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Das große Scheitern

Autor(en): Vero Bock am Mittwoch, 15. Mai 2013
Quelle: © 2013 Bazmark Film III Pty Limited

Baz Luhrmans The Great Gatsby ist weder sehr great, noch besonders gatsby. Dafür aber in 3D. Baz Luhrmans The Great Gatsby ist weder sehr great, noch besonders gatsby.
Dafür aber in 3D.


Kunst ist dann großartig, wenn ein großer Mann die kleine Kunst verachtet.
                                                                           - F. Scott Fitzgerald (Notitzen, 1945)

Die Zutaten für Baz Luhrmans Gatsby sind tatsächlich großartig: Einer der besten US-amerikanischen Romane als Vorlage, ausgezeichnete Technik (RED Epic plus riesen Postproduction-Aufgebot), Jay-Z, Beyoncé, André 3000 und Jack White für den Soundtrack, sowie ein charismatisch gereifter Leonardo DiCaprio als Jay Gatsby. Leider fällt bei dem ganzen audiovisuellen Brimborium etwas zugegebenermaßen Altmodisches unter den Tisch: Die Story.
Und die geht so: Nick (Tobey Maguire) ist ein Schriftsteller mit Alkohol- und Schlafproblemen. Der Doc empfiehlt therapeutisches Schreiben und so erfahren wir die tragische Geschichte von Nicks Nachbarn Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), der nicht von seiner Jugendliebe Daisy (Carey Mulligan), Nicks Cousine, loskommt und sein ganzes Selbst nur auf sie ausgerichtet hat. Aber Daisy hat inzwischen den Womanizer Tom Buchanan (Joel Edgerton), Nicks Collegekumpel, geheiratet und weiß nicht, dass Gatsbys Anwesen direkt auf der anderen Seite des Sees liegt...

So weit, so bekannt. Der Film beginnt mit einer wirklich intelligenten Mischung aus alten und neuen Stilmitteln. Als Nick 1922 im pulsierenden New York ankommt (man kennt das aus anderen Filmen über die Roaring Twenties), zeigt die Kamera die Skyline der Stadt und fährt von oben auf das strahlende Gesicht des jungen Mannes zu. In 3D fühlt man sich wirklich das Chrysler Building runterstürzen. Da kann man schon nachvollziehen, dass das Publikum, das 1895 den ersten Zug auf einer Kinoleinwand einfahren sah, vor Schreck aufgesprungen ist. Damals nannte man das cinema of attractions: Der visuelle Eindruck allein war so faszinierend und die Technik so neu, dass die Geschichte, die erzählt wurde, erstmal völlig nebensächlich war.

Die Story vs. die Wucht der Effekte

Genau das gleiche ist auch bei dieser Verfilmung passiert - was angesichts des eigentlich wirklich großartigen Gatsbys sehr schade ist. Baz Luhrman und sein Drehbuchautor Craig Pearce springen zwischen Nicks Ich-Perspektive und einem allwissenden Erzähler hin und her. Sie schaffen es auch nicht, die Beziehung zwischen den Figuren plausibel zu machen. Besonders unverständlich wirkt Nicks Bewunderung für Gatsby: zwar wird Gatsbys Tugend der Hoffnung angepriesen und Text aus dem Originalroman zitiert, aber Luhrman gibt DiCaprio und Maguire einfach keinen Raum, die Tiefe ihrer Figuren auszuspielen: Die Stimme aus dem Off hat doch erklärt, wie es ist! Das muss reichen!

Einige Teile von Fitzgeralds Roman sind schlichtweg verändert. So ist Daisys beste Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki) im Buch Nicks Geliebte. Im Film ist sie bloß eine arrogante Kupplerin, die scheinbar grundlos Geheimnisse ausplaudert. Wozu diese Umdeutung? Hat die Zeit für diesen unwichtigen Nebenplot nicht gereicht?

