Tocotronic im Interview
„Toy Story ist King"
Wir haben Dirk von Lowtzow und Arne Zank von Tocotronic in Berlin getroffen. Ein Gespräch über Trickfilme, Carl Orff und Digitalisierung.
Wir schreiben jetzt 25 Jahre Tocotronic. Zu eurem 20-jährigen Jubiläum gab es auch schon das Album Wie wir leben wollen mit der Textzeile „20 Jahre sind eine lange Zeit, doch sollte man nicht kleinlich sein“. Gibt es nach 25 Jahren ein ähnliches Fazit?
Dirk von Lowtzow: Kleinlich sollte man überhaupt nie sein, das ist keine schöne Sache. 25 Jahre, das ist eine noch etwas längere Zeit. Uns ist das überhaupt jetzt erst so richtig bewusst geworden, dass wir schon mehr als die Hälfte unseres Lebens miteinander verbracht haben. Wir sind eigentlich überrascht gewesen, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Ein Fazit haben wir deswegen gar nicht, wir sind einfach ein bisschen baff.
Euer neues Album Die Unendlichkeit entstand wieder unter Zusammenarbeit mit eurem langjährigen Produzenten Moses Schneider.
DvL: Wir arbeiten seit 2004, seit der Produktion des Albums Pure Vernunft darf niemals siegen mit ihm zusammen. Und er kam damals so in unser Bandgefüge rein und hat auf den ersten Bick gar nicht dazu gepasst. Er ist ein Freak, ich glaube, das kann man so sagen.
Arne Zank: Das würde er auch durchaus so bejahen.
DvL: Er kommt zwar aus einer anderen musikalischen Ecke, hat aber schon damals den Kern der Band total gut verstanden. Er hat mit seinem Blick, seiner Wahrnehmung, sofort gesehen, wo die Achsen sind, zwischen Bass und Schlagzeug und wie die Gitarre mit dem Schlagzeug zusammenhängt. Diese Achsen sind bei uns eher ungewöhnlich. Damals sind wir ja gerade zum Quartett mutiert, mit Rick. Uns ist die Arbeit mit ihm einfach nie langweilig geworden. Und das ist eigentlich das größte Kompliment, das man ihm machen kann. Weil er selber immer auf der Suche geblieben ist, sich selber auch immer versucht hat zu überraschen und neu zu erfinden. Vielleicht ähnlich wie wir und insofern ist es eine bis zum heutigen Tag perfekte Paarung.
Auf dem Album finden sich eine Reihe Filmzitate, zum Beispiel „Unendlichkeit und noch viel weiter!“. Der Satz der Figur Buzz Lightyear aus der Filmreihe Toy Story.
AZ: Ja, Pixar finde ich generell sehr gut.
Also auch Findet Nemo?
AZ: Ja, genau. Im Gegensatz zu Dream Works, die sind eher nicht so gut, sollte man meiden. Aber Toy Story ist echt super, ich habe erst letztens mal wieder den ersten Teil geguckt. Man sieht daran so toll, wie sich CGI überhaupt entwickelt hat.
Auf dem Titeltrack Die Unendlichkeit, wo das Toy Story Zitat auch vorkommt, ist das Schlagzeug besonders zurückgenommen, fast schon jazzig. Das ist für euch eher ungewöhnlich.
AZ: Das war das erste Stück, das wir aufgenommen haben. Auch zu zweit, wie wir hier sitzen. Ich fand das auch sehr schön, Moses trifft dann immer ziemlich schnell Entscheidungen, wie der Sound sein soll. Uns war anfangs auch noch nicht klar, ob das wirklich das Endprodukt sein sollte, weil das eher ein minimalistisches Set in seinem kleinen Studio war. Eher rumpelig und mit nur zwei Mikrofonen aufgenommen, tatsächlich ein bisschen wie im Jazz. Bei dem Stück war es also wirklich eine Erleuchtung in dem Sound, den wir da gefunden haben.
