Spielart 2015
Tempo im Schwere Reiter
Das Verhältnis zwischen Bettlern und Passanten wird im Stück "Hiatus" thematisiert.
Die Münchner satellit produktion zeigt das Tanz-Theater-Projekt Hiatus, das auf unser Verhalten gegenüber Bettlern aufmerksam machen soll.
„Öffnung“ ist das Synonym, das der Duden für das Wort „Hiatus“ vorschlägt. In der Medizin beschreibt der Begriff einen Spalt in Muskeln oder Knochen, in der Geologie einen Zeitraum ohne Ablagerungen. Im Stück des Münchner Kollektivs „satellit produktion“ hingegen geht es um den Moment, der zwischen einer Wahrnehmung und der jeweiligen Handlungsentscheidung liegt.
Konkret geht es um unser Verhältnis zu Bettlern. Das Stück möchte zum Nachdenken anregen: Wie geht es wohl den Menschen, die Tag für Tag bettelnd auf dem Boden sitzen? Was geht in den Passanten vor, die gestresst und vollgepackt durch die Fußgängerzone hetzen und die verzweifelten Blicke bewusst ignorieren? Haben wir das, was wir besitzen, überhaupt verdient?
Der Zuschauer als Teil des Stücks
Das achtköpfige Kollektiv inszeniert diese Thematik im Rahmen des Spielart Festivals im Tanz-Theater-Stück Hiatus - Ein Projekt über Bettler und Passanten. Der Zuschauer wird hier Teil der Performance, denn in der großen Halle des Schwere Reiter sitzt das Publikum verteilt auf einzelnen Tribünen oder gar auf dem Boden. Ein „vorne“ gibt es hier nicht: Mal setzen sich die Darsteller mitten ins Publikum, um einen Bettler auf der Kirchentreppe zu inszenieren, mal starren sie einem Zuschauer minutenlang ins Gesicht und immer wieder laufen sie durch die Gruppen hindurch.
Was einen erwartet, ist vor allem viel Bewegung. Rechts, links, hinten: Ständig muss man den Kopf drehen, um die Stimmen aus den verschiedenen Ecken des Raumes verstehen zu können. Hektisches Laufen soll die vorbeirennenden Passanten symbolisieren; ungesund aussehende Verrenkungen und ständige Stürze die verzweifelte Situation der Bettler.
Der Feinschliff fehlt
Ergänzt wird das durch Musik und Textpassagen, in denen einzelne Geschichten, Dialoge und Szenen dargestellt werden. Dass die acht Darsteller im Gleichmarsch vorwärts und rückwärts durch den Raum laufen und dabei perfekt synchron ihren Text aufsagen, bleibt besonders im Gedächtnis. Die Dramaturgie des Stückes erscheint allerdigts eher unvollständig. Einzelne Namen tauchen zwar immer wieder auf, was zumindest die Absicht eines roten Fadens erkennen lässt. Trotzdem wirken die einzelnen Textstücke meist willkürlich aneinander gereiht und das Ende unrund. Nichtsdestotrotz schafft es das Stück, für das Thema Bettler und Passanten zu sensibilisieren und zum Nachdenken anzuregen - auch Tage später.
Die Produktion "Hiatus - Ein Projekt über Bettler und Passanten" ist nochmal am 08.11. um 20:30 Uhr im Schwere Reiter zu sehen. Im Rahmen des Spielart Festivals wurde sie außerdem am 04., 05., 06. und 07. November 2015 im Schwere Reiter gezeigt.