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Kunst braucht Standort

Autor(en): Hannah Schopf am Samstag, 26. März 2011
Das Areal zwischen Dachauer- und Schwere-Reiterstraße ist eines der letzten innerstädtischen Künstlerreservate. 2010 beschloss der Stadtrat, das Gelände neu zu strukturieren - ob das jetzt Abriss oder Sanierung bedeutet, ist noch nicht klar. Doch die meisten Kreativen erinnern sich noch mit Schrecken an die Folgen, die ein ähnlicher Beschluss für die Domagkstraße hatte...

Der 28.04.2010 war kein guter Tag für die freie Künstlerszene in München. Besonders nicht für die, die sich auf dem Gelände an der Dachauerstraße befindet. In drei Gebäuden haben sich die Kreativen niedergelassen und etabliert: Im Atelierhaus arbeiten 29 Künstlerinnen und Künstler in sehr günstigen, weil städtisch subventionierten Ateliers. Der Schwere Reiter hat sich als Location für Tanz, Musik und Theater hervorgetan. Und im benachbarten Pathos Transport Theater entstehen jedes Jahr ca. 12 Produktionen.

Stadtratsbeschluss zur Neustrukturierung des Geländes

Am 28.04.2010 zuckten all die Künstler und Kreativen an der Dachauerstraße zusammen, denn der Stadtrat beschloss in einer Vollversammlung die Überplanung des Geländes. Überplanung heißt in diesem Fall natürlich auch immer: Effektive Nutzung. Und effektive Nutzung bedeutet für eine Stadt wie München, die bis 2030 den Zuzug von 120.000 Menschen erwartet: Wohnungsbau.

Der Schwere Reiter, das Pathos Transport Theater und das Atelierhaus stehen demnach zur Diskussion – denn der Grundsatzbeschluss zur Neustrukturierung ist inhaltlich so offen, dass sowohl ein Abriss als auch eine Sanierung und ein Ausbau der Gebäude möglich wäre.

Am 24.03.2011 fanden sich im Schweren Reiter deshalb verschiedene Größen aus Stadt- und Kulturpolitik, Stadtplanung und Medienwelt zusammen, um unter dem Motto „Sanierung statt Abriss“ die Mögliche Nutzung des Geländes zu diskutieren.

Geplante Vorgehensweise

Die Jutier- und die Tonnenhalle, die sich ebenfalls auf dem 200 Jahre alten ehemaligen Industrie- und Kasernengelände befinden, müssen sich jedenfalls keine Sorgen machen. Da die Hallen als Industriedenkmäler geschützt sind, ist deren Sanierung und Umbau zu einem „Kreativquartier“ geplant. Dort soll Platz geschaffen werden für preisgünstige Arbeitsmöglichkeiten und Präsentationsräume für Künstler und Kreativwirtschaft.

Was mit dem Rest des Geländes passiert, entscheidet ein städtebaulicher Architektenwettbewerb.

Gemischtes Quartier als Wunschvorstellung

Was die optimale Nutzung des Areals betrifft, waren sich die neun Diskutanten im Schweren Reiter alle einig: Ein sogenanntes gemischtes Quartier, wo sich Kunst, Wissenschaft, Wohnen und Arbeit in direkter Nachbarschaft befinden.

Dazu Susanne Ritter, Stadtdirektorin und Mitglied des Planungsreferats der Landeshauptstadt:

Was ich noch anmerken wollte ist, dass wir natürlich nicht den Wohnungsbau hier flächendeckend drüber ziehen wollen und dann gibt es in der Mitte zwei Hallen. Sondern selbstverständlich soll das gesamte Quartier auch mit gemischten Nutzungen entwickelt werden. Es soll eine Schule geben, es gibt den Bereich der Hochschule, der sich ganz ideal mit dem Kreativquartier verbindet. Das sind einige Faktoren die hier insgesamt an eine sehr lebendige Mischung denken lassen! Das löst nicht das Problem, dass ein Großteil dieses Geländes hier verschwinden wird, aber trotzdem ist es für die Entwicklung ein guter Ansatz, der eben auch weitere kulturelle Bezüge an der Stelle zulässt.

