Konzertbericht: Der schwedische Singer/Songwriter und seine Band in den Münchner Kammerspielen
Junip in den Kammerspielen
Ein Traum. Eine Machtdemon- stration der Schönheit. José González und seine Freunde: Junip in den Kammerspielen
Prolog: Der Abend endet. Vier Stunden später und einen Fußmarsch weiter auf den Stufen der Bavaria, morgens um halb vier. Die Scheinwerfer der Ruhmeshalle strahlen der Patronin Bayerns in den Rücken – und an ihr vorbei. Fast wie es bei der Zugabe in den Kammerspielen war, als die Scheinwerfer in den Rücken von Sänger José Gonzàlez strahlten – und an ihm vorbei in die geöffneten, kieferstarren Gesichter des restlos ausverkauften Schauspielhaus‘. Und eine Frage kümmert uns: Was ist dort eigentlich geschehen? Am späten Samstagabend. Im Herzen der Stadt M. Der besten Adresse der Stadt. Der Maximilianstraße.
Erklärungsversuche des Publikums bleiben uneindeutig. Schön. „Das war ein – schönes Konzert!“, sagt einer. Sagt es, ohne spitzfindige Vieldeuter-Betonung. Schön. Vor der Tür: Ein Pulk von Menschen. Die so gefragt: „Ey! Was war jetzt so toll da, an dem Konzert? Was ist es, das die Schönheit von Junip ist?“ Die Antwort: „Naja, wenn du so fragst, dann kann man das mit Worten wohl so nicht erklären.“ Punkt.
Also zurück. Time-Warp. Vier Stunden früher. Halb acht. Mißmutig ob des anstehenden Konzerts. Kenn Junip nicht richtig. Bin nicht bester, körperlicher Verfassung. Schau nochmal bei facebook: junip @ münchner kammerspiele – SOLD OUT! Ausverkauft. Seit irgendwann vor Ostern schon. Schreibt mir ne Freundin: „Hast noch ne Karte über?“ Hab ich nicht. Irgendwie kommt sie aber doch noch an eine, schreibt: „Ich komme!“. Und das, obwohl sie grad noch irgendwo in der bayrischen Provinz festsitzt. Da ist es halb neun. Und wie ich aufbreche, zu den Kammerspielen, denke ich das erste Mal: „Wow! Junip! Aber warum?“
DAS KONZERT
Eine Überraschung: Junip – das sind normalerweise drei Menschen. Heute sind es fünf. Bühnenbild: Ein riesiges Rehkitz wurde im Hintergrund als Wandbehang ausgerollt – filigran, unschuldig: Cute Bambi! Zu lieb? Das Arrangement auf der Bühne stellt mehr die Instrumente in den Vordergrund als die Künstler die sie bedienen. Mit Ausnahme des Anführers natürlich: José González. Er ist präsent auf der Bühne. Die Gitarre hält er in der Hand, nicht sie ihn.
Anführer im Nebel
Zu gewöhnlich? Und dann gibt es noch eine Nebelmaschine. Sie nebelt von Beginn des Konzerts, unaufhörlich bis zum Schluss. Und es geht los. Und es ist wahrlich ausverkauft. Und ich bin glücklich – denn das aus der Werbung bekannte „Always“ wird leicht abgeändert vorgetragen. Dennoch der Gedanke: 1. Warum kann diese Band mit ihrem Rehkitz, mit ihrer Nebelmaschine, mit ihren – musikalisch zwar hochversierten, aber dennoch irgendwie – gewöhnlichen Arrangements die Kammerspiele einmal, ja vermutlich auch zweimal, dreimal ausverkaufen? 2. Warum machen das die MK überhaupt? Im Schauspielhaus, wo derzeit vom regieführenden Intendanten Johan Simons anarchistisch, lebendige Schweine durch den King Lear getrieben werden? Und gedankenverloren glaub ich das Rehkitz – wie eine Art gutartigen Gegenspieler des verwesenden Fuchses aus Lars von Triers „Anti-Christ“ – zu mir sprechen hören: „Chaos never reigns!“. Egal, wenigstens das Licht über Eingang Parkett Mitte links flackert. Wild thing! Und das Publikum? Es klatscht! Und manchmal wird gejohlt! Und manchmal wird es übermannt von der Location und wirft mit bösen, theaterpublikum-üblichen Blicken um sich, wenn an der falschen Stelle geklatscht oder gar unangemessen applaudiert wird.
