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M94.5 Filmkritik

Wenn Kunst süchtig macht

Autor(en): Vera Weidenbach am Mittwoch, 7. September 2016
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Quelle: © Roloff Beny /Courtesy of National Archives of Canada

Peggy Guggenheim auf der Biennale in Venedig.

Neu auf Dvd: Das unglaubliche Leben der Peggy Guggenheim - allerdings in einem ziemlich konventionellen Dokumentarfilm.

Eine Frau, die man hätte fragen können, wie James Joyce oder Samuel Becket im Bett waren. Peggy Guggenheim war 1921 von New York nach Paris gezogen. Dort begann ein Leben, dass sich jeder in seinen Twenties-something wünscht. Alles scheint möglich, denn Paris ist die Stadt der Künstler – hier tummeln sich die späteren Meister des Dadaismus und Surrealismus – noch sind sie Außenseiter. Guggenheim schließt Freundschaften mit Menschen, die später selbst zu Ikonen werden, wie Man Ray oder Marcel Duchamp. Der rät ihr, in London eine Galerie zu gründen, und dort stellt sie damals noch verpönte Künstler wie Jean Cocteau oder Wassily Kandinsky aus. Guggenheim hatte keine Ausbildung und wie sie im Film erzählt auch keine Ahnung von Kunst. Ohne Duchamp wäre sie aufgeschmissen gewesen: „Was ich über moderne Kunst weiß, weiß ich von ihm“, erzählt Guggenheim rückblickend.

It was all about Love and Art

Die Kunst und die Künstler als Liebhaber, das sind die beiden Konstanten in Guggenheims Leben. Für sie gehörte beides zusammen. Über ihre Affären ist viel spekuliert und geredet worden. Von vielen wurde sie dafür verachtet. Was unfair erscheint, denn auch die männlichen Künstler schliefen mit vielen Frauen, aber Guggenheim wurde Promiskuität vorgeworfen. Auch für diese Grenzbegehungen wird sie heute als unabhängige Frau gefeiert. Im Film erscheint sie als ewig Suchende. Sie sagt, sie habe nur für einen Mann wirkliche Gefühle gehabt, den Literaturkritiker John Holms. Er starb plötzlich, nach sechs Jahren Beziehung. Auch ihre zweite Ehe mit dem Künstler Max Ernst endet unglücklich.

Kurz vor Grenzschluss

Der Zweite Weltkrieg macht das Leben nicht nur für die Jüdin Peggy Guggenheim gefährlich, mindestens die Freiheit der „entarteten“ Künstler steht ebenso auf dem Spiel. Guggenheim behält die Nerven und kauft noch 1939 die meisten Bilder für ihre Sammlung. Alle wollen die gefährliche Kunst loswerden, bevor die Deutschen Truppen Paris erreichen. Für insgesamt 40.000 Dollar verschifft Guggenheim eine Sammlung nach Amerika, von der heute nur ein Gemälde Millionen wert ist. Darunter Bilder von Salvador Dali, Pablo Picasso, Paul Klee oder Kandinsky. Auch einige Künstler sind mit an Bord. Wie in einer Arche der Avantgarde nimmt Guggenheim sie mit auf den sicheren Kontinent. Und in New York angekommen, fängt sie gleich wieder an zu arbeiten – in einer Galerie stellt sie die moderne Kunst aus Europa aus. Sie fördert junge Künstler (entdeckt unter anderen Jackson Pollock) und wird zur Legende.

Eine typische ARTE-Doku

Wäre es nicht das unglaubliche Leben der Peggy Guggenheim, das hier erzählt wird, würde stärker auffallen, dass es filmisch eine sehr durchschnittliche Doku ist. Die Pinselstriche und Farbkleckse, die immer wieder über den Bildschirm laufen, sind plakativ wie fantasielos. Der Film lebt von den originalen Interview-Aufnahmen, die kurz vor Peggy Guggenheims Tod von ihrer Biografin Jaqueline B. Weld aufgenommen wurden. Im Film sind sie das erste Mal zu hören. Es hätte eine viel spannendere Doku werden können, wenn Regisseurin Lisa Immordino Vreeland dieses Interview von vorne bis hinten als Grundlage der Doku genommen und es zum Beispiel mit Passagen aus Guggenheims skandalumwitterter Autobiographie kombiniert hätte. Guggenheim würde ihr Leben dann selbst erzählen.

Aber wie das in Dokus heute immer so ist, kommen auch schwätzende Experten und Zeitzeugen zu Wort, die aus zweiter und dritter Hand von der Hauptperson erzählen. Sie sind so schreiend nichtssagend, weil in einer Doku über Guggenheim alle Leute, die etwas Spannendes zu erzählen hätten, nun einmal schon tot sind  - Marcel Duchamp, Max Ernst oder Samuel Becket, um nur einige Wenige zu nennen. Die Geschichte, die man wirklich hören will, kommt nur von der Stimme Peggy Guggenheims, die mit der Lakonie einer 80-Jährigen und einem guten Schuss Humor auf ihr Leben zurückblickt. Man ärgert sich als Zuschauer richtig, wenn dann der nächste Kunsthistoriker wieder seinen Senf dazu gibt.

Man hätte aus der Lebensgeschichte Peggy Guggenheims einen künstlerisch ebenso schillernden Film machen können. So ist es eine interessante Doku, die man sich aber auch mal auf ARTE anschauen kann.

"Peggy Guggenheim: Ein Leben für die Kunst" lief ab dem 5. Mai 2016 im Kino und ist ab dem 8. September auf DVD erhältlich.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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