Dr. Hans-Georg Küppers, Kulturreferent der Stadt schließt sich ihr an:

Da ist die Hochschule, die hinten ihren Campus für Architektur und Design auch neu bauen wird, das heißt, da wächst was zusammen, was auch zusammen gehört. Hochschule, Kunst, Kultur, Wissenschaft – und ich erhoffe mir davon wirklich befruchtende Möglichkeiten. Ich hoffe, es kann etwas beispielgebendes werden, wie man Kunst, Kultur, Wohnen, Wissen, Handel zusammenbringt und damit eine völlig neue Qualität eines Stadtteils entwickelt.

Abschreckende Beispiele: Domagkstraße, Paris, London

Doch so schön die Vorstellungen eines solchen gemischten Quartiers sind, ihre Umsetzung ist ungewiss. Denn im Publikum war auch ein Künstler anwesend, der in der Jury saß, als mit einem ähnlichen Verfahren über einen städtebaulichen Architektenwettbewerb über die Neustrukturierung des Areals ander Domagkstraße entschieden wurde. Mit einer Zwischenmeldung holte er die Anwesenden zurück in die Realität:

Wenn dort eine Option drin steht, wird das eine Option bleiben. [Option = Möglichkeit, die kulturellen Gebäude zu sanieren und auszubauen um Raum für Kunst zu schaffen, Anm. d. R.] Wenn die ökonomisch nicht verwertbar ist, wird eine andere Option gewählt. Wir hatten das in der Domagkstraße, es gab wunderbare Entwürfe, die die Option genutzt haben, die die ökonomische Ausbeutung des Geländes an den Rand gedrängt haben und sehr viel Platz für die Kunst vorgesehen hatten. In dieser Jury sind nämlich übrigens auch Investoren, die den OB beraten. Der Stadtrat hat zwar zur Hälfte auch das Stimmrecht, aber letztlich entscheiden dort die ökonomischen Werte.

Sollten auch diesmal die ökonomischen Werte entscheiden, werden Wohnungen gebaut, die auf Grund der zentralen Lage extrem hohe Preise haben werden. Prof. Dr. Helmut Berking, Stadtsoziologe von der Universität Darmstadt, warnte eindringlich davor. Denn was dann passiert, ist Gentrifizierung: Die völlige Regulierung der innerstädtischen Wohnbereiche über Preise. Zwei Städte, bei denen dieses Phänomen schon lange existiert, sind Paris und London. Dort leben in den Innenstädten fast nur noch alte Leute, weil die Jungen sich das nicht mehr leisten können.

Um dieses Schicksal europäischer Großstädte abwenden, wünschte sich Prof. Dr. Ingrid Krau, Stadtraum und Stadtentwicklung, „dass in München da ein Stück mehr drum gerungen wird und die Kreativen und Künstler da eine Position bekleiden. Um diese Leute in der Stadt zu halten und die nicht alle auf gepackten Koffern nach Berlin abwandern zu lassen.“

Atelierhaus, ade

Selbst wenn das Areal mit seinen jetzigen Kulturstätten, Atelierhaus, Schwerer Reiter und Pathos Transporttheater erhalten bleibt, werden sich die Künstlerinnen und Künstler, die momentan im Atelierhaus zu günstigen Mieten arbeiten, verabschieden müssen.

Denn jeder Künstler kann die städtische Förderung über subventionierte Ateliers nur fünf Jahre in Anspruch nehmen, damit dann wieder neue, junge Künstler nachrücken können. Dieses System soll vor allem denjenigen dienen, die frisch von der Akademie kommen und sich erst etablieren müssen.

Der Abschied vom Atelierhaus wird für die momentanen Bewohner hart, da sie seit fast 20 Jahren dort arbeiten. Das war deshalb möglich, weil die 5-Jahresgrenze hier wiederholt verlängert wurde, da immer wieder geplant war, das Gebäude abzureißen.

Künstler, vereinigt euch!

Trotzdem kämpfen sie für den Kulturstandpunkt an der Dachauerstraße. Den Künstlern an der Domagkstraße ist es gemeinsam gelungen, dem Druck der Investoren und des Kommunalreferats Stand zu halten und das Haus 50 zu erhalten.

Ob die Kreativen an der Dachauer- / Schwere-Reiterstraße das auch schaffen, werden die nächsten Monate zeigen.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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