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Beatsteaks im Interview

„Eigentlich sollte jeder zum Psychologen gehen!"

Autor(en): Oliver Strosetzki am Sonntag, 21. Januar 2018
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Quelle: M94.5 / Martin Aigner

Beatsteaks-Bassist Torsten Scholz

Was haben Rammstein mit Quietsche-Enten und Psychologen am Hut? Beatsteaks-Basstist Torsten Scholz packt unter anderem über seine Kollegen aus.

Die Beatsteaks gehören ohne Zweifel neben Die Toten Hosen und Die Ärzte zu einer der wichtigsten Rockbands im deutschsprachigen Raum. Die fünf Berliner machen bereits seit 23 Jahren nicht nur die Bundesrepublik unsicher und wissen mit ihrem lautstarken Mix aus Alternative- und Punkrock junge und alte Fans zu überzeugen und mitzureißen.

Letztes Jahr haben sie ihr achtes Studioalbum „YOURS" veröffentlicht und gehen damit einen etwas anderen Weg. Waren ihre Alben zuvor von einem starken Live-Charakter geprägt, zäumen die fünf Berliner dieses Mal das Pferd von hinten auf und haben namhafte Produzenten wie The Krauts, Brezel Göring von Stereo Total, aber auch hochklassige Features wie Farin Urlaub und Deichkind mit an Bord geholt und somit ihr bis dato abwechslungsreichstes Album veröffentlicht. Auch 2018 setzen die Beatsteaks ihre erfolgreiche YOURS-Tour fort. Einen Tag vor dem Tourstart in der bayerischen Kleinstadt Töging am Inn hat sich M94.5 mit Bassist Torsten Scholz zum Interview in einem Münchener Hotel getroffen.

Torsten, Ihr seid bereits seit 23 Jahren als Band zusammen. Rammstein gehen einmal wöchentlich zum Psychologen. Was habt ihr für Tricks um zum Beispiel das Tourleben erträglicher zu machen?

Eigentlich ist es egal wie groß die Band ist, du hast ja eine Verantwortung für dich und die anderen drei, vier Leute in deiner Band. Und uns geht es nach 20 Jahren Beatsteaks eigentlich ähnlich. Ich kann jetzt nicht ab morgen einfach sagen: „Oh ich mach jetzt das hier oder das.“ Wir haben uns ja irgendwann dazu verpflichtet und deswegen ist man schon bereit eine ganze Menge zu investieren. Und wenn es ein Psychologe ist, dann finde ich das prinzipiell keine schlechte Sache. Eigentlich sollte jeder zum Psychologen gehen. Verkehrt ist das, glaube ich, nicht. Aber wir versuchen uns halt sehr oft selber zu therapieren. Wir sind eine Diskutierband, wir reden immer und ständig über alles. Das ist manchmal vielleicht sogar etwas zu viel, wobei, zu viel kann man eigentlich gar nicht reden. Aber am Ende ist das das Beste was man machen kann, einfach reden, reden, reden.

Von Rammstein und Quietsche-Enten

Ich finde das auch echt gut und Rammstein funktionieren auch ein bisschen so. Ich weiß tatsächlich, dass sie bei Diskussionen so eine Quietsche-Ente haben. Wer die Ente in der Hand hat quietscht und dann müssen alle anderen die Klappe halten. Und nur so funktioniert‘s halt. Das muss man auch mal lernen, denn Zuhören ist viel wichtiger als Reden. Auch wenn man richtig hohl ist, kriegt man irgendwann mal mit, dass man sich bei ein paar Sachen beratschlagen sollte. Denn sein wir mal ehrlich: Am Ende habe ich nicht nur eine Beziehung zu meiner Freundin, sondern auch zu vier anderen …ähm Mädchen (lacht). Wenn du keine Beziehungssachen berücksichtigst, fällst du einfach irgendwann auf die Fresse und dann gibt’s die Band irgendwann nicht mehr. Klar gibt es manchmal ein paar Beleidigungen und es wird mal ein bisschen unsachlich, aber gerade da ist das Reflektieren das Wichtigste. Auch jetzt gerade mit der Platte, die sehr anstrengend war, bei der es auch wieder um viel Geld geht und man auch weiß, dass man nicht so viel Geld mit so einem Album verdient, ist auch sehr viel Druck da, der eigentlich gar nicht sein dürfte. Klar ist der nun mal da, weil wir einfach auf einem anderen Level als Rammstein sind, aber das ist egal. Wenn alles intern stimmt und funktioniert, dann kriegen wir das hin.

„Ich finde, dass wir sehr viel richtig gemacht haben"

Ihr seid jetzt alle in euren Mittvierzigern und vermutlich etwas reifer. Was würdest du deinem 20-jährigen Ich im Musikbusiness mit auf den Weg geben?