Bei den ganzen Filmzitaten – Die Schöne und das Biest ist auch dabei – seid ihr jetzt zu den Cineasten geworden, die ihr früher gehasst habt?
DvL: Das mit den Filmzitaten war mir gar nicht so bewusst. Also Die Schöne und das Biest ist ja ursprünglich ein Märchen, zu dem es natürlich einen wundervollen Film gibt. Und Toy Story ist sowieso King. Und Cineasten – ja, why not?
AZ: Ähnlich wie mit den Fahrradfahrern ist man da so ein bisschen milde geworden. Auch das Tanztheater empfinden wir als nicht mehr so verachtenswert.
DvL: Ja, jetzt wieder, ehrlich gesagt. Seitdem es in die Volksbühne eingezogen ist, verachte ich es wieder. Da hat die Zeile „Tanztheater dieser Stadt“ wieder eine ganz neue, aktuelle Bedeutung bekommen. Aber Fahrradfahren – ja, kann man mal machen.
Kleinkunst?
DvL: Ne, Kleinkunst ist immer Mist. Abgesehen allerdings vom Puppenspiel. Das finde ich gut. Und Bauchrednerei. Das sind sozusagen die löblichen Ausnahmen.
Der Song "Unwiederbringlich" ist orchestral arrangiert, mit einem fast 2-minütigen Intro. Wie ist es zu diesem Stück gekommen?
DvL: Dieser Song behandelt eine sehr traurige Geschichte meines Lebens. Mein ältester Jugendfreund, mit dem ich aufgewachsen bin, ist, kurz nachdem ich nach Hamburg gezogen bin, nach überraschender Krankheit gestorben. Er war auch unser Tourmanager, als wir mit der Band angefangen haben. Ich war zu dem Zeitpunkt 25 oder 26 und natürlich hat mich das ungeheuer beschäftigt, eigentlich tut es das bis heute. Und weil es bei dem Album um autobiographische Markierungen geht, hatte ich das Gefühl, ich muss ein Stück für ihn schreiben, um ihm zu gedenken. Es war sicherlich das schwierigste Stück zu schreiben, weil man bei so einem Thema wirklich um jedes Wort ringen muss. Wir wollten diesem traurigen Thema dann ein eher heiteres Arrangement zur Seite stellen, ein bisschen von Carl Orffs Schulwerk inspiriert. Wir haben dafür den Wiener Komponisten Paul Gallister gefragt und er hat das so schön arrangiert, dass wir möglichst viel davon dann auch auf dem finalen Stück haben wollten.
Die autobiographischen Stationen des Lebens lassen sich in den Tracks gut wiedererkennen. In "1993" geht es darum, wie du, Dirk, nach Hamburg gezogen bist, "Ausgerechnet du hast mich gerettet" behandelt den Umzug der Band nach Berlin. Welche Stationen wird es noch in Zukunft für euch geben?
DvL: Es gibt auf dem Album sogar einen Ausblick in die Zukunft. Das mit "Ausgerechnet du hast mich gerettet" stimmt nicht so ganz, das spielt eher so um das Jahr 2003. Die Zukunft auf dem Album beginnt mit dem Stück "Mein Morgen". Da werden verschiedene Ideen, wie so eine Zukunft aussehen könnte, skizziert. Wir sind als Band jetzt erst mal froh, dieses Album fertiggestellt zu haben. Das war schon ein ziemliches Stück Arbeit, ein ziemlicher Brocken. Also jetzt erstmal das, und dann sehen wir weiter.
AZ: So einen erneuten Umzug fände ich jetzt eher schrecklich.
DvL: Obwohl mir gerade vorher die Idee gekommen ist, ob die ganze Band nicht nach Brasilien umsiedeln könnte. Das wäre mein Traum. Nur leider sind wir des Portugiesischen nicht mächtig. Wir stehen aber auf brasilianische Musik. Die sind allerdings besser als wir, da würden wir als die absoluten Oberstümper verlacht.
AZ: Und dann wären wir da auch noch käseweiß am Strand.
