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Christos Kunst am Iseosee

Mensch und Tier(s) auf den Piers

Autor(en): Gino Thanner am Donnerstag, 30. Juni 2016
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Quelle: M94.5 / Gino Thanner

The Floating Piers

Ein kleines Paradies in Oberitalien wird zum Schauplatz für ein mächtiges Kunstprojekt. Unser Nachbericht von "The Floating Piers" von Christo.

Fast jeder von uns hat schon einmal Urlaub am Gardasee gemacht. Was die wenigsten Deutschen aber wissen: ein paar Kilometer weiter westlich liegt der kleine Bruder des Gardasees: der Iseosee.

Unbekanntes und unberührtes Paradies

Die heile Welt meiner Kindheit: Seit ich ein kleiner Junge bin, fahre ich jeden Sommer hier her. Benannt nach der Hauptstadt des Sees ist der Lago d'Iseo, wie der Italiener sagt, mit seinen drei Inseln etwas ganz besonderes. Vor allem die Monte Isola ist eigentlich eine echte Sensation: sie ist die größte Insel der europäischen Seen. Neben ihr befinden sich noch zwei kleinere Eiländer im Iseosee. Die Isola di Loreto und die Isola die San Paolo. Dieses Idyll des Iseosees in der italienischen Lombardei wurde nun aber für zwei Wochen komplett über den Haufen geworfen. Der Verpackungskünstler Christo (Christo Vladimirov Javacheff ) hat hier sein neuestes Projekt The Floating Piers umgesetzt. Ich kenne den Iseosee eigentlich nur so unberührt und still:

Für zwei Wochen ist der Iseosee jetzt der Mittelpunkt der globalen Kunstszene. Auf einmal kann ich nicht mehr mit dem Auto am Ufer des Sees entlang fahren ohne Genehmigung, Shuttle-Busse bis oben hin besetzt mit Menschen schlängeln sich an mir vorbei zum Ort Sulzano, die Straßen sind voll mit Souvenir- und Essensbuden und die italienischen Carabinieri (also die italienische Gendarmerie) stehen an jeder Ecke.

Christo und der Stoff

Dass Christo eigentlich auch ein halber Schneider ist, hat er bei vergangenen Projekten schon bewiesen: 1995 ließ er zusammen mit seiner mittlerweile verstorbenen Ehefrau Jean-Claude den Reichstag in Berlin unter Stoffbahnen verschwinden, kleine Inseln vor Miami packte er in pinken Stoff ein. Der gelbe Stoff seiner Stege über den Iseosee wurde sogar in Deutschland hergestellt. Wenn der Stoff von den Wellen des Sees nass wird, färbt er sich orange. Ein toller Anblick in der heißen Sonne Italiens!

Una passegiata straordinariamente

Für diesen besonderen Spaziergang hab ich mich an diesem heißen Junitag auf den Weg um die Monte Isola herum gemacht. Die meisten Touristen betreten Christos Stege vom Festland aus, folgen den Pfaden dann auf die Berginsel, gehen ein paar Schritte durch das Dorf Peschiera Maraglio um dann wieder auf den See zur kleineren Insel San Paolo geführt zu werden. Von einer Straße an der Steilküste der Monte Isola beobachte ich das Treiben auf den Stegen. Die gelbe Farbe reflektiert in der Sonne und trennt das glitzernde Wasser voneinander ab. Als ich im Dorf Sensole ankomme, laufe ich schon auf gelbem Stoff, der die Straßen bedeckt. Hier ist auch schon wesentlich mehr los: Menschenmengen quellen aus Schiffen und zwängen sich durch die engen Gassen. Am Steg angelangt, zieh ich mir erstmal die Schuhe aus. Christo selbst empfiehlt, so über sein Projekt zu gehen.

Der erste Schritt fühlt sich härter an, als ich gedacht hatte: die Brücke beginnt erst weiter draußen auf dem See mehr zu schwanken. Die Stege bestehen aus Kunststoffwürfeln die ineinander gesteckt wurden und mit diesem safrangelben Stoff überzogen worden sind. Damit die Stege nicht in Richtung Süden mit der Strömung abhauen, haben Taucher das Projekt in Hunderten Metern Tiefe im Seegrund verankert.

Nach einem längeren Weg in der prallen Sonne, der sich wie der Spaziergang auf einer Riesen-Luftmatratze oder dem Rücken eines Wals anfühlt, komme ich an einer Weggabelung an: hier trifft der Steg von Peschiera Maraglio auf meinen. Und ich nehme Kurs auf die Isola di San Paolo:

Dort sitzen schon viele Besucher im Schatten nach einem glühend heißen Spaziergang auf dem Wasser. Gedränge auf dem Steg gibt es jedoch nicht: die Menschen schlendern gemütlich und diszipliniert über The Floating Piers und bleiben sogar stehen, wenn jemand ein Foto macht, um nicht in das Bild zu laufen. Sehr chillig!

Festivalstimmung, doch wozu?

Christos Kunstprojekt ist natürlich mit einem riesigen Aufwand verbunden. Auf dem Weg über den Steg treffe ich Gabi Reichardt, die freiwillig aus Kassel angereist ist, um an diesem Projekt mitzuarbeiten. Als Aufsichtsperson wechselt sie sich schichtweise mit ihren Kollegen ab: Viel Trinken und Hut auf den Kopf lautet die Devise! Frau Reichardt steht mit Infos und Karten den Besuchern zur Seite und sorgt für Sicherheit auf den Stegen, falls jemandem die Hitze zu sehr zusetzt. Seitlich der Pfade patroullieren auch Boote, wenn doch mal jemand ins Wasser fallen sollte. Schließlich gibt es keine Geländer am Rand der Stege! Ich traue mich auch ein bisschen näher an den Rand, werde aber gleich von Aufsichtspersonen in die Mitte des Stegs zurückgewiesen.

Trotz Ruhe auf den Stegen, herrscht am Festland und auf der Monte Isola eher Festivalstimmung: viele Stände und Buden von italienischen, aber auch deutschen (!) Firmen verkaufen Getränke und Speisen. Ich fühle mich teilweise ein bisschen wie auf dem Sommer-Tollwood.

Das aber eher im negativen Sinne. Cafés, Bars und Restaurants, die direkt an der Route des Projekts liegen, profitieren natürlich enorm davon. Diese Einheimischen kommen gar nicht hinterher mit so viel Arbeit und sind abends todmüde. Auch die Bewohner des nördlichen Teils der Monte Isola haben sich Mühe gegeben und Zelte aufgestellt. Die meisten Touristen besuchen allerdings nur die Floating Piers und fahren dann wieder nach Hause. Die Einheimischen haben ihre Zelte teilweise wieder abbauen müssen, weil es sich nicht gelohnt hat. Schade für die Region, denn viele "Insulaner" haben sich dadurch mehr Tourismus versprochen.

Ich für meinen Teil bin froh, dass nach zwei Wochen der Rummel um The Floating Piers und Christo wieder verschwunden ist und der See in sein Naturparadies zurückverwandelt wird. Spuren wird das Projekt nicht hinterlassen: die Plastikwürfel werden recycelt und die gelben Stoffbahnen weiter verwertet. Nur in meiner Erinnerung bleiben eindrucksvolle Bilder, die ihr in der Bildergalerie unten findet.

Wie es sich anfühlt und anhört, auf  Christos Projekt zu spazieren, das hört ihr hier:

Bildergalerie
Hinaus auf den See!
Zwei Stege kreuzen sich
Gelbe Weiten
Lichter auf dem See
Platte des Monats

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