Libertines & Co. auf dem Rock en Seine
Line-Up ist nur die halbe Miete
Von Elektro bis Noise, von Newcomer bis Oldie. Alles war da. M94.5 hat das Rock en Seine 2015 für Euch getestet.
Drei Tage können so schnell vergehen - besonders wenn ihr wie beim Rock en Seine von Bühne zu Bühne in Affentempo mit der Menschenmasse rennen müsst. Denn beim Rock En Seine im Park St. Cloud, im Südwesten von Paris gelegen, geht es Schlag auf Schlag. Innerhalb von 72 Stunden werden einem Künstler wie Jungle, Jamie XX, The Libertines, Kasabian, The Chemical Brothers, Tame Impala und und und präsentiert. Zeit zum Durchatmen? Fehlanzeige!
Tag 1: Atemlos durch den Park St. Cloud
Eine strahlende Kate Tempest eröffnet die Scène Pression Live Bühne. Die Show trägt sich allein durch ihre eindrucksvolle Stimme. Es fühlt sich an als würde sie sich nicht einmal Zeit zum Atmen nehmen, um all ihre Gedanken innerhalb der 45 Minuten an das Publikum weitergeben zu können. Zwischen den Songs gibt Kate Tempest nämlich noch Poetry Slam Einlagen zum Besten. Das Publikum liebt sie dafür. Eines der Highlights ihre Performance ganz klar „Lonely Daze“ oder die Neuinterpretation von „The Beigeness“.
Aber keine Zeit verlieren – Jeanne Added, die französische Musikerin wartet schon auf der Scène de l’industrie, um ihre Songs vom Debütalbum zu präsentieren. Stimmungskiller: Sie wirkt von der Quantität ihrer Zuschauer enttäuscht.
Wolf Alice aus England dagegen präsentieren sich als Indierocker-Nachwuchs-Hoffnung. Mit Optimismus und Energie reißen sie das Publikum mit.
Nächste größte Überraschung für uns: FFS, die Kollaboration von Franz Ferdinand und Sparks. Mit ihrer Bühnenerfahrung und britischem Humor bringen sie die Rock en Seine Besucher nicht nur zum Tanzen, sondern auch zum Lachen. Beste Szene: Keyboarder Ron Mael, der bislang mit todernstem Gesichtsausdruck am Keyboard gesessen hat, lockert plötzlich seine Krawatte und legt eine flotte Tanzeinlage hin! Trop fantastique!
Fauve, Lieblingsband und Sprachrohr der jungen Generations Frankreich, sind dieses Jahr erneut beim Rock en Seine dabei und wir wagen uns in die vordersten Reihen. Die beeindruckende Bühnenszenerie des Kollektivs sind drei riesigen Leinwände und ein paar alte Fernseher. Wir erleben eine intensive Atmosphäre an der Scène de la Cascade, denn das Publikum beherrscht jeden Song auswendig, wofür sich die Jungs bei ihren Fans fortlaufend bedanken. Ein kurzes Stimmungstief gibt es dennoch, als die Band verkündet, dass sie vorerst von der Bildfläche verschwinden, um eine Pause zu machen. Aber mit dem letzten Song „Les Hautes Lumières“ sind alle versöhnt!
Son Lux ist eine der letzten Bands des Tages. Leider, denn für Ryan Lott und seine Band benötigt man eine höhere Aufmerksamkeitsspanne, als wir uns nach acht Stunden Liveperformance noch leisten können. Trotzdem: Der verspulte Sound des Multiinstrumentalisten passt perfekt in Nacht und sein Gitarrist Rafiq Bhatie spielt unfassbar gut.
Auf dem Heimweg sinken die Mundwinkel jedoch wieder ein wenig: Alle Straßen um das Festivalgelände sind plötzlich für den Straßenverkehr, und öffentliche Verkehrsmittel. Hinweischilder sind nicht vorhanden und so beginnt eine unerwartete, nächtliche Wanderung zu den umliegenden Metro- und Busstationen.
Tag 2: Schwerste Entscheidungen und Konzerte für eine eingeschweißte Fanbase
Marina and the Diamonds und Young Thug – zwei Künstler, die am zweiten Tag spielen. Beide Konzerte sind nur für echte Fans und so verbringt der Großteil mit einem Bierchen die Sonnenstunden auf den kleinen Grünflächen. Young Thug's Show reicht auch im Sitzen aus, denn er nutzt seine wertvolle Zeit, um zu quatschen – und „There’s gonna be good times“ zu performen. Nett, aber unnötig, denn der wahre Genie Jamie XX spielt noch am selben Abend auf der gleichen Bühne.
Dafür gibt es danach ein wahres Live-Highlight. Glass Animals aus England klingen nicht nur auf Platte fantastisch, sondern auch live. Die Band tanzt ihre komplette Show durch und gibt auch ihr sehr gutes Cover von Kanye West’s „Love Lockdown“ zum Besten.
Zwar auf der etwas nach unserem Geschmack zu klein geratenen Bühne Scène d’Île de France, aber trotzdem spannend war der Auftritt von La Mverte. Der Sänger und Produzent gehört zum jungen Nachwuchs aus der Region rund um Paris. Fun Fact: Einen Tag später steht er nicht wirklich auf der größten Bühne Grande Scène, aber sein Song „A Game Called Tarot“ läuft beim Soundcheck für die Headliner The Chemical Brothers. Chapeau!
