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Kammerspiele Episode

Von Sequelkillern zu Serienmördern

Autor(en): Miriam Fendt am Montag, 23. April 2018
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Quelle: M94.5

Episode #20 mit Bernd Rebhandl und Thomas Willmann

In der 20. Episode nähern sich Thomas Willmann und Bert Rebhandl der Serie „Mindhunter“ in einem Diskurs über Profiling, David Fincher und Narzissmus.

David Fincher, seines Zeichens Regisseur und Produzent der Netflix-Serie „Mindhunter“, hat so einiges aus der Buchvorlage von John Douglas herausgeholt. Geht es nach dem Experten des Abends, dem Autor Thomas Willmann („Das finstere Tal“), so hat er sich den Stoff des Sachbuches sogar zu Eigen gemacht und mit einer neuen reflektierten moralischen Ebene versehen. Bei John Douglas' Studien handelt es sich nicht, wie jetzt vielleicht anzunehmen, um eine klassische Buchvorlage. In „Die Seele des Mörders“ fasst Douglas seine Studien über die neuartige Methode des Profilings von Mördern, die in Sequenzen töten, zusammen und schildert seine Theorien anhand wahrer Beispiele. In der Serie wird das zum Ausgangspunkt einer dichten, dialogreichen Erzählung im bürokratischen FBI-Milieu.

​Auf ein Eiersalatsandwich mit Ed Kemper

Hinter dem Titel „Mindhunter“, der den Zuschauer laut Willmann womöglich in eine falsche Erwartungshaltung bringen könnte, verbirgt sich eine konzentrierte, bis ins Detail genau konzipiert wirkende Serie im typischen Fincher-Stil. Thema ist der Umbruch in der psychologischen Arbeit des FBIs hin zur Erstellung von Täterprofilen. Der junge, ambitionierte FBI-Agent Holden Ford hat den Drang, mehr über die Motive von "Sequel-Killern" herauszufinden, da er an einen übergreifenden Zusammenhang in der Psyche der Mörder glaubt. Deswegen überredet er seinen Partner Bill Tent, Massenmörder aufzusuchen und diese zu ihren Taten zu befragen, um Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. "Mindhunter" spielt zur Echtzeit der Buchvorlage in den USA der späten Siebziger Jahre. Wobei Rebhandl und Willmann gezielt darlegen, wie wenig der Fokus auf die zeitliche Verortung und das Einfangen der jahrzehnttypischen Nostalgie gelegt wird. Stattdessen wirken Kostüm und Setting zeitlos. Zur Eröffnung der Diskussion wird eine Dialogszene aus der zweiten Episode geschaut. Darin trifft Holden Ford auf seinen ersten Interviewpartner, den mehrfachen Mörder Ed Kemper. Der intelligente Gefangene dreht das Gespräch sofort zu seinen Gunsten um. Statt um seine Taten geht es erst einmal um die Wahl des richtigen Sandwichs. Ford muss einsehen, dass er sich gezielter auf die Interviews vorbereiten muss. Währenddessen befindet sich Tent - zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbeeindruckt von der Idee - auf einem friedlichen wirkenden Golfplatz.

​Kein typisches Crime-Format

Mit Begeisterung beginnen Willmann und Rebhandl, die beide gleichsam überzeugt von der ästhetischen und erzählerischen Leistung der Serie sind, ihren Diskurs über das Serienformat, in dem sich "Mindhunter" bewegt. Statt im typischen Fernseh-Crime-Genre und einem wöchentlich neuen Fall festzustecken, entwickelt die Serie ihr eigenes Erzähltempo und eröffnet so einen eigenen Kosmos. Statt auf blutrünstige Morde und große Stadtbilder setzt die Serie ganz auf das dialoglastige Kammerspiel - im Gefängnis, in Wohnungen oder in den Büros des FBIs. "Mindhunter" serviert dem Zuschauer das völlig unbeeindruckende Bild des Bürokratieapparats FBI. Dabei scheut sie sich nicht davor, eine von Männern dominierte Realität zu zeigen. Willmann bemerkt darin eine weitere Stärke der Serie. Es geht grundlegend um die Gewalt an Frauen und die Unterdrückung der weiblichen Kompetenzen. Besonders die Partner Ford und Tent etablieren sich und ihre Ideen erst mit der Hilfe ihrer weiblichen Gegenpole, die dem Ganzen laut Willmann und Rebhandl eine reflektierte Ebene geben. So studiert Holden Fords Freundin Debbie Soziologie und kommentiert die Interviewergebnisse des jungen Agenten aus einer akademischen Perspektive. Hinzu kommt später auch die Uniprofessorin Wendy Carr, die das Team aus Ford und Tent mit ihrem Fachwissen in Psychologie begleitet. Die weiblichen Rolle und ihre Aufgabe innerhalb der Serienstruktur bezeichnet Willmann treffend als Kommentatorinnen und vergleicht dies mit der Funktion des Chors im antiken Theater.

​So viel Narzissmus

Thomas Willmann zeigt sich von Beginn an angetan vom gesamten David Fincher Oeuvre. Innerhalb des Diskurses formuliert er sogar die These, dass der Inhalt der Serie, die Ausarbeitung der Figuren, stellvertretend für Finchers Werk stehen kann. Die Hauptfigur Holden Ford sei nämlich von Beginn an ein Narzisst und den Mördern viel näher, als vielleicht gewollt. Die Auseinandersetzung mit Narzissmus sieht Wiedmann als zentrales Motiv in den Fincher-Produktionen. Dass dieser Persönlichkeitszug auch hinderlich sein kann, muss Holden Ford in "Mindhunter" spätestens nach einem moralisch unkorrekten Interview, bei dem er selbst fast handgreiflich wird, feststellen. Da eine weitere Staffel der Serie in Planung ist, hat auch der vermeintliche Musterschüler des FBI noch genug Zeit sich weiterzuentwickeln. Am Ende des eineinhalbstündigen Diskurses über das aktuelle Netflix-Highlight "Mindhunter" freuen sich also nicht nur Thomas Willmann und Bert Rebhandl auf eine zweite Staffel. Erzählpotenzial bietet die Serie dank der vielen realen Fälle sicher.

Die "Episode" findet einmal monatlich in den Kammerspielen statt und dreht sich jeweils um ein aktuelles Serien-Highlight.

Platte des Monats

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