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Von Muschis und Menschen

Autor(en): Vero Bock am Mittwoch, 21. August 2013
Quelle: Copyright: Majestic Filmverleih

Copyright: Majestic Filmverleih

Charlotte Roches Skandälchen Feuchtgebiete kommt ins Kino und ist weniger schlimm, als gedacht.

Charlotte Roches Skandälchen Feuchtgebiete kommt ins Kino und ist weniger schlimm, als gedacht.

 

„Dieses Buch sollte weder gelesen noch verfilmt werden. Das Leben hat doch so viel mehr zu bieten als solch ekelhafte Perversitäten! (BILD-Leserkommentar)“, prahlt die Verfilmung von Feuchtgebiete schon vor der ersten Szene, als wolle sie zaunpfahlwinken warnen: Achtung! Wir machen hier etwas Kontroverses!

Ganz so schlimm ist der Film dann allerdings doch nicht. Wer den Roman gelesen und einige der schlimmsten Analwundenbeschreibungen überblättert hat, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kopfschüttelnd im Kinosessel hängen und sich fragen, wie banal und eklig der Mensch (respektive die Muschi) eigentlich ist – und das ist gut! David Wnendt (Kriegerin) will mit diesem Film augenscheinlich nicht provozieren, dafür ist er viel zu zahm, und dafür spielt die schweizer Schauspielerin Carla Juri ihre Helen Memel viel zu hinreißend, ob sie nun ihre Eltern verkuppeln will oder über eine versiffte Klobrille rutscht, um gegen den mütterlichen Hygienewahn zu protestieren.

 

Tampontausch und frühes Leid

 

Über Helens Eltern erfährt man in der Romanvorlage nicht sehr viel, außer dass sie ein Problem mit Bakterien und er einen großen Penis hat. Dank des beachtlichen Drehbuchs von Claus Falkenberg ist das im Film anders: Die ganzen interessanten Nebenfiguren - die seltsamen Eltern, der süße Pfleger und seine spießige Freundin - bekommen nicht nur mehr Raum, sie sind auch durch die Bank toll besetzt (Meret Becker, Axel Milberg, Peri Baumeister).

Carla Juri spielt den Humor des Drehbuchs wunderbar aus. Sie longboardet mit einer Unschuld und Frechheit durch die Gegend, dass sie schon fast eine Enid-Blyton-Figur sein könnte. Ein Riesen-Unterschied zu der Schmuddel-Aggro-Helen aus Charlotte Roches Buch, die immer irgendwie gestört wirkte.

Deren Schlüssel-Szene, die in ihrem Ekel-Horror über mehrere Seiten geschildert wird (Achtung, Spoiler: Helen reißt sich ihre fast verheilte Analfissur mit voller Wucht auf, damit ihre geschiedenen Eltern sich am Krankenbett versöhnen), und die beim Lesen eindeutig der Höhepunkt der Qual war, wirkt im Film eher wie eine Randkonsequenz, bei der man genervt „Och Mensch Helen!“ rufen möchte.

 

Helen Memel als Zaubermaus

 

Man muss Carla Juri einfach verfallen. Aber macht sie das zu einer guten Besetzung, oder zu einer unpassenden? Helen Memel rebelliert die ganze Zeit, sie ist versaut und mag eklige Dinge. Charlotte Roche hat damit provoziert. Der Film tut das wie gesagt nicht, einer schönen Frau verzeiht man schließlich alles. Provokation, das ist nicht Zuckermädchen-Pop, Provokation ist schonungslose Realität.

Wer also diesen Film als „Skandalfilm des Jahres“ bezeichnet, hat möglicherweise die Paradies-Filme von Ulrich Seidl verpasst, in denen das Schockierende, das von Körperlichkeit ausgeht, weitaus treffender in Szene gesetzt ist. Durch solche kompromisslosen Darstellungen werden Geschmacksgrenzen ausgelotet und eigene Denkschranken aufgezeigt, nicht durch die angedeuteten Hämorrhoiden einer wunderschönen 18-Jährigen.

Man kann nur hoffen, dass die Feuilletons das diesmal merken und uns die Phalanx an halbintelligentnen Leser*innen-Kommentaren erspart bleibt, die in Feuchtgebiete den Untergang des Abendlandes wittern.

 

Vorlage vs. Derivat

 

Betrachten wir den Film doch mal unabhängig vom Buch und seiner Vorgeschichte: Ein eher vorhersehbarer Film mit einer hinreißenden Hauptdarstellerin, ein paar ekligen, einigen lustigen und vielen sympathischen Szenen.

Carla Juri ist vielleicht zu alt, um glaubhaft eine Teenagerin zu spielen und definitiv zu attraktiv, um zu schocken. Außerdem hatte sie beim Dreh nach eigenen Angaben ein Muschi-Double (Quelle: BILD).

Aber alles in allem ist Feuchtgebiete ein intelligenter, humorvoller Film, der ein überbewertetes Buch einigermaßen sehenswert gemacht hat. Und das muss man auch erst mal schaffen. Ob man sich deshalb über Charlotte Roche und ihren Roman ärgern soll oder darf hat damit nichts, aber absolut gar nichts zu tun.

 

Der Film ist ab 22. August in den Kinos zu sehen.

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