In der Hinsicht würde ich ihm gar nichts sagen. Da gibt’s eher andere Sachen, die ich ihm gerne mitteilen würde, die eben nichts mit Musik zu tun haben. Ich bin zwar ganz schlecht darin meine Band zu feiern, aber ich finde, dass wir sehr viel richtig gemacht haben. Auch so, wie sich die Band darstellt und in der Außenwirkung ist. In den letzten 18 Jahren habe ich erst einmal erlebt, dass mich irgend so ein Skaterkiddy blöd von der Seite angelabert hat, weil ihm nicht gefallen hat, was wir machen. Wir können uns zum Glück aussuchen, wie oft wir Nein sagen - was wir echt sehr oft machen. Obwohl sich das auch durchaus auf meinem Konto niederschlägt. Denn man könnte ganz woanders stehen, aber das ist alles echt nicht wichtig. Deswegen würde ich meinem 20-jährigen Ich nicht viele Tipps geben. Der würde das genauso machen wie ich, aber ich würde ihm ein paar andere Sachen sagen. Eher in Richtung Familie und Beziehung. Da gibt es ein paar Sachen, die ich in den letzten Jahren dazugelernt habe (lacht).

Wenn du blöd angesprochen wirst nimmst du das wahrscheinlich sowieso nicht persönlich, oder?

Das ist für mich eigentlich wie sich Kritiken zum Album durchzulesen. Wenn er etwas Konstruktives gesagt hätte, dann hätte ich mir das angehört und mich nicht geärgert, sondern mir gedacht: „Das ist ja interessant.". Ich war neulich bei Freunden und da meint eine, dass ihr der Deichkind-Song (L-Auf der Stirn) musikalisch nicht gefällt, sie aber den Text mag. Das finde ich überhaupt nicht schlimm. Zu sagen: „das gefällt mir nicht/gefällt mir"  finde ich vollkommen legitim. Aber zu sagen „ihr seid Punkt, Punkt, Punkt“, da bin ich dann raus. Was danach kommt ist dann auch gleich nur noch Schwachsinn. Wenn mir irgendjemand kommt: „Ey, ihr seid nicht mehr so wie früher!“, denke ich mir entweder, dass er die Fresse halten soll. Oder er soll ruhig weiterlabern und sich Alben von Bands kaufen, die so klingen wie damals. Das ist doch ganz einfach. Aber das war in den 18 Jahren tatsächlich nur ein Mal, ansonsten kann ich sogar in ein besetztes Haus gehen und die Leute kommen nett daher.

„Eine Band soll einen Scheiß tun außer Rock'n'Roll Musik zu machen!"

Bei der Du Bist Deluxe Version von eurem neuen Album YOURSwerden pro verkaufter Platte 15 Euro an Amnestie International gespendet. Würdet ihr sagen, dass ihr einen „Erziehungsauftrag“ gegenüber eurer Fanbase habt, um auf soziale Projekte aufmerksam zu machen?

Also ich finde nicht, dass wir irgendeinen Auftrag haben, den haben die Eltern. Eine Band soll einen Scheiß tun außer Rock’n’Roll Musik zu machen, das denke ich jedenfalls. Ich finde aber auch, dass wir Typen sind, die als Menschen eine Meinung haben, obwohl das jetzt vielleicht ambivalent klingen mag. Und wenn man findet, dass Deluxe-Versionen eh immer das Gleiche sind und in einer Box immer irgendein Mist drin ist, dann kann man auch einfach mal etwas anderes machen. Da ist das doch ganz schön, dass wir fünf Typen sind, die alle ins gleiche Boot pissen und das Boot halt auch ein bisschen weiter links steht. Dann kommt vielleicht etwas Gutes dabei raus und im Optimalfall eben so Gutmenschenkram. Das ist zwar cool, aber eigentlich nicht unsere Aufgabe.

Einfach mal die Fresse aufreißen

Unsere Aufgabe ist es, dass Leute 30 bis 40 Euro bezahlen, zwei Stunden zum Konzert gehen und danach sagen, dass sie sich eigentlich ein neues T-Shirt kaufen müssen, weil ihres total verschwitzt ist. Wenn dann nebenbei noch etwas dabei rumkommt, finde ich das gut. Wenn ich mir aber Helene Fischer angucke denke ich mir, dass sie sich wirklich mal hinstellen könnte, um ihrer millionenschweren Gefolgschaft zu sagen, dass das mit den Flüchtlingen gar nicht so schlimm ist, weil sie ja selber eine Russland-Deutsche ist und auch genutzt hat, dass dieses Land für Leute da ist. Also einfach mal zu sagen: „Macht euch mal locker, das kriegen wir schon hin!“ das wäre zwar toll, ist aber nicht ihre Aufgabe als Künstlerin. Es ist die Aufgabe als Mensch, dass man einfach mal die Fresse aufmacht. Wir hatten uns die Frage eben auch gestellt. Wenn wir auf der Wuhlheide spielen und Arnim sagt etwas, zum Beispiel Sachen, die auch gegen die AFD gehen, gehen danach natürlich „Nazis-raus“-Chöre los. Da denke ich mir dann auch, das muss jetzt hier wirklich keiner machen.

