Noga Erez im Interview
Hässlich und wunderschön
Noga Erez hat gerade ihr Debütalbum veröffentlicht und das gleich auf dem Primavera Sound Festival vorgestellt. Wir haben dort mit ihr gesprochen.
Noga Erez ist eine erstaunliche Frau. Und sie macht erstaunliche Musik. Die 26-jährige Künstlerin stammt aus Tel Aviv, hat klassische Komposition studiert. Sie gibt in ihrer Heimatstadt Musikunterricht und hilft Musikern dabei, Songs zu schreiben und zu komponieren. Dabei steht sie selbst noch am Anfang. Und zwar an einem sehr vielversprechenden. Am 2. Juni kam ihr Debütalbum Off The Radar in die Läden. Elektronische, tanzbare Beats kombiniert mit der mal kraftvollen und mal ruhigen Stimme von Noga Erez. Aber es ist nicht nur die Mischung aus ihren Vocals und den gut produzierten Beats, die dieses Debüt zu etwas Besonderem machen. Es sind vor allem die Texte. Die junge Musikerin erzählt von Politik, Gesellschaft, in einem Song geht es sogar um den sexuellen Übergriff einer jungen Frau nach einer Partynacht in Tel Aviv.
Wir haben Noga Erez zusammen mit Kelly Lee Owens und der spanischen Künstlerin Museless auf dem Primavera Sound Festival in Barcelona getroffen. Sie wirkt etwas verschüchtert, als sie sich bei der Pressekonferenz auf das Sofa setzt. Vielleicht ist sie aber auch nicht schüchtern, sondern einfach nur zurückhaltend. Sie lässt den anderen beiden beim Beantworten der Fragen den Vortritt und schaut vielleicht sogar ein bisschen desinteressiert. Nur zwischendurch macht sie immer wieder kleine Witze. Ein ganz anderer Eindruck, als der, den man von ihrer Platte bekommt. Hier wirkt alles, als müsste man als Hörer jedem einzelnen Song jede Sekunde die volle Aufmerksamkeit schenken, um nichts zu verpassen.
Von klassischer zu elektronischer Musik
Wenn sie aber anfängt zu erzählen, taut sie etwas auf und berichtet von ihren Anfängen.
„Ich habe während meines Studiums auch Kurse in Instrumentierung belegt. Hier ging es darum, wie man jedes einzelnen Instrument eines Orchesters einsetzen kann und was man damit überhaupt erzeugen kann. Ich glaube, das hat mich auf die Benutzung von Soundsystemen vorbereitet und darauf, wie ich eine Art Techniker werde.“
Der Grundstein ihrer Musik war dabei gelegt und die Themen, die in ihren Songs behandelt werden sollten, eigentlich auch.
„Wir sind auf einem guten Weg“
Natürlich spielt auch Feminismus auf ihrem Debütalbum eine große Rolle. Sie spricht während des Interviews viel davon, dass die Gesellschaft sich gerade in einem Prozess befindet, der besonders von jungen Frauen gestaltet werden muss. Besonders die Musik spielt dabei eine große Rolle. Einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Künstlern sieht sie aber kaum.
„Ich tendiere dazu zu sagen, dass es keinen wirkliche großen Unterschied zwischen der Musik von Frauen und Männern mehr gibt. Es gibt diese Vorurteile, dass Mädchen immer rosa tragen sollten und Jungs immer blau. Ich glaube aber, dass das nicht mehr die Sprache ist, die wir sprechen. Denn um ehrlich zu sein: es gibt auch Männer die sehr emotionale Musik machen. Natürlich gibt es auch solche, die glauben, dass sie besonders männlich sein müssen… Deshalb leben wir auch immer noch in diesen festgesetzten Rollen. Aber trotzdem gibt es auch Beispiele, in denen Frauen Musik machen, die man als männlich bezeichnen würde. Und ich schäme mich wirklich dafür, dass ich auch in diesen Bezeichnungen denke. Ich glaube nämlich eigentlich, dass das so nicht mehr existiert.“
„Wir alle leben in einer dualen Welt“
Im Song „Pity“ behandelt sie die Geschichte einer jungen Frau ihrer Heimatstadt, die nach einer Party Opfer von sexuellen Übergriffen wurde. Dieses Thema hat Noga Erez lange beschäftigt. Deswegen war es ihr umso wichtiger, dass es auch in ihrem Album zur Sprache kommt.
„Wir leben alle eher eine duale Existenz zwischen den wirklich hässlichen und wunderschönen Seite des Lebens. Und ich glaube das besonders Musik, zwischen allen anderen Formen der Kunst, die Möglichkeit hat, dieses Entertainment und die Realität und Kritik miteinander zu verbinden. Das ist genau das, was ich versuche zu produzieren. Ich bin wirklich privilegiert, aber lebe in einer verrückten und chaotischen Realität. Deshalb bewege ich mich immer genau zwischen diesen beiden Grenzen. Wobei der Grad zwischen ihnen immer schmaler wird. Das ist eines der Hauptthemen meines Albums.“
Das zweite Mal auf dem Primavera Sound
Der Prozess des Songwritings, der Produktion und schließlich die Live-Auftritte, haben die junge Künstlerin zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Dabei war vor allem ihr Label City Slang eine große Stütze.
„Das war bisher das wichtigste Jahr in meiner Karriere als Musikerin. Letztes Jahr durfte ich hier schon einen kleinen Showcase auf der PrimaveraPro Bühne spielen. Wenige Monate später habe ich bei City Slang unterschrieben. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich vom Label stark unterstützt, bei allem was ich getan habe. Damals war mein Set, das ich gespielt habe auch schon ein Teil von Off The Radar. Aber natürlich wurde jetzt alles nochmal neu gemischt und gemastert. Ich habe die Songs dann für ein ganzes Album zusammengestellt und festgestellt, als was für eine Art von Musikerin ich mich verstehe und was für eine Rolle vor allem die Texte dabei für mich spielen.
Ich würde auch niemals bei einem Label unterschreiben, dass mich und meine Art ändern will. Deshalb habe ich bei Leuten unterschrieben, die sich dafür interessieren, wer ich bin und die kein bisschen daran interessiert sind, mich zu ändern.“
Tatsächlich klingt Off The Radar nicht nur sehr authentisch, sondern auch wirklich erfrischend. Eine unbedingte Hörempfehlung!