Die Misere des Festivals wartet auf die Festivalbesucher am späten Samstag, denn Jamie XX und The Libertines spielen gleichzeitig. Wir entscheiden uns für die Sicherheitsvariante, denn wer weiß wie lang der Frieden im britischen Haus von Carl Bârat und Pete Doherty erhalten bleibt.
Eines läuft überraschenderweise wie geschmiert beim Rock En Seine: Nie mehr als fünf Minuten Verspätung! Selbst Pete Doherty schafft es pünktlich auf die Minute auf die Bühne der Grand Scène. Die Band ist zwar nicht gerade redselig, aber dafür verwöhnt sie uns alle mit Lieblingen wie „Music When The Lights Go Out“, „Can’t Stand Me Now“ oder „What Katie Did“. Außerdem feixen die Jungs untereinander auf der Bühne rum und Muskelpaket Gary Powell beeindruckt mit einer schwindelerregenden Frequenz am Schlagzeug. Die Stimmung selbst in den vordersten Reihen ist für ein Libertines-Konzert trotzdem zu verhalten.
Tag 3: Mehrstündiges Finale wie im Bilderbuch
Am letzten Tag des dreitägigen Festivals scheinen die Besucher genauso fit wie zuvor. Das mag einen wundern, schließlich sollte jedem die zwei Tage Konzert, Feiern und Campen ins Gesicht geschrieben stehen. Aber so ganz „Festival“ ist das Rock en Seine nicht. Die meisten Leute, darunter viele Rockermama und –papas, die mit ihrem Nachwuchs kommen, schlafen lieber im Bett daheim oder besuchen das Event für einen Tagesausflug.
Ein frisches und ausgeruhtes Publikum trifft am frühen Abend auf Jungle: Die sorgen mit ihrem zahlreichem Instrumentarium von Bongo bis Colaflaschen für gute Laune.
Außerdem spielen die Jungs aus Perth: Tame Impala schaffen es besser als die Libertines am Abend zuvor für eine ausgelassene Stimmung zu sorgen. Eine vermehrten Interaktion mit den Besuchern als Schlüssel des Erfolgs? Die geht sogar so weit das Sänger Kevin Parker einem Fan in der ersten Reihe was ins Ohr flüstert. Auch ziemlich cool sind das Intro und Outro begleitet von einer schicken Videoinstallation, welches noch minutenlang weiterläuft, obwohl die Band bereits wieder im Backstage verschwunden ist.
Die armen Parquet Courts haben an diesem Abend ein schweres Los erwischt, denn sie sind die Band die (fast) gleichzeitig mit Alt-J spielt. Für die meisten Besucher fällt die Entscheidung auf die zweit genannte. Joe Newman spricht außerdem Französisch und zwar so gut, dass er mehr als nur „Merci“ und „Bonjour“ sagen kann. Die Franzosen begeistert es und man hat auf dem Festivalgelände noch nie so einen lauten Chor gehört wie bei „Breezeblocks“.
Wer dachte, die Stimmung hätte ihren Höhepunkt erreicht, der täuscht sich. Denn The Chemical Brothers locken wirklich alle (außer die unter 18-Jährigen) zur Grande Scène. Und dort ist wirklich was geboten, denn das Duo aus Manchester hat eine extrem aufwendige Bühnenshow vorbereitet. Ein riesiger Bildschirm und Roboter aus deren Augen Stars-Wars-ähnliche Laserstrahlen schießen. Ein gutes Zeichen: das erste Mal an diesem Wochenende sind Crowdsurfer unterwegs! Und das obwohl Ed Simons als Teil des Brüder- Duos nicht mehr über die Festivalbühnen der Welt tourt. The Chemical Brothers sind live ein wahres Highlight!
Unser Fazit
Das Rock en Seine Festival hat sich allein schon durch das Line – Up gelohnt, denn an jedem Tag wurde einem ein wahres Konzerthighlight geliefert. Eine Durchstarterin wie Kate Tempest, die erst wieder vereinten und überaus pünktlichen Libertines, die Publikumslieblinge Fauve, Tame Impala, Kasabian oder Alt – J und natürlich The Chemical Brothers haben uns unvergessliche Momente geschenkt. Das sind Künstler, deren Liveshows wir euch ans Herz legen können!
Das Rock en Seine als Festival muss allerdings Abstriche machen. Denn uns fehlte die echte, unbeschwerte Festivalstimmung, die die Besucher für ein Wochenende vereint. Von Menschen, die sich lustige Aktionen einfallen lassen (Free Hugs und verrückte Verkleidungen waren rar) haben wir leider kaum was mitbekommen, sowie es kein Angebot an Programm außerhalb der Konzerte gab. Das ist schade, denn genau das macht Festivals aus: Neben der Musik möchte man für einen Moment die reale Welt um sich vergessen. Das Rock en Seine eignet sich deshalb eher als Tagesauflug als ganzes Wochenende – den Rest verbringt man dann doch lieber in Paris.