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M94.5 Filmkritik

Zum Verrückt werden

Autor(en): Veronika Silberg am Mittwoch, 26. September 2018
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Quelle: © 2018 Concorde Filmverleih GmbH

"Don Quixote" ist überzeugt, dass Toby (Adam Driver) sein treuer Knappe Sancho Panza ist.

Terry Gilliam's Langzeitprojekt "The Man Who Killed Don Quixote" kommt nach 30 Jahren endlich in die Kinos. Ein farbenfrohes Spiel mit Genie und Wahnsinn.

Genial oder doch verrückt?

Terry Gilliams Filme waren schon immer ein Einblick in die fantasievollen, farbenprächtigen und humorvollen Winkel seines Gehirns. Man denke nur an Das Kabinett des Dr. Parnassus, Brazil oder gar Die Ritter der Kokosnuss. Er ist sogar bekannt dafür, viele Filme eben nicht gedreht zu haben, gerade weil seine Fantasie gerne mit ihm durchgeht und das vielen Produzenten zu riskant ist.

Aber welcher Mann steckt hinter diesen Ideen? Welcher Kopf? In seinem jetzt anlaufenden Langzeitprojekt The Man Who Killed Don Quixotte hat man das Gefühl, dieser Kopf wurde aufgeklappt und alles, was darin ist, hat sich über die 132 Minuten Film ergossen. Das bedeutet 132 Minuten Farben- und Ideenreichtum, Spannung, Genie und Fantasie. Es bedeutet aber auch 132 Minuten Chaos, und während Terry Gilliam hier eindrücklich beweist, wie nah Genie und Wahnsinn in der Kunst zusammenliegen, verlässt der eine oder andere Zuschauer das Kino wohl eher verwirrt und überfordert.

Die lange Reise des Don Quixote de La Mancha 

Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass seit der ersten Idee des Films sage und schreibe dreißig Jahre vergangen sind. Nach dem Start der Dreharbeiten 2000 wurden diese durch sämtliche Komplikationen jeglicher Art (Von Bandscheibenvorfällen bis zu finanziellen Engpässen) immer mehr in die Länge gezogen. Am Ende glaubte niemand mehr so Recht an den Erfolg des Projekts, es machte sich zu einem der berühmtesten gescheiterten FIlmprojekte und sogar eine Doku (Verloren in La Mancha) wurde über die Nicht-Entstehung gedreht.

Ein bisschen was von dieser Verzweiflung, aber auch von einem zugrunde liegenden Optimismus und Durchhaltevermögen stecken in den Irrungen und Wirrungen von The Man Who Killed Don Quixote. Das ist Absicht. Denn The Man Who Killed Don Quixote erzählt nicht nur die Geschichte der berühmten spanischen Romanfigur, es geht um die Fiktion selbst: Geschichten zu lesen, zu erzählen, zu leben.

Dazu spannt es einen größeren Rahmen: Der gescheiterte Regisseur Toby (Adam Driver) kommt während den Dreharbeiten eines Werbefilms zufällig wieder mit seinem früheren Filmprojekt The Man Who Killed Don Quixote in Berührung und stattet dem damaligen Drehort, einer kleinen spanischen Gemeinde, einen Besuch ab. (Ja… Ein gescheiterter Film über den gescheiterten Dreh eines Films, der genauso heißt wie der FIlm selbst: Willkommen in der Welt von Terry Gilliam…) Aber seine damaligen Dreharbeiten haben ihre Spuren hinterlassen: Nicht nur sind einige der Dorfbewohner an ihren neugewonnenen Ambitionen gescheitert; der Hauptdarsteller, ein spanischer Schuhmacher, ist verrückt geworden und glaubt inzwischen, der echte Don Quixote zu sein. Fest entschlossen erkennt er Toby als seinen Sancho Panza und nimmt ihn (unfreiwilligerweise) mit auf eine Reise. Eigentlich will Toby ihn wieder zurück in die Realität holen, wird aber auf dem Weg immer mehr in seine Fantasie hineingezogen.

Zwischen Überdrehter Fantasie und Selbstreflexion

Terry Gilliam verwebt dabei geschickt Realität und Fiktion und spielt mit Fantasie, Farbe und ein bisschen Slap-Stick Humor. Manchmal ist in den absurden, zunehmend surrealen Szenen und Begegnungen nicht mehr ganz klar: Ist das gerade die “Realität” oder Fantasie? In wessen Kopf befinden wir uns da gerade? Während die Charaktere selbst immer mehr den Verstand verlieren, scheint es schwer, als Zuschauer nicht auch verrückt zu werden. Noch dazu verschwimmt die Rahmenhandlung rund um den Regisseur Toby plötzlich wieder mit der tatsächlichen Roman-Geschichte Don Quixotes.


Sehr viel von Terry Gilliams eigenem Kampf und Scheitern, diese Geschichte zu erzählen, ist in die Handlung des Films verstrickt. Das spiegelt sich besonders in der Rahmenhandlung des Regisseurs Toby wider. Hier wird das Erzählte schließlich auch auf eine metafiktionale Ebene gehoben. So liegt in seiner Verwirrung, seiner Überdrehtheit, auch die Genialität dieses Films.

Das Genie eines Künstlers, sei es Terry Gilliam, Toby oder Don Quixote, ist eben oft nicht weit vom Wahnsinn entfernt. Wenn wir eine Geschichte erzählen, lesen oder anschauen, erleben wir sie und lassen uns in eine Fantasiewelt hineinziehen. Das reißt uns selbst oft aus dem Alltag und bringt uns an die Grenzen unseres Verstandes und unserer Fantasie. Denkt man einmal zurück an den ursprünglichen Don Quixote de La Mancha: Einen Landadligen, der so viele Ritterromane gelesen hat, dass er sich selbst für einen Ritter hält, scheint The Man Who Killed Don Quixote am Ende in seiner Metafiktionalität einfach sehr passend. Eine surreale Reise durch Gilliams Gedanken und eine eindrucksvolle Ode an die Macht des Geschichtenerzählens.

"The Man Who Killed Don Quixote" startet am 27. September 2018 in die deutschen Kinos.

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