 lief vom 23. Juni bis 02. Juli. Unsere Berichterstattung findet ihr hier zum Nachlesen.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
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Munich Rocks!
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Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
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