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So wars mit HGich.T im Strom

Ketchup in den Haaren

Autor(en): Jakob Wihgrab am Samstag, 20. Mai 2017
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Quelle: M94.5 / Jakob Lieglein

HGich.T im Strom

Mindestens in 1000 Jahren ist das Kunst und kann dann weg. Oder: Wie das Künstlerkollektiv HGich.T das Strom zerlegte. Ein Erfahrungsbericht.

„Hier ist noch zu, ja?“. „Ja.“. Der Abend beginnt wie er endet: Im HgichTschen Unsinnsjargon. Vor den noch verschlossenen Türen des Stroms, ist die Hölle los. Überall neonfarbene Warnwesten und quietschbunte Frisuren, es riecht nach verschüttetem Bier.

Die Türen gehen auf. Von drinnen dröhnen bereits Techno-Beats. „Nach dem Konzert legt ja noch DJ Hundefriedhof Acid House auf bis 6“, sagt man sich in der Schlange. Ein Fremder streichelt dem Kollegen vor mir die Nase und grinst. Ein Mädchen mit zwei bunten Zöpfen kommt dazu: „Darf ich an dir schnuppern?“, fragt sie den Kollegen, vergräbt ihre Nase in seine Seite und stößt laute Grunzgeräusche aus. Ehe man sich fragen kann, was hier eigentlich passiert, stolpert man auch schon über die Stromschwelle hinein in den Goa-Tempel.

"Goa Goa MPU, ja?"

Das Strom leuchtet in schwarz. Überall blitzen Zähne, Westen oder Grimassen auf. Am Merch-Stand kann man sich umsonst mit Goa-Farbe bemalen lassen. Vor der Bühne erstreckt sich ein riesiges Netz aus weißen Bindfäden, von denen wiederum grüne Fäden, leuchtend, wie Würmer herunterhängen. „Das haben die alles selbst aufgehängt“, sagt mein Kollege. „Da sahen die auch noch komplett normal aus vor'm Soundcheck“. Die, das sind HGich.T. Das Künstlerkollektiv aus Hamburg kennen die meisten wegen der bescheuerten Musikvideos auf YouTube. Hauptschule hat ja jeder mal gehört und sich an die Stirn gefasst. Oder Tutenchamun. „Goa Goa MPU, ja?.“

Doch gerade die Konzerte, die Anarchie, das soll es sein was die Band ausmacht. Ich hab jedenfalls Angst. „Ne Kollegin von mir meinte heute noch so zu mir: „Was? Du gehst zu HGich.T?“ - Ich so: Ja! - und sie so: „Weißt du wo der Notausgang ist?“, erzählt der Kollege. Das geilste sei übrigens dass Opa16 heute dabei ist: „Der ist über 70, war mega der erfolgreiche Anwalt und hat sich gedacht: „Fuck it, ich geh zu Hgich.T“. Das aller geilste seien aber sowieso die Namen: „Einer heißt das Hendl alter, das Hendl!“

Der Beat ballert und die Meute ist schnell in Feierlaune. Dann betritt Dr. Diamond die Bühne. Er hat dort zwar keinen ersichtlichen Zweck, aber die Leute feiern ihn trotzdem wie den Messias. Die beiden Damen Superminzi und Jacky Herzblut beginnen zu singen. Der Beat steigert sich. Dann kommt er: Anna-Maria Kaiser. Er sieht aus wie wie ein Versicherungsvertreter aus Hamburg-Bahrenfeld, ist allerdings Sänger dieses absurd sympathischen Haufens Wahnsinniger. Mit Joint in der Hand proklamiert er: „Hurra, Hurra, die Außerirdischen sind da“ und irgendwie hat er recht.

Beschimpfungen der anderen Art...

Die nächste Erkenntnis des Abends: Der lustige Typ aus den Videos ist gar nicht der Sänger. Tutenchamun heißt der, wie der Song. Und ist die meiste Zeit damit beschäftigt Ausdruck zu tanzen oder wahlweise mit seinem Handy zu filmen. Der Kaiser predigt zwischendurch: „Ich sehe hier niemanden mit Ketchup in den Haaren!" Abwechselnd werfen sich Superminzi und die schöne Maike ins Publikum und werden bis zum Ende des prallgefüllten Stroms getragen. Dann hält es auch den Kaiser nicht mehr auf der Bühne. Erst lässt er sich im Schneidersitz über die Hände tragen, dann fällt er runter, ist stinksauer und rennt mit dem Mikro in der Hand, wie ein Wahnsinniger durch die Menge und schreit abwechselnd Dinge wie: „Alte Sau steck den Piller in Kakao!“ oder „Ich liebe dich, egal ob du 16 bist, mir doch egal!“.

Es herrscht völlige Ekstase vor, auf, neben und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch hinter der Bühne. Quasi: 360 Grad Eskalation. Schweißgebadet kriege ich einen Becher an den Hinterkopf, tut weh, und Becher werfen ist scheiße. Ansonsten kümmert man sich hier aber um einander. Man fängt die auf, die beim Crowdsurfen runter fallen und hilft denen auf die Beine, die beim Moshen hinfallen. Und man stützt oder umarmt denjenigen selig, der gerade mal ne Pause braucht.

Hare Krishna.

Nach einer Stunde vergeht bei mir und einigen anderen dann auch langsam die Kraft. Etwas zu lang ist die geplante Anarchie. Da kommt es gelegen das Superminzi gerade die Schose etwas runterfährt. „Künstlerschweine, Künstlerschweine, ja ich brech euch die Beine“, singt sie angenehm und zur Abwechslung schön ins durchtränkte Mikrofon, das mittlerweile mindestens 20 Leute aus dem Publikum schon im Mund hatten. Neben mir schaffen es ein paar Typen nicht mehr, Jacky Herzblut richtig zu halten. Sie bleibt ganz gelassen: „Ey Leute, lasst mich mal runter, wir können auch ganz normal sein“.

An der Bühne verteilt die Band Shots. DJ Hundefriedhof hat mal wieder das schönste Bild des Abends gemalt. Am Merch-Stand kann man es gleich ersteigern. Halleluja, ich bin fertig. Oder besser gesagt: Hare krishna.

Ich brauch' ein Bier...

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