Die Wärme des anarchischen Augenblicks
Und doch ist es schön hier und Wärme macht sich breit – und die Erkenntnis reift, dass es keinen besseren Ort geben kann, wo man den heutigen Abend verbringen sollte. Allein der kausale Vorbau zu dieser Erkenntnis bleibt ungreifbar. Und weitere Gedanken wachsen: Welche Songs sind es, die das Schauspielhaus besser kleiden? Die ruhigen Balladen mit dem Hauptdarsteller González, oder die schnelleren, kraftvolleren Stücke, welche die komplexen Arrangements und die Fingerfertigkeit der Band hervorheben?
Und plötzlich: Das Konzert ist vorbei! Nein! Was? Schon? 90 Minuten Spielzeit? Nicht mal ganz? Aber: Eine Zugabe, zwei weitere Songs. Die Bühne erleuchtet. Die Nebelmaschine hyperventiliert und verschlingt das Rehkitz. Die Scheinwerfer in González‘ Rücken offenbaren der Band ein Publikum mit dem sie etwas angestellt hat, was selten gelingt: Dass es dem Konzert abhandenkommt. Dass es sich bei der Band so vertraut und aufgehoben fühlt, dass es sich jedweder Träumerei hingeben kann. Ein Abend voller warmer Anarchie also. Der wohligste Ort auf dieser Welt an diesem Samstagabend. Doch dieser Umstand erklärt sich mir erst vier Stunden später. Auf den Stufen der Bavaria. Immer noch behagliche Junip-Wärme am, im und durch den Körper hindurch – und ohne wirklich zu wissen, was einen morgens um halb vier auf die Theresienwiese getrieben hat. Vermutlich gerade aufgewacht. Oh süßer Traum.
Epilog: Alles ist erleuchtet!
Everything is illuminated. Vergangenen Samstagabend. In den Münchner Kammerspielen. Eine Grenzerfahrung – ohne Grenze, ohne Erfahrung. Sondern: Ein Traum. Eine Machtdemonstration der Schönheit. José González und seine Freunde: Junip [Bildergalerie unten].
Prolog: Der Abend endet. Vier Stunden später und einen Fußmarsch weiter auf den Stufen der Bavaria, morgens um halb vier. Die Scheinwerfer der Ruhmeshalle strahlen der Patronin Bayerns in den Rücken – und an ihr vorbei. Fast wie es bei der Zugabe in den Kammerspielen war, als die Scheinwerfer in den Rücken von Sänger José Gonzàlez strahlten – und an ihm vorbei in die geöffneten, kieferstarren Gesichter des restlos ausverkauften Schauspielhaus‘. Und eine Frage kümmert uns: Was ist dort eigentlich geschehen? Am späten Samstagabend. Im Herzen der Stadt M. Der besten Adresse der Stadt. Der Maximilianstraße.
Erklärungsversuche des Publikums bleiben uneindeutig. Schön. „Das war ein – schönes Konzert!“, sagt einer. Sagt es, ohne spitzfindige Vieldeuter-Betonung. Schön. Vor der Tür: Ein Pulk von Menschen. Die so gefragt: „Ey! Was war jetzt so toll da, an dem Konzert? Was ist es, das die Schönheit von Junip ist?“ Die Antwort: „Naja, wenn du so fragst, dann kann man das mit Worten wohl so nicht erklären.“ Punkt.
Also zurück. Time-Warp. Vier Stunden früher. Halb acht. Mißmutig ob des anstehenden Konzerts. Kenn Junip nicht richtig. Bin nicht bester, körperlicher Verfassung. Schau nochmal bei facebook: junip @ münchner kammerspiele – SOLD OUT! Ausverkauft. Seit irgendwann vor Ostern schon. Schreibt mir ne Freundin: „Hast noch ne Karte über?“ Hab ich nicht. Irgendwie kommt sie aber doch noch an eine, schreibt: „Ich komme!“. Und das, obwohl sie grad noch irgendwo in der bayrischen Provinz festsitzt. Da ist es halb neun. Und wie ich aufbreche, zu den Kammerspielen, denke ich das erste Mal: „Wow! Junip! Aber warum?“
DAS KONZERT
Ankunft MK. Die Eintrittskarte ist nahezu zwischen den Fingern zerrieben. Zuviel nachgedacht auf dem Weg. Denn es ist auch schon kurz vor zehn. Mist. Vorband verpasst!