Auch für einige Wendungen in der Story war im Plot einfach kein Platz - nachdem Gatsby die ganze Zeit ein rätselhafter Nachbar war, kennt Nick auf einmal seine ganze Vergangenheit, ohne dass Gatsby, für den sein Image alles ist, auch nur kurz zögert, sich selbst preiszugeben.

Andererseits brettert Autofan Jay Gatsby eine gefühlte Viertelstunde mit unrealistischen 100 Sachen durch die dreidimensionale Gegend und Tobey Maguire muss dazu ein Angst-Gesicht im Slapstickstyle aufsetzen. Ständig ist irgendwas los auf der Leinwand. Man kommt gar nicht dazu, die wirklich außergewöhnlich schön komponierten Bilder auf sich wirken zu lassen. Dauernd zerhacken schnelle Schnitte die fast barocke Szenerie, oder Kameras fahren darin herum. Wahrscheinlich wirkt der Film in 2D weniger übrtrieben.

Als wäre das nicht schon überfordernd genug, plätschert die Filmmusik dermaßen unispiriert vor sich hin, als würde das Publikum die plakativen Bilder auf der Leinwand alleine nicht interpretieren können: Ah, das ist jetzt romantisch! Oh, und jetzt bedrohlich!
Der Soundtrack ist da schon ansprechender, beispielsweise das Amy-Winehouse-Cover Back to Black, bei dem allerdings der wunderbar sphärisch hämmernde Anfang von André 3000 im Film nicht zu hören ist, nur Beyoncés etwas eingängigere zweite Strophe.
Jay-Zs Hip Hop haut zwar rein, aber die zeitgenössische Musik geht hier keine so selbstverständliche Symbiose mit der Vergangenheit ein, wie das zum Beispiel bei Tarantinos Django Unchained oder Marie Antoinette von Sofia Coppola der Fall ist. Mehr ist manchmal eben doch zuviel.

Der hellblaue vs. der rosa Gockel


Die Charaktere. Tja. Sie wirken größtenteils flach, stereotyp und unglaubwürdig, auch nach Lektüre des Originals. Da können selbst die Schauspieltalente nicht mehr viel rausreißen - mit Ausnahme von Joel Edgerton, der den durchtrainierten Sportlerkörper von Tom Buchanan in einigen Sequenzen fast schon selbstironisch in Szene setzt.

Carey Mulligans Daisy ist qua Romanvorlage ja eigentlich ein selbstbewusstes, unwiderstehliches Flapper-Mädchen. Im Film wirkt sie aber wie ein hilfloses, blondäugiges Weibchen und liefert auch gleich die Interpretation ihrer Figur: "a beautiful little fool, that's the best thing to be for a girl". Besonders deutlich wird das beim Showdown zwischen Tom (im hellblauen Smoking) und Gatsby (ganz visionär in rosa gekleidet, siehe Trailer): Beide streiten sich darum, wen Daisy denn nun nicht geliebt habe, anstatt sie selbst sprechen zu lassen. Daisy selbst ist als Geschenk mit Schleife herausgeputzt und verhält sich auch dementsprechend.

Tobey Maguire muss die ganze Zeit freundlich-schelmisch grinsen und hat eigentlich kein Privatleben außerhalb der Interessen der Achse Gatsby-Daisy-Tom. Er ist ein klassischer Sidekick.

Leonardo DiCaprio versucht augenscheinlich, ein bisschen Seele in den Film zu spielen, aber dafür ist meistens keine Zeit, die Kamera ist schon wieder woanders, oder die Emotionen werden von der Filmmusik kaputtgeballert. Dafür sieht er wirklich gut aus, besonders im hautengen Badeanzug (sic!).

Fazit

Die berührende Original-Geschichte ist zu einem aufpolierten Spektakel verwurstet worden, das die fehlende inhaltliche Tiefe mit feinster Technik zu kompensieren versucht.
"Baz Luhrman ist nicht der erste, der am Großen Gatsby scheitert", schreibt diepresse.com ganz richtig. Aber immerhin ist es ein Augenschmaus, ihm dabei zuzusehen.

The Great Gatsby kommt am 16.5.13 in die deutschen Kinos.

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