Weil wahrscheinlich auch keine Nazis da sind.

Ja auch. Aber eine Helene Fischer könnte das machen. Nicht, dass sie ein Fascho-Publikum hat, aber ihre Reichweite ist halt eine ganz andere. Wir machen zwar immer mit, wenn wir gefragt werden, ich würde das aber auch machen, wenn man mich als Torsten Scholz, also als Elektroinstallateur, fragen würde. Nur da fragt mich bloß keiner.

Es ist an der Zeit etwas Neues zu machen

Viele Bands sind stolz darauf, wenn sie als neuen Ansatz ihr Album komplett in Eigenregie und Live aufnehmen. Bei euch ist es genau umgekehrt: Ihr habt immer live eingespielt, jetzt liegt der Fokus stark auf dem Produzieren einzelner Nummern, mit vielen Produzenten und vielen Features. Was hat sich dadurch für euch verändert?

Wir hatten ja sonst eigentlich immer unseren Produzenten Moses Schneider dabei, wenn alles Live eingespielt wurde. Der war auch jedes Mal die letzte Direktive. Er hat es also gesagt, wenn ein Song jetzt draufbleibt, oder noch irgendwo ein Refrain fehlt. Diesmal haben wir uns aber ganz oft Leute dazugeholt und uns konsequent auf deren Arbeitsweise eingelassen. Wenn also The Krauts bestimmte Beats brauchten, haben wir denen die Samples geliefert. Dann wurde das Riff zerschnitten, was echt total interessant war. Ich mag ja solche Musik, deswegen war es toll für mich zu sehen, wie die arbeiten und wie es dann am Ende auch wirklich so klingt. Es war einfach toll mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man musikalisch auch gut findet. Nach dem vierten oder fünften Album, das immer gleich aufgenommen wurde, war es einfach mal an der Zeit etwas ganz anderes zu machen. Manche Songs haben wir zum Beispiel, wie die Beatles damals auch, nur mit vier Mikrofonen aufgenommen. Die klingen jetzt wirklich nicht so viel schlechter, sondern einfach anders. Heute gibt es auch wieder andere Möglichkeiten.

 

2018

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Ihr habt insgesamt eineinhalb Jahre für die Albumproduktion gebraucht. Wie steht man nach so einer langen Zeit noch zu den ersten Songs, die man bei dem Prozess geschrieben hat?

Wir spielen ja momentan zehn bis elf Songs vom Album und haben schon jetzt bei jedem Song das Gefühl: „Hmm, ach Mist!“. Aber das war schon immer so. Das Lied klingt jetzt so, wie es klingen soll. Irgendwann gewöhnst du dich dran. Vielleicht kann man davon was für's nächste Album mitnehmen und daran denken, aber eigentlich passiert’s eh immer wieder genauso. Ist ja auch egal. Am Ende sehen uns mehr Leute live, als die, die unsere Platte haben. Deswegen geht es eigentlich. Wenn es anders herum wäre, dann wäre das schon blöd. Aber dadurch, dass mehr Leute den Song live hören und wir da noch ein paar Sachen verändern können, sind wir da auf der sicheren Seite.

Manche Bands spielen ihre Songs ja auch von Tour zu Tour anders.

Ja genau! Wir haben jetzt auch wieder beim Proben der Songs wie „Hand in Hand", „Jane" und „Let Me In" die Aufgabe, sich die Lieder Zuhause genauer anzuhören und jeder merkt so für sich: „Ach das spiele ich da ja ganz anders, sollte ich mal wieder so spielen!“ Dann gehst du damit in den Proberaum und spielst es wieder so wie vor 15 Jahren und denkst dir, dass das eigentlich auch ganz geil klingt. So passiert das halt immer wieder, da das ja eher ein Vor und Zurück ist. Das macht die ganze Sache dann auf lange Sicht auch weniger langweilig.

Platte des Monats

Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit. 

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M94.5 präsentiert
Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr
M218 LMU Hauptgebäude
 
Munich Rocks!
Donnerstag, 18. Oktober 2018
 
Freitag, Samstag: 19./20. Oktober
 
Neuhauser Musiknacht
Samstag, 27. Oktober 2018
M94.5 Bühne @ Freiheizhalle

 

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