Eine Überraschung: Junip – das sind normalerweise drei Menschen. Heute sind es fünf. Bühnenbild: Ein riesiges Rehkitz wurde im Hintergrund als Wandbehang ausgerollt – filigran, unschuldig: Cute Bambi! Zu lieb? Das Arrangement auf der Bühne stellt mehr die Instrumente in den Vordergrund als die Künstler die sie bedienen. Mit Ausnahme des Anführers natürlich: José González. Er ist präsent auf der Bühne. Die Gitarre hält er in der Hand, nicht sie ihn.
Anführer im Nebel
Zu gewöhnlich? Und dann gibt es noch eine Nebelmaschine. Sie nebelt von Beginn des Konzerts, unaufhörlich bis zum Schluss. Und es geht los. Und es ist wahrlich ausverkauft. Und ich bin glücklich – denn das aus der Werbung bekannte „Always“ wird leicht abgeändert vorgetragen. Dennoch der Gedanke: 1. Warum kann diese Band mit ihrem Rehkitz, mit ihrer Nebelmaschine, mit ihren – musikalisch zwar hochversierten, aber dennoch irgendwie – gewöhnlichen Arrangements die Kammerspiele einmal, ja vermutlich auch zweimal, dreimal ausverkaufen? 2. Warum machen das die MK überhaupt? Im Schauspielhaus, wo derzeit vom regieführenden Intendanten Johan Simons anarchistisch, lebendige Schweine durch den King Lear getrieben werden? Und gedankenverloren glaub ich das Rehkitz – wie eine Art gutartigen Gegenspieler des verwesenden Fuchses aus Lars von Triers „Anti-Christ“ – zu mir sprechen hören: „Chaos never reigns!“. Egal, wenigstens das Licht über Eingang Parkett Mitte links flackert. Wild thing! Und das Publikum? Es klatscht! Und manchmal wird gejohlt! Und manchmal wird es übermannt von der Location und wirft mit bösen, theaterpublikum-üblichen Blicken um sich, wenn an der falschen Stelle geklatscht oder gar unangemessen applaudiert wird.
Die Wärme des anarchischen Augenblicks
Und doch ist es schön hier und Wärme macht sich breit – und die Erkenntnis reift, dass es keinen besseren Ort geben kann, wo man den heutigen Abend verbringen sollte. Allein der kausale Vorbau zu dieser Erkenntnis bleibt ungreifbar. Und weitere Gedanken wachsen: Welche Songs sind es, die das Schauspielhaus besser kleiden? Die ruhigen Balladen mit dem Hauptdarsteller González, oder die schnelleren, kraftvolleren Stücke, welche die komplexen Arrangements und die Fingerfertigkeit der Band hervorheben?
Und plötzlich: Das Konzert ist vorbei! Nein! Was? Schon? 90 Minuten Spielzeit? Nicht mal ganz? Aber: Eine Zugabe, zwei weitere Songs. Die Bühne erleuchtet. Die Nebelmaschine hyperventiliert und verschlingt das Rehkitz. Die Scheinwerfer in González‘ Rücken offenbaren der Band ein Publikum mit dem sie etwas angestellt hat, was selten gelingt: Dass es dem Konzert abhandenkommt. Dass es sich bei der Band so vertraut und aufgehoben fühlt, dass es sich jedweder Träumerei hingeben kann. Ein Abend voller warmer Anarchie also. Der wohligste Ort auf dieser Welt an diesem Samstagabend. Doch dieser Umstand erklärt sich mir erst vier Stunden später. Auf den Stufen der Bavaria. Immer noch behagliche Junip-Wärme am, im und durch den Körper hindurch – und ohne wirklich zu wissen, was einen morgens um halb vier auf die Theresienwiese getrieben hat. Vermutlich gerade aufgewacht. Oh süßer Traum.
Epilog: Alles ist erleuchtet!