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M94.5 Filmkritik

Liebe auf Sibirisch

Autor(en): Julia Ongyerth am Mittwoch, 15. November 2017
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Quelle: Drop-Out Cinema

Liebe auf Sibirisch

Eine Regisseurin aus Berlin kehrt in ihre Heimat zurück. Ein Dokumentarfilm über Liebe und Tradition in einem sibirischen Dorf.

Olga kommt aus Onon-Borzyza, einem kleinen idyllischen Örtchen östlich des Balkansees. Mit 16 zieht sie mit ihren Eltern weg von dort - nach Berlin in die Großstadt. 20 Jahre später kehrt sie zurück, sie ist auf der Suche danach, was Liebe und Glück im Leben ausmacht. Bei den Besuchen bei ihrer Verwandtschaft wird schnell deutlich, hier prallen Welten aufeinander. Von ihrem Onkel Sascha wird die 37-Jährige dafür bemitleidet, dass sie in ihrem Alter weder Mann noch Kinder hat. Keine Frage, Olga provoziert die Dorfbewohner mit ihrem westlichen Lebensstil. Und dann stellt sie auch noch kritische Fragen! Das Fazit ihres Onkels fällt deutlich aus: „Berlin hat dir nicht gut getan“.

Selbstverwirklichung oder Familienplanung

Es ist ihre eigene Familie, die Regisseurin Olga Delane in der Dokumentation zeigt. Sie selbst ist nur in ein paar Szenen im Bild zu sehen. Dafür ist sie immer hinter der Kamera, und stellt die Fragen an ihre Verwandten aus dem Off. Über fünf Jahre lebt sie in dem sibirischen Dorf, recherchiert, filmt und führt  Interviews. Was sie herausfinden will, betrifft auch ihr eigenes Leben: Wird man glücklicher, wenn man sich frei entfalten kann, gebildet und selbstbestimmt ist? Oder ist es doch das traditionelle Familienleben mit Mann und Kind, das das Leben erfüllt macht?

„Sie leben zusammen mit Kind - also müssen sie sich wohl lieben“

Der Film versucht zu beantworten, was die Dorfbewohner unter Liebe verstehen. Alle Interviews, die Olga mit ihrer Familie führt, laufen auf diese eine Frage hinaus. Doch leicht zu beantworten ist sie nicht. Von „Ich weiß nicht was Liebe ist“, „Liebe, das gibt es nicht“ oder „Liebe, das ist die Frau dem Mann doch schuldig“ ist bei den Antworten ihrer Verwandten alles dabei.

Feminismus. Was ist das?

Es fällt nicht immer leicht, sich in Olgas Verwandte hineinzuversetzen. Besonders das Frauenbild ihrer Onkel ist kaum zu ertragen. Sie raten ihr, sich um ihr Äußeres zu kümmern, kurze Röcke zu tragen, um so endlich einen Mann zu finden. Denn Nachkommen zu hinterlassen und eine gute Hausfrau zu sein, sei wichtiger als man selbst. Die traditionelle Rolle des Mannes als das Familienoberhaupt hat sich über Generationen nicht verändert. Trotzdem lohnt sich der Film, weil er einen tiefen Einblick in das Alltagsleben der Menschen im Dorf gibt. Man bekommt einen Eindruck von der harten Arbeit auf den Höfen. Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und häusliche Gewalt kommen ebenfalls zur Sprache und werden nicht beschönigt. Der Film zeigt in unaufgeregten Bildern ein authentisches Bild der Gesellschaft des kleinen sibirischen Ortes. Und das ist auch ganz ohne Klischees und übertriebene Szenen sehenswert.

"Liebe auf Sibirisch" läuft ab dem 16. November 2017 in den deutschen Kinos.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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