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Spielart 2015

Sculpting Fear

Autor(en): Nathalie Claus am Sonntag, 8. November 2015
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Quelle: © Julian Hetzel / SPIELART 2015

"Sculpting Fear" stellt Erwartungen auf den Kopf.

"Inhale, exhale. E-mail, Excel." Eine Performance über "die Cloud"? Julian Hetzel stiftet bildgewaltige Verwirrung.

Ein Stück über die Digitalisierung unserer Zeit, so so. Der Pressetext liest sich wie üblich sehr hübsch: Um allgegenwärtige Apps soll es gehen, um vollständige Vorhersagbarkeit, um die Datensammlungsapokalypse. Das klingt spannend, und das lockt auch auffallend viele Zuschauer in den Gasteig. Dabei geht es in "Sculpting Fear" nur peripher um übermächtige Technologie. Der Hinweis steckt im Titel: Viel mehr geht es um Angst, und den Versuch, das Unfassbare fassbar zu machen. Die Körperlichkeit von Angst, "Absturz um Absturz um Absturz". Dass dafür Staubsaugroboter über Datenvolumen philosophieren, ist mehr Bonus als alles andere. Aber das kommt später.

Wir sind alle Staubsauger

Begonnen wird mit drei Personen. Drei Bürostühlen. Alles läuft in geordneten Bahnen, während sowohl Menschen, als auch Stühle in der schier unendlichen Stille des Raums hin und her geschoben werden. Es bedarf keiner Worte, um den Ablauf zu erkennen: Das ist Routine. Routine ist zäh. Gerade, als man desinteressiert in den eigenen Stuhl zurücksacken möchte, bricht auf einmal alles zusammen. Unsere drei Menschen kollabieren, stürzen ab, bewegungslos. Da liegen sie also. Aufgeräumt werden sie von einer fremdartigen Figur im neonfarbenen Schutzanzug. Nebenbei saugen zwei kleine Ufos den Boden und diskutieren den Sinn ihres leistungsorientierten Lebens. "Inhale, exhale", erinnert die mechanische Stimme der Cloud aus dem Off, "E-mail, Excel." Alles dasselbe. Da haben wir's also: Ständiger Leistungsdruck reduziert den Menschen zu nichts als Müll. Kann es das gewesen sein?

Angst kennt keine Worte

Beschäftigung und Erfolg sind zentrale Themen in den Arbeiten von Regisseur Julian Hetzel. Wie lässt sich Erfolg ethisch sinnvoll definieren? Welchen materiellen Wert hat Beschäftigung? Derart weitreichende Fragen liefern natürlich keine einfachen Antworten, und "Sculpting Fear" versucht das auch gar nicht. Stattdessen beobachten wir die Entwicklungsstadien von Angst in einem zähen, und doch wirkungsvollen Ablauf: Lähmung, Orientierungslosigkeit, Panik, Chaos. Erlösung?

Die genaue Metaphorik ist schwer zu fassen, ebenso wie Furcht vor dem Alltag schwer zu fassen ist. Die vorwiegend wortlose Performance lässt bewusst viel Raum für Interpretation und setzt vielmehr auf Bilder, die hängen bleiben. Hetzel hat audiovisuelle Kommunikation studiert, und das hört und sieht man diesem Stück auch an. Die Staubsauger hätte es dazu gar nicht gebraucht. Vor dem Hintergrund der Szenerie, die sich nach und nach im Dunkel entfaltet, wirkt ihr amüsanter Dialog fast ein wenig fehl am Platz.

Die Schönheit des Desasters

Zurück zur Ankündigung: Die Digitalisierung unserer Zeit spielt hier allenfalls eine Nebenrolle. Es ist der Mensch, um den es hier geht, der Mensch und seine vielen Ängste, und die akribische Beobachtung dessen, was Angst aus uns machen kann. Dabei geht Hetzel mit derart bildgewaltiger Präzision vor, dass man sich als Zuschauer mehrfach dabei erwischt, die Unmittelbarkeit des Geschehens zu vergessen.

Dies ist kein Film. Hier geschieht alles live: Der Nervenzusammenbruch, die Hysterie, die perfekt geformte Nebelwolke, die zum Schluss auch das Publikum verschluckt. Wir sehen nichts als dumpfes Rot, und hören nichts als beruhigende Geräuschkulisse. Vögelgezwitscher, Grillenzirpen. Nach all der Zerstörungswut endet die Performance mit einem besänftigenden Ausblick ins Ungewisse. Was das zu bedeuten hat? Nebensächlich. Doch der Nebel hängt nach, selbst nachdem er sich verflüchtigt hat. Ganz ohne Cloud.

"Sculpting Fear" war am 06. und 07. November im Rahmen des Spielart im Gasteig zu sehen.

Bildergalerie
Eine Performance unter dem Rotfilter.
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