KW 28 / 2013: David Lynch - The Big Dream
Der M94.5 Plattentipp der Woche
David Lynch kennt man für seine verstörenden Filme. Mit "The Big Dream" liefert er jetzt aber schon die zweite überzeugende Pop-Platte ab.
Eraserhead, Blue Velvet, Twin Peaks, Mulholland Drive - David Lynch hat sich in den letzten fast vierzig Jahren zu allererst einen Namen als Regisseur ebenso verstörender wie faszinierender Spielfilme gemacht. Spätestens seit seinem Solo-Debütalbum "Crazy Clown Time" von 2011 sollte man das Multitalent - Lynch vertreibt sich die Zeit nebenbei als Maler, Fotograf und Komponist - aber auch als Pop-Musiker auf der Liste haben.
War "Crazy Clown Time" eine überraschend zeitgemäße Elektropop-Platte, der man nicht anhörte, dass ihr Schöpfer gerade das Rentenalter erreicht hatte, nähert sich Lynch auf "The Big Dream" jetzt einem altersgemäßeren Genre: dem Blues. Denn der ist ja eher so ein testosterontriefendes Echtheits-Ding: Alte, schwarze Männer mit schlechten Zähnen erzählen zu Gitarre und Mundharmonika von harten Tagen auf dem Cotton Field oder in der Factory, von den Girls, die sie schon hatten, und von der Lady, die sie nicht bekommen. Allzu oft eine staubige Angelegenheit samt rostiger Genre-Klischees. Selbst jüngere Blues-Adepten wie die White Stripes oder Black Keys haben lediglich den Verstärker etwas weiter aufgedreht. Nicht so David Lynch.
Denn der befreit den Blues, seine Lieblingsmusik, gleich auf doppelte Weise von ihrer grauen Patina. Zusammen mit Sound-Ingenieur Dean Hurley reduziert er die Songs auf ein Minimum, setzt die für das Genre eigentlich so wichtige Gitarre nur sparsam ein und verzichtet dabei ganz auf Soli. Stattdessen lässt er schmerzverzerrte Synthies sprechen. Unterlegt ist das Ganze zumeist mit elektronischen Beats. Wie schon auf dem letzten Album verfremdet er seine Stimme und nimmt ihr damit das vermeintlich Echte, und oft auch das vehement Männliche.
Gleichzeitig scheint er die insgesamt zwölf Songs auch ganz konkret aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Als ob er uralte Songs, die schon seit den 50ern im Äther herumschwirren, abgefangen und auf eine Schallplatte gebannt hätte. Über allem liegt ein leichter Hall, Störgeräusche wechseln sich mit geisterhaften Synthie-Geräuschen ab, die wie das letzte Überbleibsel einstiger Mundharmonika-Klagegesänge klingen. Lynchs Gesang ist nicht selten brüchig und blechern, seiner Kraft beraubt, und doch noch einen Rest Seele atmend.
Schließlich - und da bleibt Lynch dann doch ein traditioneller Blues-Sänger - erzählen die Texte uralte Geschichten aus dem Unterbewussten des alten Amerika: "The way you been treatin' me, baby/ Ain't comin' back here, anyway/ Savin' my money for a rainy day" lamentiert er in "The Line It Curves", "Got a cold wind blowin' through my heart" in "Cold Wind Blowin'". Das einizge Cover, der Bob Dylan-Song "Ballad of Hollis Brown", erzählt von einem bettelarmen, verzweifelten Vater, der am Ende seine siebenköpfige Familie erschießt.
Lynch schafft es, dem Blues ein lange überfälliges Update zu verpassen, ohne ihn seiner Kernelemnte zu berauben. Wie in vielen seiner Filme schickt er uns auf einen düsteren und unheimlichen Road-Trip durch das unterbewusste Amerika.
Wertung: 8 / 10
Key Tracks: "Star Dream Girl", "Sun Can’t Be Seen No More", "The Line It Curves"
Artist: David Lynch
Album: The Big Dream
Label: Sunday Best/ PIAS
VÖ: 12.07.2013