249 großformatige Aquarelle erwecken das zwar sonnige, aber auch von moralischen Verfall geprägte San Francisco der späten 20er Jahre zum Leben.

die eingefrorene Stille

Ein verschnörkeltes Tischbein, ein zerknittertes Laken, der Aschenbecher mit dem noch qualmenden Zigarettenstummel. Immer wieder wandert der Blick über die großformatigen Aquarellbilder, verliert sich im Tapetenmuster, oder den fast fotorealistisch anmutenden Reflexionen einer Blumenvase. Konterkariert wird dieser schneidend-scharfe Blick für das Kleinteilige mit schwarzen Schatten oder gleißend hellen Flächen, die, wie bei einem falsch belichteten Foto, vieles nur noch erahnen lassen. In seinen ruhigen Momenten erinnern diese Graustufen-Aquarelle manchmal an die Tristesse der Gemälde von Edward Hopper. Als wäre Hoppers klarer Blick auf die vereinsamte Gesellschaft Amerikas in die düstere Film-Noir-Ästhetik der 40er Jahre eingetaucht worden.

dichte Atmosphäre, wenig Text

Die Assoziation zu dem Film-Noir-Genre ist kein Zufall, denn „Fliegenpapier“ basiert auf dem Roman „Flypapers“ von Dashiell Hammett. Ein klassischer Hard-Boiled-Krimi der 20er Jahre, der alle Versatzstücke des Genres enthält. Der Zeichner Hans Hillmann hat die Vorlage allerdings so radikal gekürzt, dass von ihr nur noch Textfragmente geblieben sind, einzelne Sätze, Ortsangaben, mal eine mündliche Rede. Doch selbst die meist sehr kurzen Textpassagen können einen manchmal aus der dichten  Atmosphäre der Bilder reißen. Als wären die kleinen Buchstaben am unteren Seitenrand den großen Aquarellbildern nicht gewachsen. Zum Glück lässt sich Hillmann viel Zeit und Raum für stille Momentaufnahmen, die so gekonnt eine bedrohliche Grundstimmung erzeugen.

die explosive Bilddynamik

Umso rabiater wirken deswegen auch die Bildfolgen, in denen die Situation dann richtig eskaliert. Zerberstendes Holz, splitternde Whiskyflaschen, wallende Kleider. Die Konturen der verschreckten Gesichter verwischen, und die Körper der Figuren bekommen in der Hitze des Gefechts eine sich fast verselbstständigende Eigendynamik. In diesen expressiven Momenten gelingen Hillmann die stärksten Momente seiner Roman-Interpretation. Wenn beispielsweise der gejagte Mörder auf der Flucht beinahe mit der Vegetation kalifornischer Palmen zu verwachsen scheint, kann man sich dieser atmosphärischen Dichte kaum entziehen.

seiner Zeit weit voraus

Kaum zu glauben, dass „Fliegenpapier“ schon 1982 erschienen ist. Eine Zeit, in der Comics und Graphic Novels noch nicht von den Feuilletons für voll genommen wurden, und nicht jeder gute Buchladen ein Regal mit ausgewählten Exemplaren hegte und pflegte. Wahrscheinlich ist Hans Hillmann deswegen zeitlebens vor allem für seine Filmplakate bekannt geworden, und nicht für dieses Magnum Opus, an dem er zehn Jahre lang ohne Auftrag gearbeitet hat. Die Erstauflage ist seit langer Zeit vergriffen. Schön, dass der Avant-Verlag Hillmanns Mammutwerk vor dem Vergessen rettet, und es in einer wertigen Neuauflage neu publiziert. Diese Ausgabe von „Fliegenpapier“ hat Hillmann selbst übrigens leider nicht mehr in den Händen halten dürfen. Er ist 2014 im Alter von 89 Jahren gestorben. Seine visionäre Graphic Novel bleibt hoffentlich noch lange Zeit unvergessen.

"Fliegenpapier" von Hans Hillmann ist im Avant-Verlag erschienen, und kostet 29,95 Euro.

Foto: Avant-Verlag