DvL: Schönheits-OPs kann man da aber machen. Obwohl das schon per se die schönsten Menschen dieser Erde sind, in Brasilien. Aber wir schweifen ab.
Olli Schulz hat in der letzten Ausgabe von Fest & Flauschig fast schon geschwärmt von eurem neuen Album. Seid ihr gewissermaßen froh, dass er euch dort auch einer jüngeren Zielgruppe näher bringt?
AZ: Olli kennen wir tatsächlich wahnsinnig lange, das hat uns wirklich sehr gefreut. Dass er das gemacht hat, war aber keine so große Überraschung., weil der sabbelt halt eh die ganze Zeit. Da braucht man nur die Kamera anzumachen.
Ihr habt gesagt, dass ihr euch durch dieses autobiographische Album noch besser kennengelernt habt. Gibt es nach 25 Jahren Bekanntschaft denn überhaupt noch etwas zu erfahren?
DvL: Wir wissen natürlich schon ziemlich viel vom jeweils anderen. Man kennt die Schrullen und Ticks und kann die teilweise auch schon antizipieren, was es aber auch nicht unbedingt leichter macht. Natürlich ist es ein Album, das sehr stark ins Persönliche und ins Intime geht. So genau haben wir aber nicht alles besprochen. Wir sind zwar schon unendlich lange befreundet, aber halt auch nicht verheiratet. Das Ganze hängt natürlich auch von der Aufgabenstellung ab. Als die Tür zu diesem Album offen war, ging es immer weiter, immer tiefer und natürlich spricht man auch darüber. Und dabei erfährt man im besten Fall noch etwas neues von den anderen.
In dem Stück "Bis uns das Licht vertreibt" heißt es: „Ich sitze drin und tippe stumm, ständig auf dem blöden Ding herum". Euer Kommentar zur Digitalisierung?
AZ: Ich dachte, es ging um einen Taschenrechner.
DvL: Das ist ganz interessant, weil auf dem Stück unmittelbar davor, "Unwiederbringlich", gibt es die Textzeile „Es gab noch keine Handys, es war alles Gegenwart, die Zukunft fand ausschließlich in Science-Fiction-Filmen statt". Im Stück "Bis uns das Licht vertreibt" gibt es dann schon Handys und das war eine Zeit, in der ich oft zuhause saß und auf meinem Handy rumgetippt habe. Das war so um die Jahrtausendwende, als das gerade neu und aufregend war. Das SMSen hatte damals auch noch so eine erotische Komponente.
AZ: Gleichzeitig hat es aber auch schon genervt. Das ist jetzt alles noch schlimmer geworden.
Wie Smartphone-affin seid ihr? Schon eher süchtig?
AZ: Ich bin leider sehr suchtanfällig und das beginnt gerade.
DvL: Das müssten wir eigentlich eher dich fragen. Bei uns geht das noch, wir kommen da noch raus. Im Gegensatz zu euch können wir ja noch über Festnetz telefonieren und wir genießen das. Aber natürlich kenne ich das auch, dass man sich davon ablenken lässt. Dass man da immer drauf starrt und schaut, ob es irgendetwas Neues gibt. Andererseits darf man dann auch nicht darüber jammern, weil man kann es ja auch einfach ausschalten.
AZ: Genau, einfach ausschalten. Wie, aus unserer Generation, Peter Lustig schon gesagt hat. Aber ich kann das nicht jeden Tag neu lernen, nicht drauf zu schauen. Das sind schon Fähigkeiten, die in der nächsten Zeit immer wichtiger werden. Dass man lernt, den Krempel auszuschalten.
DvL: Wo wir bei Zukunftsvisionen sind, es gibt den Satz „Wir verwischen die Spuren" im Stück "Mein Morgen". Der ist inspiriert von einem wirklich sehr schönen Gedicht von Bertolt Brecht. Und das ist echt genial, wie prophetisch das ist. Ich glaube, in dieser Zeit wird dieses Spurenverwischen nämlich immer wichtiger.